28.11.2016 | Jose Goitia im Interview mit Joseba Sarrionandia, Havanna

Joseba Sarrionandia ist einer der bekanntesten und erfolgreichsten baskischen Schriftsteller der Gegenwart. Seine regelmäßig publizierten Werke werden als literarisch herausragend bezeichnet und mit Preisen bedacht. Dennoch kannte bis November 2016 niemand sein Gesicht. Denn Sarrionandia hat eine typisch baskische Geschichte hinter sich: Literat, ETA-Mitglied, Folteropfer, Flüchtling, unbekanntes Exil. Nach 30 Jahren tritt er wieder auf, weil er künftig für die Universität Havanna arbeitet.

Der baskische Exil-Schriftsteller Joseba Sarrionandia ist nach 30 Jahren wieder vor eine Kamera getreten, in Havanna, wo er an der Universität eine Lektoren-Stelle zu baskischer Kultur und Sprache antritt.

Joseba Sarrionandia Uribelarrea wurde am 13. April 1958 in Iurreta (Bizkaia) geboren. Er schloss das Studium der baskischen Philologie an der Universität von Deusto in Bilbao ab und arbeitete als Dozent für Phonetik an der Zweigstelle der spanischen Fernuniversität UNED in Bergara. 1977 gründete er gemeinsam mit dem Schriftsteller Bernardo Atxaga und dem Musiker Ruper Ordorika die avantgardistische Zeitschrift POTT, die maßgeblich zur Entwicklung der modernen baskischen Literatur beitrug.

Etwa zeitgleich trat Sarrionandia aus Empörung über die politische Kontinuität nach dem Ende der Franco-Diktatur der Untergrundorganisation ETA bei. 1980 wurde er verhaftet, schwer gefoltert und wegen mehrerer Banküberfälle zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt. Fünf Jahre später gelang ihm auf spektakuläre Weise die Flucht. Zusammen mit einem Mitgefangenen wurde er nach einem Konzert in einer Lautsprecherbox aus dem Gefängnis geschmuggelt. Diese Flucht inspirierte das berühmte Lied „Sarri, Sarri“ der Ska-Band Kortatu. Sarrionandia übersetzte Werke von Samuel Taylor Coleridge, Konstantinos Kavafis, T. S. Eliot und Fernando Pessoa. Von seinen vielen Werken wurden drei ins Deutsche übersetzt: Ni ez naiz hemengoa (1985, Von Nirgendwo und Überall, 1995 von Ruth Baier); Hau da nire ondasun guzia (1999, Gedichtesammlung auf CD); Lagun izoztua (2001, deutsch von Raul Zelik und Petra Elser: Der gefrorene Mann, 2007). (1)

Bernardo Atxaga, der POTT-Genosse Sarrionandias, ist längst zu einer Ikone der baskischen Literatur geworden, er hat es gar bis in die Heiligtümer der spanischen Schreibwelt gebracht. Atxaga war kein Radikaler, trotz internationalem Erfolg hat er sich seine kritische Haltung bis heute bewahrt. Als Gespenst ohne Gesicht hatte Sarrionandia einen ganz anderen Erfolg, einer der nicht mit einer öffentlichen Figur verbunden war. Wie ein Ghostwriter, den es nicht gibt, oder hinter dem sonstwer stehen könnte: nirgendwo und überall, wie seine auf Deutsch erschienene Gedichtereihe überschrieben ist. Bei POTT war außer Atxaga und Sarrioandia ein weiterer erfolgreicher Schreiber: Jon Juaristi, der Renegat, der Krawattenwechsler, der Gentscher. Er brachte es vom ETA-Militanten zum Vorsitzenden der Königlich-Spanischen Sprachakademie und zum Basken-Hasser par excellence. Will heißen: baskische Literaten sind nicht einfach Geschichten-Schreiber, ein Land im Konflikt bringt persönliche Geschichten hervor, die sonst nur Literaten zu erfinden vermögen.

Aufgrund seiner abenteuerlichen Biografie und seiner unbestrittenen literarischen Qualitäten wurde Sarrionandia bereits zu Lebzeiten zu einer Legende. Insbesondere durch den Kortatu-Song Sarri-Sarri, der wie kein anderes Lied in allen Radiosendern gespielt wird. Mit dem Foto vom Interview in Havanna verwandelt sich Sarrionandia von der Legende wieder zum Normalsterblichen. In drei baskischen Tageszeitungen gleichzeitig wurden Interviews veröffentlicht, die diese Metamorphose dokumentieren. Die Übersetzung (2):

Plötzlich erscheint Joseba Sarrionandia in Havanna – wo warst du die ganze Zeit?

