14.07.2009 | Stefan Natke, Donostia (Junge Welt vom 8.7.2009)

Im Baskenland kommen neun Beamte auf 1000 Einwohner. Nahezu täglich Razzien und Verhaftungen von Aktivisten der Unabhängigkeitsbewegung

Euskal Herria (Land der Basken), wie die sieben baskischen Provinzen diesseits und jenseits der Pyrenäen auf baskisch heißen, weist die höchste Polizeidichte in Europa auf. Auf 1000 Einwohner kommen neun Beamte. In Dänemark sind es zwei, in Deutschland drei, im spanischen Staat vier. Das gibt eine Vorstellung davon, was in dem kleinen Land am Golf von Biskaya für Zustände herrschen. Der erst unlängst angetretene sozialdemokratische Ministerpräsident dreier zur Autonomen Baskischen Gemeinschaft zusammengefaßter Provinzen, Patxi Lopez, hat sogar noch eine personelle Verstärkung der Polizeikräfte in Aussicht gestellt.

Das ist die Antwort auf den wachsenden Unmut großer Teile der Bevölkerung gegen die Politik des Francostaates in neuem Outfit. Es ist der Unmut einer Bevölkerung, der das Leben in einer solidarischen Gemeinschaft mit anderen Völkern in der spanischen Republik von den Faschisten unter Francisco Franco (1939 bis 1975) mit militärischen Mitteln verwehrt wurde. Es ist der Unmut von Menschen, die sich nicht damit abfinden, daß der spanische Staat seine Gewaltstrukturen im Baskenland auch nach dem Tod des Diktators im Dezember 1975 aufrecht erhalten hat.

In den vergangenen Jahren sind im Baskenland fünf politische Parteien und einige Dutzend Wahllisten verboten worden. Zwei Tageszeitungen und ein Radiosender wurden geschlossen. 772 politische Gefangenen sitzen in den Knästen. Das sind mehr Inhaftierte als im Francofaschismus. Kein Tag vergeht, an dem die Nachrichten im Radio oder in den Zeitungen nicht von neuen Verhaftungen berichten. In fast jeder Familie der knapp drei Millionen Basken ist ein Mitglied in irgend einer Form von Repressalien betroffen. Die Behandlung der Gefangenen in den möglichst weit vom Heimatort entfernten spanischen Gefängnissen ist grausam und entwürdigend. Dies ist auch in den entsprechenden Jahresberichten von Amnesty International nachzulesen.

In den Volkstavernen “Herriko Tabernak” der linken baskischen Unabhängigkeitsbewegung, von denen es in jeder Gemeinde mindestens eine gibt, hingen bis dato die Fotos der aus dem jeweiligen Ort oder Stadtteil stammenden politischen Gefangenen. Darunter fand sich die jeweilige Knastanschrift als Ermunterung, den Eingesperrten Briefe in ihre “schwarzen Löcher” zu schreiben. Die nun sozialdemokratisch geführte Polizei ist dazu übergegangen, in die Volkstavernen einzudringen und die Fotos zu entfernen. Die Bilder der Gefangenen seien eine Verherrlichung des Terrorismus, so die Begründung. Dabei sind viele der meist jungen Leute nicht einmal verurteilt worden. Es ist durchaus üblich, daß Jugendliche, die sich in der linken Unabhängigkeitsbewegung engagieren, bei Einschüchterungsrazzien einfach mitgenommen werden. Sie sitzen dann jahrelang ohne ordentliches Gerichtsverfahren im Knast und werden kurz vor Ablauf der maximalen Untersuchungshaftfrist ohne Anklagepunkte wieder auf freien Fuß gesetzt. Das bedeutet in den meisten Fällen bis zu vier Jahre Haft ohne die geringste Aussicht auf Entschädigung.

Auch im französischen Teil des Baskenlandes nimmt die Repression zu. Jeden Tag kommt es zu Razzien der Gendarmerie. Eine Reihe von Aktivisten der linken Unabhängigkeitsbewegung sind unter ominösen Umständen verschwunden. Zum Beispiel Jon Anza, der einen Zug bestieg, um zu Freunden zu fahren, aber nie am Zielort ankam. (junge Welt berichtete)

Das völlige Ausschalten der eine bürgerliche Demokratie charakterisierenden Gewaltenteilung ist im spanischen Staat ein Fakt. Die im Ausland kaum beachtete Manipulation der Wahlen zum Europaparlament im Juni, mit der der Einzug der Liste “Iniciativa Internacionalista Solidaridad entre Pueblos” verhindert wurde, ist ein weiteres Beispiel. All das führt aber nicht zu einem Aufschrei der Entrüstung bei den Nachbarn der sogenannten Europäischen Gemeinschaft. Im Gegenteil. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die spanische Repressionspolitik mit seinem Urteil zum Verbot der baskischen Linkspartei Batasuna am 30. Juni ausdrücklich unterstützt. Einstimmig erkannten die Richter an, daß die spanische Regierung, “den sozialen Frieden bedrohende und den Terrorismus fördernde Parteien” durch ein Verbot aus dem Wege schafft. Dieser Vorgang kennzeichnet auch den Charakter dieser EU, die die Judikative instrumentalisiert – sicher nicht nur um die Basken in Schach zu halten.

Leseempfehlung: Ingo Niebel: Das Baskenland – Geschichte und Gegenwart eines politischen Konflikts. Promedia, Wien 2009, 240 Seiten, 17,90 Euro


Erstveröffentlichung: Stefan Natke in Junge Welt vom 8.7.2009

Nachtrag (GARA, 11. Juli 2009): am 10. Juli 2009 werden acht von zwölf jungen Leuten, die bei einer der oben beschriebenen Einschüchterungsrazzien im Jahre 2005 verhaftet wurden, endlich freigesprochen. Die meisten von ihnen haben inzwischen mehr als 1 Jahr im Gefängnis verbracht. Die Mehrheit hat Folter während der Verhöre angezeigt. Vier Jugendliche wurden wegen Zusammenarbeit mit ETA zu je sechs Jahren Gefängnis verurteilt, eine Strafe, die meist verhängt wird, wenn nichts Konkretes über eine solche angebliche Zusammenarbeit bekannt ist.

Mehr als 116 solcher “Präventiver Verhaftungen” in sieben Polizeioperationen gab es während der ersten beiden Jahre nach Einführung dieser Razzien im Jahre 2003 (dem Beginn einer Serie von Verboten von Parteien und Organisationen).

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