John Carlin im Gespräch mit dem Konfliktmoderator Brian Currin für die spanische Tageszeitung El País. (Anmerkung: 2012 reduzierte der oberste spanische Gerichtshof die Strafe auf 6,5 Jahre)
Info Baskenland dokumentiert das Interview inklusive der Einleitung in deutscher Übersetzung (Foto: Brian Currin, GARA, Juli 2011):
Brian Currin ist das Gegenteil eines Attentäters. Der gebürtige Südafrikaner ist Anwalt und Konfliktmoderator mit mehr als 20-jähriger internationaler Erfahrung. Er war in Israel/Palästina, Nordirland, der Türkei, Liberia und Madagaskar tätig, sein Ziel ist es, einen Weg zum Frieden zu finden, oder präziser ausgedrückt, Attentate zu vermeiden. Aber in Spanien ist er, generell gesprochen, nicht willkommen. Seit er sich vor mehr als zweieinhalb Jahren auf Bitte der Abertzalen Linken in das baskische Problem einmischte, fragen sich viele: was zum Teufel macht der Mann hier? Welches Recht hat er, uns zu sagen, was wir machen sollen? Und auch: Könnte er eine geheime Agenda haben?
Seine Meinung über die Erklärung der Gefangenen der ETA, in der diese vor kurzem „ein definitives Ende der bewaffneten Aktivitäten“ gefordert hatten, könnte in einigen Kreisen den Verdacht bestärken, dass seine persönliche Ideologie derjenigen der baskischen linken Unabhängigkeitsbewegung entspricht. „Einen wichtigen Schritt von enormer Bedeutung“, nannte sie Currin. Die zehnjährige Gefängnisstrafe, zu der Arnaldo Otegi, der unbestrittene politische Führer der abertzalen Linken, verurteilt wurde, hält Currin für einen „Skandal“, „unglaublich“ und „kontraproduktiv“. Seiner Meinung nach ist das Urteil klar durch politische Überlegungen kontaminiert.
Currin sprach mit EL PAÍS diese Woche in San Sebastián nach sieben Tagen, in denen er von Südafrika nach England, von England nach Madagaskar, von dort zurück nach Südafrika und zum Schluss nach Spanien reiste.
Welche spezielle Erfahrung haben Sie in Spanien gemacht? Was ist der Unterschied zum Beispiel zu Nordirland, wo Sie mit allen Parteien, einschließlich der britischen Regierung, gearbeitet haben?
Ich glaube, der Unterschied in Spanien ist, dass der Konflikt, in diesem Fall der baskische, von den beiden großen Parteien, der PP und der PSOE, benutzt wird, um Stimmen zu bekommen oder der anderen Partei Stimmen abzujagen. Das macht die Sache sehr schwierig und paralysiert Dich. Denn wenn Du Dich bewegst, weißt Du, dass der andere Dir dafür eine Tracht Prügel verpasst.
Weil es ein emotionales Thema ist, das scheinbar leicht zu verstehen ist …
Genau. Das Problem wird Schwarzweiß, als Frage von Guten und Bösen dargestellt. Das ist ein Unterschied zu meiner Erfahrung im Vereinigten Königreich, wo die Labor-Partei und die konservative Partei das Abkommen hatten, öffentlich zu Fragen der nationalen Sicherheit und insbesondere zu Nordirland eine gemeinsame Linie zu vertreten. Die beiden Parteien diskutierten ihre Differenzen privat und kritisierten sich nicht öffentlich. Wenn man dasselbe in Spanien gemacht hätte, wäre dieses Problem seit langem gelöst.
Was halten Sie von dem Schritt der Gefangenen der ETA, die sich für die Erklärung von Gernika ausgesprochen haben, die ein Ende der Gewalt als politisches Instrument fordert?
Es musste geschehen und der Schritt ist ganz offensichtlich von enormer Bedeutung. Er ist wichtig für die Schaffung eines für einen Friedensprozess nötigen politischen Umfelds. Dass die Gefangenen der ETA für eine Zukunft ohne Gewalt eintreten, in der die Konflikte auf dem Wege der Verhandlung gelöst werden, wird helfen, Vertrauen in der Bevölkerung zu schaffen.
Was halten Sie von der Strafe, zu der Arnaldo Otegi kürzlich verurteilt wurde?
