Baskenland, 8. Januar 2011: in Bilbo (spanisch: Bilbao) waren mehr als 60.000 Menschen dem Aufruf “Machen wir einen Schritt nach vorn” der baskischen Organisation Etxerat (deutsch: “nach Hause”) gefolgt und demonstrierten für die Rechte der 750 baskischen politischen Gefangenen. Etxerat ist die Organisation der Familienangehörigen dieser Gefangenen.

Im Vorfeld hatten über 5000 Einzelpersonen und Organisationen aus dem Baskenland und International den Aufruf unterstützt. Mit vielfältigen eigenen Ideen, wie speziell zur Unterstützung des Aufrufs produzierten Videos, lokalen Pressekonferenzen und Vorkundgebungen hatten die Unterstützerinnen und Unterstützer der Demonstration im Vorfeld für eine Teilnahme geworben. Ein grosse Zahl baskischer Künstler und Sportler, allein acht Spieler des erst kürzlich in die erste Liga aufgestiegenen Fußballclubs Real Sociedad aus Donostia (span: San Sebastian), erklärten sich solidarisch. Der Unmut gegen die repressive Politik des spanischen Staates wächst im Baskenland auch deshalb, weil diese Politik von vielen als ein Versuch gesehen wird, die Friedensinitiative der abertzalen Linken, der baskischen linken Unabhängigkeitsbewegung, mit Gewalt zu ersticken.

Die beiden Redner der Abschlusskundgebung, Marifeli Etxeandia, die Schwester des Gefangenen José Miguel Etxeandia und der Radiomoderator von Radio Vitoria Iñaki Olasolo, zeigen sich denn auch erfreut über die gewaltige Welle der Solidarität, aber erklären, dass der “Weg noch weit sei” und dass Spanien in den letzten 10 Jahren “ein gewaltiges Guantanamo für die baskischen politischen Gefangenen” geschaffen habe.

Denn nichts ist “normal” an der Gefangen-Politik, wie sie im Kontext des spanisch-baskischen Konfliktes praktiziert wird. Zum einen wird seit etlichen Jahren die Definition des Terrorismus auf politische und kulturelle baskische Aktivitäten ausgedehnt. Damit unterliegt das ganze Umfeld der linken Unabhängigkeitsbewegung und auch Aktivistinnen und Aktivisten baskischer Kulturvereine und Sprachenschulen der Gerichtsbarkeit des Madrider Sondergerichts Audiencia Nacional. Es gelten Sondergesetze von der Verhaftung bis hinein in den Gefangenenalltag.

Eine grausame Gefangenenpolitik dient dazu, nach aussen Angst und Schrecken zu verbreiten und die Gefangenen zu brechen. Mit beiden Vorhaben ist die spanische Regierung gescheitert, wie nicht zuletzt die gewaltige Anzahl an Demonstranten an diesem 8. Januar 2011 in Bilbo zeigt.

Ein Beispiel für die spanische Politik der Kriminalisierung und der Verletzung von Menschenrechten im Gefängnis ist die Verhaftung der Anwältin Arantza Zulueta im April 2010. Die spanische Polizei durchsuchte bei der Verhaftung die Büroräume der Anwältin ohne die hierfür notwendigen Zeugen der Anwaltskammer. Sie verletzten damit Rechte der Anwältin in einem besonders sensiblen Bereich. Ihre Behandlung im Gefängnis wurde im November 2010 von Kollegen in einem Schreiben bekannt gemacht:

“Wir wollen … auf die außerordentlich schwierige Situation hinweisen, in der sich unsere Anwaltskollegin Arantza Zulueta befindet. Nach ihrem Protest gegen die seit sechs Monaten andauernde Isolationshaft im Gefängnis von Cáceres, bei dem sie sich weigerte, ihre Zelle zu verlassen, wurde sie nach Málaga in ein Spezialmodul verlegt. In diesem Modul gibt es keine einzige andere Gefangene, sie ist dort völlig isoliert (und sieht nur Gefängnisbeamte). Sie hat morgens vier Stunden Hofgang, den Rest der Zeit muss sie in ihrer Zelle verbringen. Sie haben ihr alle persönlichen Papiere abgenommen (darunter auch die Identifikation als Anwältin) und erlauben ihr lediglich zwei Bücher und die nötigste Kleidung. Sie beschränken kontinuierlich die Kommunikation mit den Gefangenen, die sie als Anwältin vertritt, und intervenieren auch (man darf nicht vergessen, dass sie weiterhin den Status der praktizierenden Anwältin hat). Dieser inhumanen Behandlung ist sie im Gefängnis unterworfen.”

Als sich dann internationale Anwaltsverbände einschalteten, wurde Frau Zulueta nach über 6 Monaten Haft auf Kaution entlassen.

Nur ein Beispiel unter vielen. 262 Verhaftungen gab es im letzten Jahr im Baskenland im Zusammenhang mit dem spanisch-baskischen Konflikt, fast alle gegen politische Aktivistinnen und Aktivisten im Umfeld der abertzalen Linken, aber auch gegen baskische Anwälte. In über 50 Fällen wurde Folter in der berüchtigten Incommunicado-Haft angezeigt. Ein bedeutender Teil der 750 Gefangenen wurde für politische Betätigung zu horrenden Haftstrafen verurteilt.

Im Aufruf von Exterat heisst es:

“Deshalb sagen wir, dass damit jetzt Schluss sein muss. Wir sind überzeugt, dass sich Euskal Herria (das Baskenland) an der Schwelle zu neuen Verhältnissen befindet. Deshalb ist das, was schon vorher drängend war, nun noch wichtiger: es ist unerlässlich, die schlimme Situation, in der sich die baskischen politischen Gefangenen befinden, zu beenden. Die Politik der Zerstreuung muss beendet werden; die baskischen politischen Gefangenen mit schweren oder unheilbaren Krankheiten sind zu entlassen; die de facto nicht endenden Strafen müssen annulliert werden; genauso haben die vielen Menschenrechtsverletzungen aufzuhören, die im Gefängnis an der Tagesordnung sind. “

64.000 Menschen haben dies am 8. Januar in Bilbo mit Nachdruck eingefordert.


Siehe auch:

Aufruf von Etxerat

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