Großdemonstration im Baskenland für politische Gefangene
Über 110.000 Demonstranten verwandelten Bilbo (spanisch: Bilbao) am Samstag in ein Menschenmeer. Sie waren dem Aufruf der Kampagne „Egin Dezagun Bidea (Den Weg bereiten)“ gefolgt, für die Rechte der politischen Gefangenen auf die Straße zu gehen. »Gigantisch« nannte der Sprecher der Organisation, Jon Garai, die Demonstration, die größte der letzten Jahre. »Es gibt jetzt keinen Grund mehr für Verzögerungen«, sagte er an die Adresse der Regierungen in Madrid und Paris gerichtet. »Von morgen an erwartet die baskische Gesellschaft nichts anderes als ein Ende der grausamen Sondergesetze, die gegen die baskischen Gefangenen zur Anwendung kommen.«
Hauptforderung der Demonstranten war die Verlegung der bislang auf Gefängnisse in ganz Spanien verteilten Gefangenen ins Baskenland. Die bisher von Madrid praktizierte Politik der »Zerstreuung« zwingt die Familien der Gefangenen, jedes Wochenende Hunderte Kilometer zurückzulegen, um ihre inhaftierten Angehörigen besuchen zu können.
Die in der Organisation »Etxerat« (Nach Hause bringen) zusammengeschlossenen Familien der Inhaftierten informierten am vergangenen Dienstag bei einer Pressekonferenz über die aktuelle Situation des Gefangenenkollektivs. Es besteht derzeit aus 665 Gefangenen, von denen nur acht im Baskenland inhaftiert sind. Elf Gefangene werden trotz schwerer Krankheit nicht aus dem Gefängnis entlassen. 224 Inhaftierte könnten sofort entlassen werden, weil sie entweder die Voraussetzungen für eine Entlassung auf Bewährung erfüllen oder sogar bereits ihre Strafe vollständig verbüßt haben. 169 Personen sind derzeit »präventiv« ohne Gerichtsverfahren in Haft. Ihre große Mehrheit wurde bei Razzien festgenommen, die das spanische Sondergericht Audiencia Nacional seit Jahren gegen politische Aktivisten im Umfeld der baskischen Linken durchführt. Seit deren Friedensstrategie im Oktober 2011 zum Ende des bewaffneten Kampfes von ETA geführt hat, stößt die Fortdauer der repressiven Politik der spanischen Regierung in der baskischen Gesellschaft auf immer massivere Kritik. »Wir erwarten von Rajoys Regierung, daß sie sich der neuen Situation gewachsen zeigt«, beschreibt ein Sprecher der baskischen Linken die Erwartungshaltung im Baskenland.
Aus Madrid kommt zu all dem bisher nur Schweigen. Der neue rechtskonservative spanische Regierungschef Mariano Rajoy hat angekündigt, sich im Februar mit Vertretern der baskischen Regionalregierung treffen zu wollen. Die hatte im Vorfeld der Demonstration die Kundgebung in Bilbo kritisiert. Kollektive Lösungen zu fordern, habe keine Chance auf Verwirklichung, sagte der Innenminister der Baskischen Autonomen Gemeinschaft, der Sozialdemokrat Rodolfo Ares. Wie man denn andere als Kollektivlösungen finden könne, fragt die baskischeTageszeitung GARA am Sonntag. Die Behandlung der Gefangenen werde doch gerade durch kollektive Repression bestimmt.
Erstveröffentlichung: Junge Welt vom 9.1.2012 weiterlesen >>
Foto: Klaus Armbrüster, Bilbo, 7.1.2012: die Angehörigen der Gefangenen führen den Demonstrationszug an.