Als das Baskenland in den frühen 1980er Jahren von einer tiefen ökonomischen Krise und von Massenarbeitslosigkeit getroffen wurde, hätte niemand geglaubt, dass es sich zu einer der reichsten Regionen Europas entwickeln würde. Heute befindet sich das Baskenland wieder an einem entscheidenden Punkt seiner Geschichte. Der Konflikt mit der mit Gewalt agierenden pro-Unabhängigkeitsgruppe ETA, der mehr als 800 Menschenleben gefordert hat und der über vier Jahrzehnte der Bevölkerung viel Leid brachte, kann auf Dauer gelöst werden.
Seit Anfang des Jahres haben verschiedene Ereignisse eine neue Dynamik im baskischen Konflikt in Gang gesetzt. Am 10. Januar 2011 erklärte ETA einen unilateralen Waffenstillstand. Im darauf folgenden Monat gründete die verbotene pro-Unabhängigkeits-Linke die neue politische Partei Sortu (Schaffen), deren Statuten politische Gewalt bedingungslos ablehnen. Damit erfüllt sie unserer Ansicht nach die Bedingungen, die das spanische Gesetz für die Legalisierung einer Partei fordert. Bedauerlicherweise muss über diese Legalisierung gerade vom Verfassungsgericht entschieden werden. Das verzögert das Ziel der politischen Normalisierung. Aus unserer Sicht besteht wenig Zweifel, dass die Legalität in Kürze erreicht werden wird, insbesondere nach der Entscheidung des Verfassungsgerichts von letzter Woche, das Verbot (des Wahlbündnisses) Bildu (Versammeln) aufzuheben. Diese bahnbrechende Entscheidung des höchsten spanischen Gerichts ist unserer Meinung nach ein Sieg für die Demokratie und für den Rechtsstaat. Sie wird den Weg für eine dauerhafte politische Normalisierung im Baskenland ebnen.
Am 28. April veröffentlichten die beiden größten Arbeitgeberverbände der baskischen Region und aus Navarra einen Brief von ETA, der das Ende der sogenannten „Revolutionssteuer“ bekanntgab. Sie erklärten außerdem, ETA habe seit dem Waffenstillstand die Praxis der Drohungen und Erpressungen aufgegeben, die in der Vergangenheit zur Tötung von 40 Arbeitgebern geführt hatte. Wir haben eigene Untersuchungen durchgeführt und können bestätigen, dass dieser Teil des Waffenstillstands von ETA eingehalten wird. Wir werden die Einhaltung des Waffenstillstands durch ETA weiterhin überwachen.
Gründe für diese positiven Entwicklungen gibt es viele. Nicht nur Sortu hat sich zu ausschließlich friedlichen Mitteln bekannt, auch die überwältigende Mehrheit der linken pro-Unabhängigkeits-Befürworter haben sich gegen Gewalt ausgesprochen; alle baskischen politischen Parteien mit Ausnahme der (spanischen rechten Partei) Partido Popular fordern die Legalisierung von Sortu; die spanischen und französischen Sicherheitskräfte haben mit ihrer Anti-Terror-Strategie Erfolg und der internationale Einsatz für eine Transformation des Konflikts schafft Vertrauen, dass eine dauerhafte Lösung tatsächlich möglich werden kann.
Um diese Dynamik zu stärken, wurde im Januar auf Wunsch einer Reihe politischer Parteien, Gewerkschaften und Verbände des Baskenlands die International Contact Group for the Basque Country (Internationale Kontaktgruppe für das Baskenland, ICG-BC) etabliert. Sie soll helfen, den Weg zur politischen Normalisierung und zu einem Ende der politischen Gewalt zu bereiten.
Bisher hat die spanische Regierung nicht positiv auf diese Entwicklung reagiert. Auf ihre Forderung hin verweigerte der spanische Oberste Gerichtshof nicht nur Sortu die Legalisierung, sondern auch Bildu, einer Koalition von pro-Unabhängigkeits-Parteien, die schon immer die Gewalt der ETA abgelehnt hatten. Der Oberste Gerichtshof urteilte gegen Bildu, weil ihre Wahlliste Kandidaten enthielt, die früher Beziehungen zu Batasuna hatten, was nach Ansicht des Gerichts eine Verbindung mit ETA belegt. Glücklicherweise hat das Verfassungsgericht die Entscheidung des Obersten Gerichts zu Bildu aufgehoben.
Verständlicherweise ist Vertrauen ein Thema. Die Explosion einer gewaltigen Bombe durch ETA auf dem Madrider Flughafen im Dezember 2006 ist nicht vergessen. Die Regierung könnte glauben, dass der derzeitige Waffenstillstand ein taktischer Zug von ETA ist, um Zeit für die Restrukturierung zu gewinnen, bevor sie wieder Anschläge verübt. Zwar verstehen wir die Sorge der Regierung, wir stimmen jedoch mit der Mehrheit der baskischen politischen Parteien und sozialen Gruppierungen darin überein, dass die Bedingungen zum ersten Mal seit vielen Jahren reif für tiefgreifende politische Transformationen und für einen dauerhaften Frieden sind. Deshalb begrüßen wir die verantwortliche und seniore Antwort der spanischen Regierung auf die Aufhebung des Verbots von Bildu.
Heute bitten wir den spanischen Präsidenten: “Herr Zapatero, verpassen Sie nicht die historische Möglichkeit, den letzten gewaltsamen Konflikt in Europa zu lösen. Tun Sie alles in Ihrer Macht stehende, um sicherzustellen, dass Sortu eine Chance erhält, ihr Bekenntnis zu Frieden und Demokratie unter Beweis zu stellen, insbesondere im Licht der Entscheidung des Verfassungsgerichts, das Verbot Bildus aufzuheben. Lockern Sie die harten Sicherheitsgesetze, um ein politisches Umfeld im Baskenland zu schaffen, das alle einbezieht. Treten Sie mit einer internationalen Organisation in Kontakt, um den Waffenstillstand von ETA zu verifizieren und ein Ende bewaffneter Gewalt möglich zu machen.
Für nächstes Jahr sind Wahlen für das spanische Parlament angesetzt. Deswegen könnte die spanische Regierung versucht sein, aus Furcht vor Kritik und vor dem Vorwurf der Schwäche durch die Opposition die Beteiligung der pro-Unabhängigkeit Linken an den demokratischen Institutionen trotz der neuen Möglichkeiten weiterhin abzulehnen. Wir glauben, es ist Zeit für Führung und staatsmännisches Verhalten. Präsident Zapatero, Sie haben in der Vergangenheit gezeigt, dass Sie zu beidem fähig sind.“
International Contact Group for the Basque Country
Mitglieder: Brian Currin, Silvia Casale, Pierre Hazan, Raymond Kendall, Baroness Nuala O’Loan, Alberto Spektorowski
11. Mai 2011
Übersetzung: Uschi Grandel, 22. Mai 2011, Erläuterungen der Übersetzerin in Klammern
Erstveröffentlichung in englischer Sprache: Webseite der ICG
Siehe auch die internationale Erklärung für die Zulassung von Sortu vom 27. März 2011 und die Liste der deutschen Unterzeichnerinnen und Unterzeichner: “Für das Recht auf politische Teilhabe”