19.04.2020 | Frau eines baskischen politischen Gefangenen zu Zeiten der Corona-Pandemie (vom 5.4.2020)

Zunächst einmal möchte ich euch hier aus dem Baskenland grüβen. Wie an so vielen Orten sind wir auch in Euskal Herria zu Hause und können nur zum Einkaufen oder um für unsere Alten zu sorgen raus. Der Zustand zieht sich in die Länge und plötzlich erledigen wir (im besten aller Fälle) all jene Dinge, die wir schon lange tun wollten.

In meinem Fall handelt es sich unter anderem darum, euch von der Situation unserer Gefangenen zu berichten. Eigentlich wollte ich dies auf eine ganz andere Weise tun, aber in diesem Moment ist der Virus allgegenwärtig, daher wird auch dieser kurze Brief von den von ihm provozierten Zuständen handeln.

Mein Mann sitzt seit mehr als 24 Jahren in französischen und spanischen Gefängnissen und in diesen Wochen hat es sich ergeben, dass wir plötzlich Tipps von drinnen bekommen, was wir für unser psychisches Wohlergehen tun können: wenn du eingesperrt bist, ist es gut, eine Routine zu schaffen und ihr so gut wie möglich zu folgen: Morgenyoga, Lernen, Lesen, gut Kochen (auch wenn sie hinter Gittern natürlich nicht diese Möglichkeit haben)… kurz gesagt, regelmäβige intellektuelle und körperliche Betätigung ist wichtig. Wer könnte das besser wissen, als unsere Freunde und Verwandten im Knast?

Am Anfang hatte ich Angst, dass der Virus im Knast ein Horrorszenario hervorrufen würde, denn es gibt unheimlich viele durch Süchte körperlich geschwächte soziale Gefangene, die bei der schlechten ärztlichen Versorgung im Knast so gut wie keine Chance hätten zu überleben. Von vielen unserer in die Tage gekommenen Genossen mal ganz zu schweigen. Zum Glück ist es noch nicht dazu gekommen.

Die zur Eindämmung der Ausbreitung des Virus ergriffenen Maβnahmen sind wohl nötig: Besuchssperre und Beendigung aller Aktivitäten (Kurse, Sport…). Doch hat diese amtliche Logik menschliche Konsequenzen, denn es ist sehr hart, deine Liebsten nicht sehen zu können. Keinen persönlichen Kontakt zu haben, auch keine Besuche mit Trennscheibe, ist nicht leicht – weder für die drinnen noch für uns drauβen. Hier gilt ja totale Ausgangssperre, also kämen wir sowieso nicht bis zum Gefängnis, aber als die Ausgangssperre noch nicht in Kraft getreten war, wurden bereits alle Besuche gestrichen. Das Argument war, dass wir Besucher uns in Gefahr begäben, denn wir würden ja untereinander Kontakt haben. Mein letzter Besuch war für den 3. Tag der Ausgangssperre geplant. Es ist inzwischen 6 Wochen her, dass ich meinen Partner gesehen habe. Davor sahen wir uns regelmäβig zweimal im Monat.

Als sogenannten Ausgleich haben unsere Gefangenen jetzt die Möglichkeit, 12 statt 10 Telefongespräche in der Woche zu führen. Vor einem Jahr setzten sie die Zeit für diese Gespräche von 5 auf 8 Minuten rauf. Nun kann mein Mann mich also dreimal die Woche anrufen und wir können 24 Minuten pro Woche miteinander sprechen. (Dass die Telefonkarten und Anrufe an ein Handy nicht gerade billig sind, und für einige soziale Gefangenen unerschwinglich, sei nur am Rande erwähnt.) Bei den Gesprächen merkt man die Sorgen auf beiden Seiten, aber wir versuchen, auch positive Dinge miteinander zu teilen: vor kurzem fiel Schnee und es war schön, die Formen der Flocken zu bestaunen. Wir erzählen uns von guten Büchern, die wir lesen und versuchen, unsere Gefühle offen mitzuteilen. Auch, wenn es nicht immer leicht ist, wenn man weiβ, dass es bei den Gesprächen keine Privatsphäre gibt.

Just vor dem Einbruch des Virus ins Baskenland gab es ein paar Verhaftungen wegen den Willkommensfeiern für entlassene politische Gefangene. Nun haben sich die Sorgen der spanischen Regierung verlagert und “alle Menschen” sollen vor dem Virus geschützt werden, auch die Menschen hinter Gittern. Es gibt die Möglichkeit für Gefangene im offenen Vollzug und bei kurz bevorstehender Beendigung der Haftstrafe, mit Überwachungsmaβnahmen (elektronische Fuβfessel, tägliche Telefonanrufe, etc.) versehen die Quarantäne-Zeit zu Hause zu verbringen. Aber natürlich nicht für baskische politische Gefangene. Gerade Alte und Kranke in den Gefängnissen sollen geschützt werden; nur, wenn es sich dabei um baskische Genossen handelt, sieht das mal wieder ganz anders aus.

Es macht mich wütend, zu sehen, wie die Ausnahmeregelungen auch nach 2011 (und nach 2018) weiterhin aufrechterhalten werden. Sie waren immer ungerecht, aber ich hatte geglaubt, dass sich die Situation in den Gefängnissen ändern würde. Heute erstaunt es mich, wie ich so naiv sein konnte. Und es macht mich traurig, dass viele Eltern und alte Verwandte der Gefangenen ihre Liebsten jetzt nicht sehen können und wir nicht wissen, ob sie noch am Leben sein werden, wenn Besuche wieder möglich sind.

Nun verabschiede ich mich von euch. Wenn ihr könnt, nutzt ein wenig dieser Zeit, die wir zu Hause verbringen, den politischen Gefangenen Briefe zu schreiben – nicht nur den baskischen – und passt auf euch auf!

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