Zehn Jahre! Das ist ein Skandal! Es ist ungeheuerlich, dass jemand eine solche Strafe für das Delikt erhält, das er begangen haben soll. Und, sehen Sie, selbst wenn man unterstellt, er sei in ein Projekt der ETA eingebunden gewesen, bliebe es immer noch ein Projekt, dessen Ziel die Legalisierung einer politischen Partei und ein Ende der Gewalt ist, sich aus der Vergangenheit in die Zukunft zu bewegen. Ich kann es vollkommen verstehen, dass ein Gesetz existiert, das jede Verbindung zu ETA für illegal erklärt. Unter solchen Bedingungen wäre es richtig gewesen, ihn schuldig zu sprechen. Da aber das Projekt, an dem Otegi beteiligt war, Frieden anstrebt und Gewalt ablehnt, wäre die logische Folge gewesen, ihn zu 5 Minuten Gefängnis zu verurteilen, und das wäre es gewesen. Ein Gericht kann so etwas machen. Allerdings weiß ich sehr gut, dass es sich in diesem Fall ganz eindeutig nicht um ein Projekt handelte, das von ETA geleitet wurde. Ich weiß das, weil ich an diesem Projekt von Anfang an seit zweieinhalb Jahren mit Otegi gearbeitet habe. Ich weiß, dass das schwierigste Unterfangen dabei war, ETA vom Weg einer verhandelten Friedenslösung zu überzeugen, dass sie die politischen Vorteile sieht, die sich aus dem Gewaltverzicht ergeben.
Welche Rolle hatte Otegi in dieser Debatte?
Otegi spielte von Anfang an eine entscheidende Rolle. Er hat große Hartnäckigkeit und viel Mut bewiesen. Er hatte die unerschütterliche Überzeugung, dass die alten Methoden gescheitert sind – das gab er vor seinen Leuten offen zu – und dass man neue Wege gehen müsse, ohne Gewalt. Dass einseitige Schritte nötig seien.
Was will man mit der Strafe für Otegi erreichen?
Man hat etwas gemacht, was völlig in eine dem Frieden entgegengesetzte Richtung geht. In einem Friedensprozess würde man erwarten, dass die Regierung interveniert, um ein politisches Umfeld zu schaffen, das denjenigen, die sich dem Frieden verpflichtet haben, eine konstruktive Beteiligung ermöglicht.
Aber existiert denn ein Friedensprojekt? Was für eine Notwendigkeit besteht für so etwas, nachdem ja die Gewalt der ETA, in der Praxis, bereits aufgehört hat?
ETA ist nicht das zentrale Thema. Das zentrale Thema sind die vielen Menschen im Baskenland, deren politische Aspirationen im Konflikt mit der spanischen Verfassung stehen. Viele sind der Meinung, diese Verfassung wurde ihnen zwangsweise verordnet. Die Frage ist nicht, ob eine solche Haltung berechtigt ist oder nicht. Wir reden über Vorbehalte, die einen realen politischen Hintergrund haben. Das ist es, was in einem Friedensprozess gelöst werden muss, durch Verhandlungen, durch Dialog oder durch was auch immer.
Wie sehen Sie die Haltung der spanischen Regierung?
Aus ihrer Sicht ist die friedliche Verhandlung nicht die bessere Alternative, sondern die einzige Alternative ist der Sieg über ETA, sie zur völligen Kapitulation zu zwingen.
Das Bessere ist der Feind des Guten?
Ja, Sehen Sie, zum heutigen Zeitpunkt sind die Tamil Tiger in Sri Lanka völlig vernichtet. Aber, und das garantiere ich Ihnen, gibt es kleine Zellen, die sich reorganisieren und in zehn Jahren wird sich erneut ein gewalttätiger Konflikt entzünden. Heute hat die spanische Regierung ETA sehr in die Defensive gedrängt, aber sie wird das nicht auf ewig beibehalten können. Man kann nicht jedes Haus und jede Wohnung im Baskenland unter polizeilicher Kontrolle behalten. Andere Hardliner werden auftauchen, die bereits sind, zu den Waffen zu greifen, und der Konflikt wird viele Jahrzehnte andauern, bevor es am Ende eine politische Übereinkunft gibt. Die polizeiliche Option ist nicht auf Dauer haltbar. Man muss etwas Stolz überwinden, ein wenig Generosität und Pragmatismus zeigen und bereit sein, Konzessionen zu machen.
Was sagen Sie denen, die Ihnen das Recht absprechen, sich einzumischen?
Ich verstehe, dass die Spanier so reagieren. Meine Einmischung hier begann, als Batasuna mich bat, sie zu den ETA-Gefangenen zu beraten. Meine Teilnahme begann in derselben Weise, wie in Irland. Dort agierte ich auf Einladung von Sinn Féin. Aber nach einiger Zeit begann ich, auch mit anderen Parteien zu arbeiten, mit den protestantischen Aktivisten, und in der Folge engagierte mich die britische Regierung, um die Kommission zu leiten, die über die Frage Freiheit oder keine Freiheit für alle Gefangenen, die in politische Gewalt verstrickt waren, entschied.
Die britische Regierung hat Sie bezahlt?
Ja. Als ich hier anfing, haben die Verantwortlichen von Batasuna vorgeschlagen, ich solle mich unauffällig verhalten. Sie hofften, dass mich die spanische Regierung nach einiger Zeit für einen ähnlichen Posten nominiert. Diese Vorstellung (lacht) ist aktuell etwas abwegig.
© El País, Übersetzung: Uschi Grandel