13.12.2009 | Ingo Niebel, Gernika

Katalanen dürfen mehr als Basken: 161 Orte stimmen über Unabhängigkeit ab

Das Schreckgespenst der “Balkanisierung” Spaniens entstammt der politischen Phantasie des sozialdemokratischen Premiers Felipe González (1982-1996). Das Bild kann mittelfristig Realität werden, weil just der spanische Nationalismus die dafür nötigen Zustände schafft. Im spanischen Königreich und vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag versucht der spanische Staat gerade, die Einzigartigkeit der “spanischen Nation” vor allen anderen “Nationalitäten” in seinem Machtbereich und somit die verfassungsmäßig verbriefte “Unteilbarkeit der nationalen Einheit” mit allen Mitteln zu verteidigen. Ein riskantes Vorhaben.

In den Niederlanden kämpft die spanische Regierung José Luis Rodríguez Zapatero (PSOE), dem politischen Ziehsohn González', gegen die Anerkennung des Kosovo als Nation, das auf der Basis des Selbstbestimmungsrechts der Völker einen eigenen Staat gebildet hat. Damit stellt sich Madrid auf die Seiten Moskaus und Belgrads und gegen Washington und Berlin, die die staatliche Unabhängigkeit des Kosovo unterstützen. Jenseits geopolitischer Interessen geht es dem spanischen Königreich bei diesem Rechtsstreit um nicht weniger als um seine Existenzberechtigung: Falls das Kosovo in Den Haag siegen sollte, gäbe es einen völkerrechtlich legalen Weg, über den das Baskenland und Katalonien den spanischen Staat friedlich verlassen könnten. Diese Lage ist zwar nicht gegeben, aber Madrid gießt momentan jede Menge Wasser auf die Mühlen der regionalen Souveränitätsverfechter.

Am kommenden Sonntag haben die Bewohner von 161 katalanischen Orten die Möglichkeit, sich in einer lokalen Abstimmung zur Unabhängigkeit ihres Landes zu äußern. Eine vergleichbare Abstimmung hatte Madrid den Basken im Sommer 2008 verboten. Das Ergebnis ist nicht rechtsverbindlich, aber politisch höchst brisant.

Die spanische Justiz hat den betroffenen Rathäusern verboten, für die Befragung Personal, Räume und das Wählerverzeichnis bereit zu stellen. Die Organisation liegt daher bei lokalen Gruppen, die als “privat” gelten. Diese folgen dem Beispiel von Arenys de Munt, das im September als erster katalanischer Ort eine solche Befragung durchführte. Damals schritten 41 Prozent der Wahlberechtigten zur Urne. Davon stimmten 96 Prozent für die Unabhängigkeit. Die Wahlbeteiligung lag sechs Punkte über der der EU-Wahl 2009, aber 15 Punkte unter der des Referendums über das neue Autonomiestatuts (2006). Die katalanische Zeitung Aviu veröffentlichte Anfang Dezember eine Umfrage, wonach landesweit 50 Prozent der Wahlberechtigten des acht Millionen Landes für die Unabhängigkeit stimmen würden. (Im Baskenland sind es 30 Prozent.) Die Nein-Stimmen lägen bei 18 Prozent, die Enthaltung bei 25 Prozent.

Im Moment steht es um die Beziehungen zwischen Madrid und dem reichen Katalonien äußerst schlecht. Das Verfassungsgericht schiebt seit Monaten eine Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit des neuen katalanischen Statuts vor sich her. Die postfranquistische Volkspartei (PP) hatte gegen das Autonomiestatut geklagt, weil unter anderem dort die Rede von der “katalanischen Nation” ist. Politisch brisant ist nicht die Klage der PP, sondern die Tatsache, daß das Verfassungsgericht sie zuließ, nachdem die Parlamente in Barcelona und Madrid sowie die Katalanen in einem Referendum das Statut bereits angenommen hatten.

Im Herbst signalisierte die regierungsnahe Tageszeitung El País, die Verfassungsrichter könnten wesentliche Punkte des Statuts kassieren. Das führte zu einem Aufschrei des Protests. Der katalanische Regierungschef José Montilla warnte vor einer “Entfremdung” Kataloniens. Er steht der Sozialistischen Partei Kataloniens (PSC) vor. Ihr Verhältnis zu Zapateros PSOE gleicht dem von CDU und CSU in Deutschland. Nach dem Erfolg von Arenys de Munt forderten Montillas Koalitionpartner von der bürgerlichen Convèrgencia i Unió (CiU, Zusammenführung und Einheit) und der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC) sofort katalonienweite Abstimmungen. Das führte zu den Befragungen am heutigen Sonntag; weitere sind für Februar und April geplant.


Kataloniens 11. September

Ingo Niebel

Der diesjährige 11. September führte nicht etwa deshalb zu einem bösen Erwachen in Katalonien, weil Osama bin Laden am Nationalfeiertag, der Diada, in Barcelona zuschlug. Im Gegenteil. Der Schrecken war hausgemacht und fuhr nur den regionalen Parteien in die Knochen. Bei der traditionellen Demonstration mußten die Koalitionäre aus Sozialisten (PSC), Bürgerlichen (CiU) und Linksrepublikanern (ERC) feststellen, daß sich die meisten Katalanen nicht mehr ihren Blocks anschlossen, sondern sich bei den parteiunabhängigen Verfechtern der katalanischen Souveränität einreihten. An deren Spitze marschierte auch noch Joan Laporta, der Vorsitzende des FC Barcelona. Da der Barça als eine unantastbare, “nationale” Institution gilt, wäre jegliche Kritik an dem Oberfußballer politischer Selbstmord gewesen.

Seitdem versucht der Präsident der Regionalregierung, der Generalitat, und PSC-Chef, José Montillas, seine Alliierten von der Spanischen Arbeiterpartei (PSOE) in Madrid mit Engelszungen und harschen Worten zu einer Verteidigung der gemeinsam ausgehandelten Autonomie zu bewegen. Aber Premier José Luis Rodríguez Zapatero hält sich bedeckt; sein Infrastrukturminister José Blanco darf das Statut sogar grenzwertig nennen.

Den politisch höchsten Preis für die Mauscheleien in der Generalitat hat bisher die ERC bezahlt. 2006 votierte sie gegen das Statut, weil es ihr nicht weit genug ging; jetzt verteidigt sie es. Viele ihrer Unterstützter sind zu den Souveränitätsverfechtern gewechselt.

Aber auch die CiU bekam einen Dämpfer verpaßt: Spaniens Starrichter Baltasar Garzón ließ im Oktober hochverdiente Parteiveteranen wegen Korruption im Bauwesen in U-Haft nehmen. Es ist nicht die mutmaßliche Straftat, die verwundert, sondern der Zeitpunkt: Warum jetzt?

Nach außen versucht Zapatero, das Problem aufgrund seines zunehmenden Imageverlustes auszusitzen. Aber die Katalanen zu verärgern, ist gefährlich: Für ihre Freiheit stürzten sie schon einmal – 1931 – die Monarchie.

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