Seit einigen Jahren lebe ich in Havanna auf Kuba und führe ein ganz normales Leben. Es überrascht mich, dass in der Presse steht, ich würde versteckt leben und dass ich es nicht zulasse, dass man mich fotografiert. Seit vielen Jahren lebe ich nicht versteckt, dennoch hatte ich kein besonderes Interesse daran, in der Presse aufzutauchen.

Seit 16 Jahren hast du keine Probleme mehr mit spanischen Gerichten. Warum lebst du so diskret?

Meine Arbeit ist das Schreiben, das ist eine Arbeit, bei der du dich zum Glück allein in die Ecke eines Raumes zurückziehen kannst und zu schreiben beginnst. Diese Arbeit gefällt mir, ich diskutiere auch gerne mit Freunden und schaue dem Mond zu. Aber ich wüsste nicht, weshalb ich auf einem Foto erscheinen sollte, wenn ich nicht gerade ein Buch herausgegeben habe.

Milan Kundera gefällt es auch nicht, in der Presse zu erscheinen, aber zumindest schickt er von Zeit zu Zeit ein Foto von sich. Selbst Salman Rushdie, der von den Islamisten bedroht wird, lässt sich gelegentlich in den Medien blicken. Von dir gab es 30 Jahre lang kein einziges neues Foto.

Ich will all jenen danken, die Fotos von mir haben und sie nicht veröffentlicht haben, aus reiner Menschlichkeit. Und ich danke dir, weil du mich mit Schriftstellern vergleichst, die in Babelia und in der New York Times erscheinen, ich denke nicht, dass ich mit diesen Eminenzen viel zu tun habe. Ich bin ein einfacher Schreiberling, der eine Hinterwäldler-Sprache benutzt, und ich sehe mich nicht in den audiovisuellen Medien. Mit dem Foto, das du gleich von mir machst, bezahle ich eine Art von Tribut an die Spektakel-Gesellschaft. Damit niemand mehr sagen kann, es gäbe keine Fotos von mir, und damit sie mich weiter in Ruhe arbeiten lassen. Mach bitte wenigstens drei Fotos, damit nicht irgendein Idiot kommt und dreißig machen will.

Als du von der Regierung Patxi Lopez den Euskadi-Preis bekommen hast (3), gab es einen kleinen Skandal: sie haben das Preisgeld zurückgehalten. Dann war von dir die Rede, als in der Mondragon-Universität eine Konferenz mit dir anberaumt wurde und niemand wusste, ob du nun öffentlich erscheinst oder nicht. Und nun haben sie dich in Havanna zum Dozenten für baskische Sprache und Kultur ernannt.

All das waren journalistische Luftblasen der Sensations-Presse und der Sensations-Politik, denn die Politik ist ebenfalls ziemlich gelb, wenn es um bestimmte Themen geht. In der englischen Sprache bedeutet „yellow“ nicht nur „gelb“, sondern auch „grausam“ und „feige“: die Stimme des anderen verfälschen, sensationalistische Überschriften verbreiten, Lügen werden über Wiederholung zur Normalität. Ich spreche von Müll. Vor etwas mehr als einem Jahrhundert machte William Randolph Hearst Schlagzeilen wegen seiner Art des Journalismus, aber seit Langem haben fast alle Medien die Hearst-Methoden kopiert.

Natürlich sind alle neugierig zu erfahren, wo du vorher gelebt hast.

Nun, ich habe an verschiedenen Orten gelebt, zusammen mit vielen Freunden und mit anderen Personen. Ich stehe nicht darauf, solche Dinge vor der ganzen Welt breit zu treten, ich ziehe es vor zu schreiben, denn Schreiben ist wie die Konversation mit einer Person. Wer meine Bücher mit etwas Aufmerksamkeit gelesen hat, weiß doch schon, wo ich mich bewegt habe.

Welche Art von Arbeit wartet in Havanna auf dich? Wie bist du dazu gekommen?

Vom Etxepare-Institut wurde in Havanna die Stelle als Lektor ausgeschrieben und ich habe mich ganz einfach darum beworben. Wir waren insgesamt 39 Bewerberinnen und Bewerber, so wurde mir gesagt, über ein Punkte-System wurden drei ausgewählt. Die Universität Havanna hat eine dieser drei Personen ausgewählt, entsprechend den allgemeinen Regeln für eine Einstellung. Im Juli haben sie mir Bescheid gegeben, dass ich mit der Arbeit beginnen könne.

