„In diesem Prozess sitzt eigentlich die spanische Politik auf der Anklagebank, für ihre Unfähigkeit, eine neue Phase der Politik gegenüber dem Baskenland einzuleiten, für ihre Unfähigkeit, sich mit der baskischen Unabhängigkeitsbewegung auf eine politische und demokratische Weise auseinanderzusetzen.“ (Rafa Diez, langjähriger Gewerkschaftssekretär der baskischen Gewerkschaft LAB, gemeinsam mit Arnaldo Otegi und anderen Angeklagter im Fall „Bateragune“)
Am 27. Juni 2011 beginnt vor dem für Terrorismus zuständigen spanischen Sondergericht in Madrid der Prozess gegen Arnaldo Otegi, Rafa Díez, Sonia Jacinto, Miren Zabaleta, Arkaitz Rodriguez, Mañel Serra, Amaia Esnal und Txelui Moreno, Mitglieder der abertzalen Linken, der baskischen linken Unabhängigkeitsbewegung. Die Staatsanwaltschaft fordert 10 Jahre Haft für jeden der Angeklagten, mit der Begründung, sie hätten auf Befehl der ETA versucht, die verbotene Partei Batasuna als „Bateragune“ neu zu gründen. Mit Arnaldo Otegi, im Baskenland und international einer der bekanntesten Führungspersönlichkeiten der abertzalen Linken, und dem langjährigen Gewerkschaftssekretär der baskischen Gewerkschaft LAB, Rafa Diez, stehen ausgerechnet diejenigen vor Gericht, die als Initiatoren der aktuellen baskischen Friedensinitiative bekannt und weithin geachtet sind.
Heute, nach eineinhalb Jahren, in denen die Friedensinitiative im Baskenland eine lebendige Dynamik entfaltet hat, wirkt der Prozess wie ein Schatten aus dunkler Vergangenheit.
Auf der Anklagebank: ein demokratisches Szenario für das Baskenland
Im Baskenland fordert ein breites Bündnis, das Vertreter aller baskischen Parteien bis hin zur konservativen PNV und auch Gewerkschaften einschließt, und dem viele Persönlichkeiten aus dem sozialen, kulturellen und künstlerischen Umfeld angehören, den Freispruch für Arnaldo Otegi und seine Mitangeklagten. Der Prozess in Madrid sei „paradox“, „die generelle Meinung im Baskenland glaubt den Personen auf der Anklagebank, dass sie bei ihrer Festnahme an dem wichtigen Projekt arbeiteten, ein demokratisches Szenario für Euskal Herria (das Baskenland) zu erreichen, ohne Gewalt der ETA, ohne Gewalt des Staates und ohne jegliche politische Gewalt.“ Es sei nötig, „die Gegenwart und die Zukunft aus den Zwängen der Vergangenheit zu befreien“.
Rückblick
Als die spanische Polizei im Oktober 2009 das Gewerkschaftshaus der baskischen Gewerkschaft LAB in Donostia (span: San Sebastian) stürmte und Arnaldo Otegi, Rafa Diez und weitere Aktivistinnen und Aktivisten der abertzalen Linken festnahm, war für viele offensichtlich, dass damit die neue politische Initiative der abertzalen Linken in letzter Minute im Keim erstickt werden sollte. Seit Oktober 2009 sitzt Arnaldo Otegi deswegen in einem spanischen Gefängnis in „präventiver Haft“.
Baskenland in Bewegung
Mittlerweile hat sich diese Initiative jedoch international, im Baskenland und auch in Teilen Spaniens Anerkennung erworben. Mit ihrem unilateralen Bekenntnis zu ausschließlich friedlichen und demokratischen Mitteln hat die abertzale Linke eine Lösung des spanisch-baskischen Konflikts auf friedlichem Wege in greifbare Nähe gebracht. Mit der Brüsseler Erklärung begrüßten internationale Persönlichkeiten, darunter auch der Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu, diesen unilateralen Schritt und forderten von ETA und vom spanischen Staat entsprechende positive Schritte. Im Abkommen von Gernika einigten sich über 30 baskische Organisationen auf einen Fahrplan in Richtung einer Lösung des Konflikts. ETA hat die an sie gerichteten Forderungen erfüllt, erklärte einen unbegrenzten Waffenstillstand und ist bereit, diesen international überwachen zu lassen.
Eigentlich sitzt die spanische Politik auf der Anklagebank
Nur die spanische Regierung und das ihr unterstellte spanische Sondergericht konnten sich noch nicht aus der alten Konfrontationsstrategie lösen. Der neuen Partei der abertzalen Linken Sortu wurde im Februar 2011 die Zulassung verwehrt, obwohl sie sämtliche Anforderungen des als undemokratisch abgelehnten Parteiengesetzes erfüllt. Im Herbst 2011 entscheidet das Verfassungsgericht über den Fall. Auch die baskische Wahlplattform Bildu (Versammeln), die von zwei legalen, sozialdemokratischen baskischen Parteien gegründet wurde und die auch Kandidaten der abertzalen Linken akzeptiert, musste vor dem Verfassungsgericht gegen ihr Verbot klagen und bekam zwei Wochen vor den Kommunalwahlen im Mai 2011 mit knapper Mehrheit Recht. Bildu erzielte einen glänzenden Wahlerfolg. Die Wahlplattform erhielt auf Anhieb 22% der Stimmen und wurde damit in der Baskischen Autonomen Gemeinschaft und in Nafarroa (span: Navarra) zur zweitstärksten Partei. Sie stellt nun im spanisch verwalteten Teil des Baskenlandes die meisten Gemeinderäte und 100 der insgesamt 250 Bürgermeister.
Im Prozess, der am 27. Juni 2011 beginnt, „sitzt eigentlich die spanische Politik auf der Anklagebank, für ihre Unfähigkeit, eine neue Phase der Politik gegenüber dem Baskenland einzuleiten, für ihre Unfähigkeit, sich mit der baskischen Unabhängigkeitsbewegung auf eine politische und demokratische Weise auseinanderzusetzen“, erklärt Rafa Diez, einer der Anklagten in diesem Prozess.
Foto: Arnaldo Otegi (rechts) und Rafa Diez (links)
Begriffsklärung Abertzale Linke: die Bedeutung des Begriffs „abertzale“ in „abertzale Linke” ist eng verknüpft mit der speziellen Ausprägung der baskischen Unabhängigkeitsbewegung als progressive und internationalistische Bewegung. Als solche umfasst sie ein breites Spektrum von Organisationen, wie zum Beispiel politische Parteien, Gewerkschaften und kulturelle Organisationen, sowie bedeutende Teile der Frauen- , Umwelt- und Internationalismusbewegungen, die das gemeinsame Ziel der Befreiung des Baskenlandes haben. So wie Republikanismus eine besondere Bedeutung im irischen Kontext besitzt, kann der Begriff „abertzale“ nicht nur einfach als Unabhängigkeitsbewegung übersetzt werden, ohne seine progressive Bedeutung zu betonen.