In Madrid sind fünf Basken wegen internationalistischer Solidarität angeklagt. Ein Gespräch mit Walter Wendelin (siehe Foto: jW, Sabine Peters) im Interview
Walter Wendelin gehört der baskischen Solidaritätsorganisation Askapena (Befreiung) an.
Ab Montag (19.10.2015) stehen Sie in Madrid vor dem spanischen Sondergericht gegen Terrorismusdelikte, der Audiencia Nacional. Ihnen drohen bis zu sechs Jahre Haft. Was wird Ihnen vorgeworfen?
Wir sind insgesamt fünf Angeklagte. Der Prozess richtet sich vor allem gegen die internationalistische baskische Vereinigung Askapena. Sie soll »geschlossen« werden. Das bedeutet formell kein Verbot der Organisation, läuft aber auf das gleiche hinaus. Konkret wird uns vorgeworfen, Reisebrigaden organisiert zu haben, die vor allem nach Lateinamerika, aber auch in die Westsahara, nach Kurdistan und nach Palästina gefahren sind. Solche Aktivitäten unternehmen wir bereits seit der Zeit der Solidarität mit der Sandinistischen Revolution in Nicaragua, also seit Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre. Ziel ist es, jungen Menschen zu zeigen, was Internationalismus und Solidarität bedeuten. Sie fahren dann für einen Monat oder länger in diese Länder, um die Realitäten dort kennenzulernen.
Ein zweiter Punkt ist, dass wir uns seit 1994 für gerechten Handel engagieren. Das ist ein gutes Instrument, um den Menschen zu erklären, wie die Ökonomie funktioniert und welche Alternativen es gibt. Wir beteiligen uns außerdem regelmäßig an den Weltsozialforen und waren auch einige Jahre lang mit einem Mitglied in der internationalen Koordination dieser Bewegung vertreten. Das wird uns ebenso vorgeworfen wie die Tatsache, dass wir die regionalen Sozialforen im Baskenland organisiert haben.
Und was ist daran ein Verbrechen?
Für die spanische Justiz ist es natürlich schwierig, mit diesen Aktivitäten eine Anklage zu begründen. Deshalb behauptet sie, dass wir unsere Arbeit nur gemacht haben, weil uns die bewaffnete Organisation im Baskenland, die ETA (Baskenland und Freiheit), das befohlen habe. Wir sollen unsere Aktionen also nicht aus eigenem Antrieb, nicht aus internationalistischem Solidaritätsbewusstsein, durchgeführt haben, sondern nur auf einen Befehl hin. Das ist natürlich absurd, denn wir sind eine legale, öffentlich arbeitende Vereinigung – und mit so einer kann eine klandestine Organisation, die bis vor fünf Jahren militärisch gekämpft hat, nicht zusammenarbeiten. Dafür gibt es einfach keine strukturellen Möglichkeiten.
Vielleicht wurden bei Razzien irgendwelche Papiere beschlagnahmt, in denen irgendwer unsere Arbeit ausgewertet hat, so wie auch Analysen über die Gewerkschaften und die gesellschaftliche Realität im Baskenland angefertigt wurden. Es ist schwierig, daraus einen Befehl zu konstruieren. Zudem müsste die Staatsanwaltschaft beweisen, dass wir diesen überhaupt bekommen haben und das, was wir getan haben, nur aufgrund dessen erfolgt ist.
Allerdings ist vor allem bei der Audiencia Nacional, diesem ehemaligen franquistischen Sondergericht, die Beweislast umgekehrt. Nicht der Ankläger muss ein Vergehen beweisen, sondern wir müssen belegen, dass die Anklage nicht stimmt. Aber das können wir natürlich auch kaum.
In Spanien gilt, dass alles, was baskisch ist und für Sozialismus und Unabhängigkeit eintritt, in denselben Sack gehört, weil die bewaffnete Organisation für die gleichen Ziele eintritt. Du wirst also nicht verurteilt, weil du irgendwas gemacht hast – Nicaragua-Kaffee zu verkaufen ist als Tat natürlich nicht strafbar –, sondern weil die Ziele, die du damit verbindest, in diesen Sack gehören. Deshalb gibt es derzeit mehr als 450 baskische politische Gefangene, und gegen 200 weitere wurden Anklagen vor der Audiencia Nacional erhoben.
Aber Spanien ist doch eine Demokratie?
Spanien hat es in den 70er Jahren geschafft, die sogenannte Transición zu vollziehen, die man eigentlich Traición, Verrat, an der Demokratie nennen müsste. In der Verfassung dieser so entstandenen Demokratie gibt es einen Artikel, der die spanische Armee zum Eingreifen verpflichtet, wenn irgendwo im Staat die Gefahr besteht, dass sich jemand abspaltet – auch dann, wenn die Regierung gegen ein solches Eingreifen ist. Die Armee steht also über der Regierung. Trotzdem ist Spanien in Europa als Demokratie akzeptiert.
Die spanische Justiz geht ja nicht nur gegen Basken vor, sondern auch gegen die katalanischen Unabhängigkeitsbestrebungen. So wird dem katalanischen Ministerpräsidenten Artur Mas und anderen Politikern wegen der Volksbefragung im vergangenen Jahr der Prozess gemacht. Wovor hat Madrid solche Angst?
Das spanische Imperium war einmal ein Reich, in dem die Sonne nie unterging. Doch in den vergangenen Jahrhunderten gingen alle Kolonien verloren. Die letzten waren Kuba, die Philippinen und die Westsahara. Jetzt fürchten die Machthaber, auch Katalonien und das Baskenland zu verlieren. Ohne deren Ökonomie wäre Madrid noch viel schlimmer dran.
Aber kann man Katalonien und das Baskenland wirklich als Kolonien bezeichnen?
Nein, diese Metapher war nicht gut gewählt. Es gibt einen Unterschied. In Kolonien werden deren Bodenschätze und Arbeitskräfte ausgeplündert, und es wird keine produktive Industrie aufgebaut. Das ist in Katalonien und im Baskenland genau umgekehrt, weil sich dort die Industrialisierung vollzogen hat, während in anderen Regionen – Andalusien ist dafür bekannt – die Großgrundbesitzer weiter in feudalen Verhältnissen gelebt haben. In dieser Hinsicht ist Spanien bis heute noch sehr feudal aufgebaut. Das sieht man auch, wenn man sich die Stammbäume der Mächtigen in der Wirtschaft, der Politik oder auch der Justiz anschaut.
Manche spanische Linke sagen, dass die Unabhängigkeitsbestrebungen Kataloniens und des Baskenlandes unsolidarisch seien. Aber es hat nichts mit Solidarität zu tun, die Korruption in Spanien zu bezahlen. Und Spanien ist vor allem in den letzten Jahren, seit der Bauboom zusammengebrochen ist, ein korrupter, gescheiterter Staat.
Erstveröffentlichung: junge Welt vom 17.10.2015 weiterlesen >>
Foto: junge Welt, Sabine Peters
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