Was werdet ihr da machen?

Das Fach „Baskische Sprache und Kultur” wird ein freiwilliges Fach sein, im dritten Jahr des Studiums von Sprachen und Literatur, und in Kunstgeschichte. Auch die galicische Sprache (Gallego), das Katalan und das Türkische sind Wahlfächer, nur Englisch ist ein Pflichtfach. Daneben wollen wir kulturelle Aktivitäten organisieren und an Veröffentlichungen arbeiten.

Was wollt ihr publizieren?

Eine Idee ist zum Beispiel, eine Zeitschrift mit dem Titel „Kokuioa” herauszugeben, also „Der Cocuyo” – das ist ein Käfer, der bei Nacht fliegt und grünes Licht ausstrahlt. Glühwürmchen haben das Licht am Hintern und der Cocuyo hat das Licht am Kopf – du verstehst schon! Ich hoffe, dass wir mit der Zeitschrift ein paar linguistische, literarische und historische Themen beleuchten können, die bisher wenig beachtet wurden.

Werdet ihr Konferenzen organisieren?

Ich hoffe ja, zum Beispiel über Blas de Otero, der zwischen 1964 und 1968 mehr als drei Jahre in Havanna gelebt hat. Das waren interessante und bewegte Jahre seines Lebens, über die bisher wenig geschrieben wurde. In einem Konservatorium wollen wir Leute versammeln, die ihn im Havanna jener Jahre kennen gelernt haben.

Du sprichst in der Wir-Form – arbeitest du mit anderen zusammen?

sarri15Ich bin der einzige Angestellte, aber ich muss den Plural benutzen für die freiwilligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in diesen drei Monaten bei mir waren. Professoren der Fakultät haben mir geholfen, sowie Baskinnen und Basken, die hier leben. Ihnen ist es zu verdanken, dass wir bereits ein gutes Lokal haben mit einer kleinen Bibliothek. Es freut mich sehr, dass bei unserer Arbeit Solidarität und Großzügigkeit eine Rolle spielen, das habe ich mit ziemlich vielen Personen erlebt.

Soeben wurde die Übersetzung von „Será colosal“ ins Spanische veröffentlicht, ich habe es auf Baskisch gelesen.

Das Buch erzählt den Blick eines Kindes auf den sogenannten Bürgerkrieg, auf die Ereignisse in einem imaginären Dorf an der Küste zwischen Ondarroa und Mutriku: die Unschuld steht der Katastrophe gegenüber. Der Titel bezieht sich auf den Triumpfalismus der Gewinner und auf das, was nach dem Ende der Kämpfe von 1937 geplant wurde. Denn was danach in Deutschland geschehen sollte, war tatsächlich kolossal.

Du bist gerade bei den letzten Korrekturen einer poetischen Anthologie – wie wird sie heißen?

Sie wird beim Pamiela-Verlag in Iruñea erscheinen, der Titel ist „Die Poesie ist tot“ (La poesía está muerta). Aber glaube nicht, dass ich das war!

Ich bin sicher, dass du in irgendeiner Weise beteiligt warst … Ich habe das Buch der Mauren gelesen, das mich erstaunt hat wegen der Nachforschungen, die dahinter stecken. Wie konntest du solch ein Buch schreiben?

Ich hatte ausreichend Zeit und war neugierig zu erfahren, wie sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts die Machtbeziehungen entwickelten, die Kolonialismus genannt wurden. Eine in spanischer Sprache geschriebene Grammatik aus dem Rif-Gebiet vermittelte mir einen roten Faden, um über die Themen Besetzung und Widerstand zu forschen, über Wirtschaft und Religion, Sprachen und Politik, ganz speziell in Nordafrika. Aber was im Rif geschieht, geschieht auf der ganzen Welt. Der „Maure“ ist immer der andere, am Ende sind wir selbst die wirklichen Mauren. Diese Machtverhältnisse etablieren sich überall, meine fixe Idee war, das Desaster zu verstehen, das unserer Gesellschaft zugrunde liegt.

Vergangenes Jahr hast du „Lapur banden etika ala politika“ publiziert, das bisher nicht übersetzt wurde, der Titel ist sehr vielsagend: die Ethik der Räuberbande oder die Politik.

