Bereitschaft zur gemeinsamen Definition der weiteren Schritte
ETA wendet sich in ihrer Stellungnahme vom 19. September 2010 an die internationale Gemeinschaft und insbesondere an die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner der Brüsseler Erklärung. Sie erklärt «ihre Bereitschaft, gemeinsam zu analysieren, welche Schritte für eine demokratische Lösung des spanisch-baskischen Konflikts nötig sind, inklusive der Verpflichtungen, die ETA eingehen muss». Die Brüsseler Erklärung (s.u.) vom März dieses Jahres hatte ETA um einen dauerhaften und verifizierbaren Waffenstillstand und die spanische Regierung um eine adäquate Antwort gebeten. Die bewaffnete Organisation zeigt hierfür «Respekt und Dankbarkeit».
In einer an GARA übermittelten Botschaft antwortet ETA auf die Brüsseler Erklärung, die im März von etwa zwanzig international führenden Persönlichkeiten mit großer Erfahrung in Konfliktlösungsprozessen, unter ihnen einige Friedensnobelpreisträger, präsentiert wurde.
ETA nimmt explizit zur „konkreten Bitte“ an die Organisation Stellung und betont, dass sie ihrer Verantwortung nicht aus dem Weg gehen werde. Sie sei «bereit, gemeinsam zu analysieren, welche Schritte für eine demokratische Lösung des spanisch-baskischen Konflikts nötig sind, inklusive der Verpflichtungen, die ETA eingehen muss».
Zuvor ruft ETA in Erinnerung, dass «der Konflikt Euskal Herrias (des Baskenlandes) mit dem spanischen und dem französischen Staat tiefe politische Ursachen besitzt. Um den Konflikt zu überwinden, ist über einzelne Schritte hinaus eine umfassende Lösung nötig, die die Ursachen des Konflikts benennt und ihre Knoten löst».
«Die Lösung muss zwangsläufig verbindlich sein»
Um den Konflikt «tatsächlich» zu überwinden, «muss die Lösung zwangsläufig verbindlich sein, sich aus multilateralen Verpflichtungen zusammensetzen und durch Dialog und Verhandlungen zustande kommen», bekräftigt ETA im Anschluss und unterstreicht, «es hier und jetzt möglich ist, den Konflikt zu lösen, wenn der demokratische Wille dazu existiert.»
In den letzten Monaten haben verschiedene Politiker auf die fehlende direkte Antwort von ETA auf die Brüsseler Erklärung hingewiesen. Die Organisation macht in ihrer Botschaft klar, welch großen Wert sie dieser Initiative beimisst. Unter den Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern seien zum einen «Persönlichkeiten mit großer Erfahrung in der Lösung schwieriger Konflikte», zum anderen habe sie sich im Baskenland «zu einer unstrittigen Referenz entwickelt».
Als Konsequenz drückt ETA «den Männern und Frauen, die die Erklärung unterzeichnet haben, ihren Respekt und ihre Dankbarkeit aus».
Die Metapher eines Schiffes
ETA erklärt in ihrer Botschaft mehrfach ihre «Bereitschaft», eine Lösung zu finden. Mit einem Bild weist sie auf den unilateralen Charakter ihrer Initiative hin: «Trotz der Unbeweglichkeit von Spanien und Frankreich hat ETA erneut die Anker gelichtet. Auf dem Schiff der Möglichkeit für eine demokratische Lösung des Konflikts haben wir die erste Entscheidung getroffen, ohne die Anker zu werfen, mit der Bereitschaft, in tiefe Gewässer zu steuern.»
Eine Lösung sei möglich, wenn es den Willen gäbe. Als Beispiel nennt ETA die Entwicklung der letzten zwei Jahrzehnte, in denen «nicht wenige neue Staaten im Herzen Europas entstanden sind, die international anerkannt wurden». Sie zitiert Grönland und Schottland als Beispiel für «Völker, die ihre Souveränität in Abhängigkeit vom Willen ihrer Bevölkerung erlangen können».
Obwohl für ETA der Schlüssel für eine Lösung im Baskenland liegt, hält sie den internationalen Beitrag für «sehr wichtig». In diesem Sinn ruft sie internationale Akteure und Institutionen dazu auf, «Impulse für die Gestaltung eines demokratischen Prozesses für eine dauerhafte, gerechte und demokratische Lösung dieses alten politischen Konflikts zu geben und mitzuwirken».
Sechs Monate
Die Erklärung bietet auch neue Einsichten. So hatte ETA bereits vor zwei Wochen bestätigt, dass sie bereits seit Monaten keine bewaffneten Angriffe durchführe. Diesmal konkretisierte sie, dass sie zur Zeit der Veröffentlichung der Brüsseler Erklärung bereits eine Waffenruhe einhielt: «Seit der Brüsseler Erklärung im März 2010 sind sechs Monate vergangen (…) Wie bekannt ist, hat ETA in diesen sechs Monaten keine bewaffneten Aktionen durchgeführt. Schon zuvor hatte ETA den Befehl an ihre operativen Einheiten erteilt, alle geplanten Aktivitäten einzustellen». Als die BBC vor zwei Wochen die damalige Erklärung der Waffenruhe von ETA verbreitete, gab der spanische Innenminister Alfredo Pérez Rubalcaba öffentlich zu, dass er schon länger wusste, dass ETA ihre Anschläge eingestellt habe und dass diese Entscheidung mehr oder weniger im Verlauf des Februar erfolgt sei. Dies bestätigt ETA nun. Öffentlich hatte die spanische Regierung bisher immer nur von der Gefahr drohender Anschläge gesprochen.
«Verpasste Gelegenheiten»
ETA kommentiert auch auf die Haltung der spanischen Regierung und ihrer Vorgänger bezüglich ihres bewaffneten Kampfes: «als Entschuldigung haben sie immer vorgeschoben, es könne keine Lösung geben, solange es den bewaffneten Kampf gebe». Allerdings sei jedes Mal durch den Abbruch von Verhandlungen «eine Gelegenheit verpasst worden. Es scheint, als ob (eine Lösung) mit bewaffnetem Kampf nicht möglich, und ohne bewaffneten Kampf nicht nötig sei». ETA sieht darin den «alten Weg» des Stillstandes.
ETA sieht die gewalttätigen Auseinandersetzungen als Folge der historischen Wurzeln des politischen Konflikts. Sie wirbt für eine umfassende Lösung: «die Geschichte hat Euskal Herria eine wichtige Lehre erteilt: die Pseudo-Lösungen von heute sind die Quelle künftiger Konflikte». ETA benennt ihre eigenen bewaffneten Aktionen, aber auch den «Staatsterrorismus», die Folter, die Existenz von aktuell über 700 Gefangenen oder die Tatsache, dass einer von ihnen, Joxe Mari Sagardui Gatza, bereits 30 Jahre im Gefängnis verbringt. ETA erinnert an ihre zahlreichen Initiativen zur demokratischen Überwindung des Konflikts: die Alternative KAS (1976), die Verhandlungen von Argel (1989), die Demokratische Alternative (1995), der Waffenstillstand von 1998 oder der letzte Verhandlungsversuch von 2006.
«Es ist schwer, den bewaffneten Kampf in Europa zu verstehen», gibt ETA in ihrem Kommuniqué zu und richtet eine Gegenfrage an die internationale Gemeinschaft: «Ist es nicht schwerer zu verstehen, warum man den baski-schen Bürgerinnen und Bürgern das Recht verweigert, ihre Zukunft frei und demokratisch zu entscheiden?»
Original (in spanischer Sprache): GARA, 19.9.2010
Zentrale Dokumente zur Konfliktlösungsinitiative finden Sie in deutscher Übersetzung auf Info Baskenland. Unter anderen sind dies:
Brüsseler Erklärung (29. März 2010) >>
ETA erklärt Waffenruhe (5. September 2010) >>
Internationale Beiträge zur Friedensinitiative im Baskenland (Juli 2010) >>
Der Weg und die Schritte – die abertzale Linke in Bewegung (30. April 2010) >>
Zutik Euskal Herria – Steh auf, Baskenland (17. Februar 2010) >>
Erläuterungen:
Euskal Herria: Euskal Herria bezeichnet das gesamte Baskenland, das aus sieben Provinzen besteht. Es umfasst 20 000 km2 und hat eine Bevölkerungszahl von etwa 3 Millionen. Das Baskenland ist geteilt: Lapurdi, Nafarroa Beherea und Zuberoa befinden sich unter französischer Verwaltung. Die drei Provinzen sind dabei keine Verwaltungseinheit, sondern ohne Eigenständigkeit in andere Departements eingegliedert. Die südlichen vier Provinzen befinden sich unter spanischer Herrschaft: Bizkaia, Gipuzkoa und Araba bilden als Comunidad Autonoma Vasca (CAV, Autonome baskische Gemeinschaft) eine Einheit. Nafarroa hat eine separate Regionalverwaltung (CFN, Foralgemeinschaft Navarra). In den Medien wird oft das Baskenland mit der Comunidad Autonoma Vasca gleichgesetzt.
Abertzale Linke: die Bedeutung des Begriffs „abertzale“ in „abertzale Linke” ist eng verknüpft mit der speziellen Ausprägung der baskischen Unabhängigkeitsbewegung als progressive und internationalistische Bewegung. Als solche umfasst sie ein breites Spektrum von Organisationen, wie zum Beispiel politische Parteien, Gewerkschaften und kulturelle Organisationen, sowie bedeutende Teile der Frauen- , Umwelt- und Internationalismusbewegungen, die das gemeinsame Ziel der Befreiung des Baskenlandes haben. So wie Republikanismus eine besondere Bedeutung im irischen Kontext besitzt, kann der Begriff „abertzale“ nicht nur einfach als Unabhängigkeitsbewegung übersetzt werden, ohne seine progressive Bedeutung zu betonen.