Die Vorstellung, dass eine politische Organisation mit der Ethik einer Räuberbande funktioniert, durchquert die ganze politische Philosophie: es ist eines der grundsätzlichen Elemente bei Platons Republik. Augustinus von Hippo erläuterte diese Idee über eine fiktive Konversation zwischen Alexander dem Großen und einem Piraten. Der Kapitalismus, von Adam Smith bis zu Friedrich Hayek, geht davon aus, dass diese Bandenlogik das Wirtschaftswachstum ankurbelt. Das Schlimmste ist, es scheint wahr zu sein, denn die Zerstörung Libyens zum Beispiel ist zu einer großen Chance für die amerikanischen und europäischen Unternehmen geworden, zu wachsen und Arbeitsplätze zu schaffen, so sagen sie. Alle politischen Organisationen haben etwas von der Cosa Nostra, der reale Sozialismus scheiterte in diesen Widersprüchen. Gut, das ist eines der Themen des Buchs, es gibt auch Selbstkritik. Die entscheidende Frage ist, ob Politik nach anderen Maßstäben überhaupt möglich ist.

Dein Vater ist im vergangenen Sommer gestorben, wie lange hast du ihn nicht gesehen?

31 Jahre und ein paar Tage, das hinterläßt bei mir den Eindruck einer großen Schuld für diese ganze Zeit. Meine Mutter lebt noch, und eine Menge Neffen und Nichten.

Warum kommst du nicht zurück ins Baskenland?

Sagen wir mal aus politischen Gründen, ich hoffe, dass wir das bald klären können.

Was denkst du über den Friedensprozess? Ich frage das, weil dich viele Leute, vor allem in Spanien, mit ETA in Zusammenhang bringen.

Ende der 70er Jahre war ich bei ETA, genauso wie einige von denen, die mich heutzutage kriminalisieren. Danach zog ich kreuz und quer herum, aber nicht weil ich von ETA war, sondern weil mich die spanische Polizei verfolgte. Was deine Frage betrifft, ich bin natürlich einverstanden mit dem Prozess, ich denke sogar, er hätte zwanzig Jahre früher beginnen sollen, das hätte viel Leiden erspart.

Warum hast du dann nie öffentlich erklärt, dass du nichts mehr mit ETA zu tun haben willst?

Was sollte ich schon gegen die spanische Inquisition sagen, mit dem Tuch des Schuldigen um den Hals, während sie mich verfolgten wie eine Hexe im 17 Jahrhundert! Außerdem: die Verurteilten nochmal verurteilen? Ich stelle mich nicht in den Dienst der Inquisitoren. Sie haben ETA verfolgt, und ganz nebenbei auch jene, die nicht bei ETA waren. Seit fünf Jahren können sie ETA nicht mehr als Vorwand benutzen, aber sie machen genauso weiter wie vorher. Die Katalanen, die nie geschossen haben – Hunderte von politischen Repräsentantinnen haben sie mit Verfahren überzogen, nur weil sie die freie Entscheidung der Bevölkerung verteidigen.

Sie sprechen von Gewalt, dabei sind sie die einzigen, die Gewalt ausüben. Für Polizei und Militär haben sie einen beeindruckenden Haushalt, ganz leger berufen sie sich auf ihr Gewaltmonopol, das beinhaltet, dass sie Afghanistan und Irak bombardieren dürfen. Wer zweifelt daran, dass sie auch bereit wären, Gernika und Barcelona erneut zu bombardieren. Sie machen sich kein Bild davon, wieviele Leute im Baskenland, in Katalonien und Galicien die Unabhängigkeit wollen. „Meine Welt ist dieses Königreich nicht“, sagte José Bergamin, obwohl er ein wirklicher Spanier war.

Ich werde weiter kriminalisiert, solange ich nicht positiv über die Verfassung spreche, über die Guardia Civil und wie gut es uns Baskinnen und Basken doch in Spanien geht. Doch das ist nicht meine

Ich habe im Internet gesucht und zu meiner Überraschung ein Foto gefunden in der Tageszeitung El Correo vom 7. Juli 1985, bei dem offensichtlich ist, dass du gefoltert wurdest.

Das Foto ist von 1980, vom zweiten oder dritten Tag nach der Verhaftung, danach haben sie mich weitere sechs Tage lang gefoltert. In jener Zeit wurden die meisten Verhafteten gefoltert, weil wir Basken waren. Es gibt Leute, die behaupten, sie hätten nicht gewusst, was da passiert. Wie sollten sie es nicht wissen, wenn die Gesichter der Gefolterten sogar in der Presse erschienen! Über Jahrzehnte hinweg war die Folter normal, ich denke sogar, das ist bis heute so. Nur werden heute keine Fotos mehr veröffentlicht. Vor ein paar Tagen wurde im Kommissariat von Pamplona ein Senegalese umgebracht. Die Leute, die behaupten, nicht zu wissen, was geschieht – sie wüssten es wohl, wenn es umgekehrt passieren würde, nicht wahr?

Wie kann die Frage der baskischen Gefangenen gelöst werden?

Wenn Kriege oder politische Konflikte zu Ende gehen, muss es eine Übergangs-Justiz geben. Leider will der spanische Staat keinerlei Frieden, ebensowenig freie Entscheidungen der Bevölkerung. Solche Friedensprozesse sind also wie der Gang auf einem Bein.

Die Gefangenen müssten während des Friedensprozesses freigelassen werden. Da das nicht so ist, betrachte ich sie als politische Geiseln. Es ist tatsächlich viel Unrecht verursacht worden, aber die baskischen Gefangenen müssten freigelassen werden. Und sei es nur aus dem Grund einer vergleichenden Ungerechtigkeit, denn die Gewalt des Staates ist ja immer straffrei geblieben. Individuell gesehen hat der Guardia-Civil-General Enrique Rodríguez Galindo die meisten Toten auf dem Gewissen, er war nur ein paar Monate im Gefängnis; oder Felipe Gonzalez, der stand noch nicht einmal vor Gericht. (4)

Ich erwarte nicht, dass die Gefangenen freigelassen werden, noch dass sich der spanische Staat selbst wegen Mordes, Folter oder Gewaltmissbrauch anklagt. Ich weiß nicht, wie das Problem in den Griff zu kriegen ist, in den 70er Jahren wurde das mit viel Solidarität erreicht, mit gemeinsamen Aktionen verschiedener politischer Strömungen. Das Insistieren hat letztendlich die Mauern geöffnet.

Du hast dreißig Jahre ohne Foto und ohne öffentliche Arbeit gelebt. Beginnt nun ein neues Leben?

Ich denke, ich werde der Alte bleiben. Die Fotos, auf denen ich erscheine, gefallen mir nicht besonders. Ich werde weiter schreiben, das ist der Bereich, in dem ich etwas beitragen kann.

ANMERKUNGEN:

(1) Joseba Sarrionandia – Wikipedia (Link)

(2) Das an dieser Stelle übersetzte Interview wurde in der baskischen Tageszeitung GARA publiziert am 20.11.2016 (Link)

(3) Die Regierung Patxi Lopez kam zustande durch die Illegalisierung der baskischen Linken, die bei den Wahlen von 2012 ca. 15% der Stimmen erreichte. Weil dieser Stimmanteil für ungültig erklärt wurde, erhielten die „spanischen Parteien“ PSOE und PP zusammen eine „falsche“ Mehrheit, die zu einem Regierungswechsel führte, es war die einzige baskische Regierung nach Franco, in der die baskischen Christdemokraten von der PNV nicht vertreten waren. Eine unabhängige Literatur-Kommission hatte in jener Legislaturperiode entschieden, Joseba Sarrionandia den baskischen Literaturpreis zu verleihen. Als die Entscheidung öffentlich wurde, wurde das Preisgeld zurückgehalten und überprüft, ob gegen den Schriftsteller, der immerhin 1985 aus dem Gefängnis geflüchtet war, noch ein Verfahren anhängig war. Dieses Prozedere ging tagelang durch die Presse, die Regierung machte sich lächerlich, weil schon Jahre vorher klar war, dass Sarrioandia wieder einreisen konnte, wenn er wollte.

(4) Felipe Gonzalez war von 1982 bis 1996 spanischer Ministerpräsident. In diese Zeit fällt die Gründung der Todessschwadrone GAL (Grupos Antiterroristas de Liberación – Antiterroristische Befreiungs-Gruppen), an der staatliche Stellen, Polizisten und Neonazis beteiligt waren (1983 bis 1987). Felipe Golzalez gilt allgemein als Hauptverantwortlicher dieser Todeszüge, die mehr als 20 extralegale Exekutionen zur Folge hatte. Andere Minister und Vertrauensleute wurden verurteilt, Gonzalez schmückt sich bis heute mit vielsagenden Andeutungen, wurde aber nie zur Rechenschaft gezogen.

FOTO:

Joseba Sarrionandia beim Interview in Havanna 2016 (baskische Presse November 2016)

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