Amapola Morea („lila Klatschmohn“) ist eine gemeinsame Sendung der freien Radios Antxeta Irratia und Oiartzun Irratia, in der jede Woche eine andere – bekannte oder weniger bekannte – Frau zu ihrem Leben und ihrem Schaffen interviewt wird. Darunter auch die Anwältin Onintza Ostolaza Arruabarrena, die im Januar zusammen mit zahlreichen anderen baskischen Anwälten und Anwältinnen in einer Polizeioperation gegen das Kollektiv der baskischen politischen Gefangenen, verhaftet worden war.
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Aitziber Zapirain: (…) und heute kümmerst du dich um die Verteidigung des baskischen Gefangenenkollektivs. Es ist bekannt, dass vor kurzem eine Polizeioperation gegen euch stattgefunden hat. Diesbezüglich fallen mir eine Menge Fragen ein, aber wie arbeitet ihr jetzt? Und vor der Operation? Unter was für Folgen habt ihr zu leiden?
Onintza Ostolaza: Die allerdeutlichsten sind die Einschränkungen, die uns der Richter auferlegt hat. Bestimmte Arten von Besuchen – die er vom Kollektiv organisierte politische Besuche nennt – dürfen wir nicht machen. Das sorgt bei uns für eine riesige Unsicherheit: wie es aussieht, kann ich nicht einen Gefangenen besuchen gehen und mit ihm über die politische Lage sprechen. Wenn ich das tue, riskiere ich wieder verhaftet zu werden oder ins Gefängnis zu kommen. Einschränkungen bei den Besuchen also, weil du nicht weißt, bis wohin du reden darfst. Es sind politische Gefangene, aber weil sie ihnen diesen politischen Charakter nehmen wollen, nehmen sie uns die Möglichkeit, über Politik zu sprechen. Sie meinen, dass wir ihren bloßen juristischen Prozess behandeln können.
Sie werfen uns einen Haufen Unsinn vor
Und zweitens die ökonomische Seite. Unter anderem werfen sie uns einen Haufen Unsinn vor: Geldwäsche – grade als hätten wir Konten in der Schweiz! –, und deswegen haben sie uns alle Konten eingefroren. Für die Arbeit haben wir es geschafft, dass wir ein neues Konto haben dürfen, um mit unseren beruflichen Tätigkeiten weitermachen zu können, aber im Privaten ist zum Beispiel alles gesperrt. Wir haben keine Möglichkeit, eine Bankkarte zu bekommen.
Aitziber Zapirain: Persönlich?
Onintza Ostolaza: Ja. Unsere Konten sind gesperrt und wir dürfen keine neuen eröffnen. Das sind die Einschränkungen, die sich praktisch am meisten auswirken, vom Richter selbst auferlegt. Und das Verbot, den Spanischen Staat zu verlassen. Ohne Erlaubnis kann ich nicht ins Nordbaskenland fahren. Das sind die, die sich praktisch am meisten auswirken, und die spürbarsten. Und dann die versteckten: eine deutliche Warnung, wir werden beobachtet, unsere Büros sind vollkommen überwacht … Das ist eine ständige Drohung, „geht brav den Weg, den wir wollen, so, wie wir es wollen, sonst sind wir zur Stelle!“ Mit allem, was das mit sich bringt, tun wir, was wir können. Letztendlich sind die im Gefängnis ihr Hauptziel, dass die politischen Gefangenen keinen Schutz mehr haben, und wir versuchen innerhalb unserer Grenzen, ihnen diese juristische und manchmal persönliche Verteidigung zu gewährleisten.
Aitziber Zapirain: Wenn die persönlichen Folgen so weit reichen, wie schafft ihr es da, das Ganze aus einer politischen Sicht zu betrachten? Deine Konten und die von vielen deiner Kollegen sind gesperrt, ihr könnt keine neuen eröffnen, aber ihr betrachtet dieses Ereignis aus einer politischen Sicht. Ist das schwer?
Onintza Ostolaza: Es ist eben so, eine rein politische Angelegenheit! Es ergibt keinerlei Sinn. Die Maßnahmen, die sie gegen uns ergriffen haben, sind nicht da, um meine Einkäufe einzuschränken, sie sind da, um mir meine Arbeit zu erschweren, und, wenn möglich, damit ich sage „Ich kann nicht mehr, ich gehe heim“ und die, die ich verteidige, ohne Verteidigung dastehen. Das ist das Ziel. Ich bin nicht wichtig, sondern die politischen Gefangenen hinter uns.
Mirari Martiarena: Das Recht hat viele verschiedene Sparten. Du hast dich dafür entschieden, in der Verteidigung der Rechte der baskischen Gefangenen tätig zu sein. Hast du schon manchmal gedacht „Wenn ich mich für eine andere Sparte entschieden hätte, hätte ich ein ruhigeres Leben“?
Onintza Ostolaza: Uff! Wir haben gesagt, dass wir ehrlich sein müssen, und in den letzten Monaten habe ich gedacht, dass es sogar besser wäre, Zahnärztin zu sein, als mich mit dem hier zu beschäftigen! Es setzt einem zu. Man stellt tausend Sachen in Frage und ich denke tausendmal: „Warum habe ich mich nicht für Lehramt entschieden?“ Aber da gäbe es auch Schwierigkeiten. Dann wieder schätze ich tausend andere Dinge und die Erfahrungen, die wir gemacht haben, das, was ich bis jetzt erlebt habe, und was ich in Zukunft erleben werde, das würde ich in irgendeinem anderen Beruf nicht erleben. Zum Schlechten, aber viele, viele, viele Dinge zum Guten. Auf jeden Fall.
Anwälte verteidigen Anwälte
Aitziber Zapirain: Und ihr, wer verteidigt euch? Welcher Anwalt übernimmt die Verteidigung anderer Anwälte?
Onintza Ostolaza: Wir wissen es noch nicht genau. Man kann sich selbst verteidigen vor Gericht. Aber das ist nicht besonders empfehlenswert. Wenn wir auf die hören, die erfahrener sind als wir, haben wir ein paar Freunde und Kollegen, ein paar Anwälte, die bereit sind, unsere Verteidigung zu übernehmen. Wir sind 46 Angeklagte, einige davon Anwälte. Einige von uns waren die Anwälte von welchen, die schon vorher angeklagt waren. Wir sind die Anwälte von manchen und genauso sind wir selbst Angeklagte. Deswegen können wir uns das Ganze nicht wirklich vorstellen: werden wir auf der Anklagebank sitzen und, um die anderen zu verteidigen, an den Platz der Anwälte gehen? Die, die an unserer Verteidigung arbeiten, machen ihre Arbeit sehr gut.
Mirari Martiarena: Als du verhaftet wurdest, hast du im Radio von Oiartzun erzählt, wie du sagen solltest, welcher Anwalt dich verteidigen soll, und angefangen hast, Namen zu nennen, und die Antwort war: „der ist verhaftet“ …
Onintza Ostolaza: Ja, so war es! Als sie zu mir nach Hause gekommen sind, habe ich gefragt, ob ich telefonieren dürfte, weil ich meiner Mutter Bescheid sagen wollte. Ich habe den Kollegen bei Whatsapp geschrieben: „Ich bin verhaftet worden“, und sofort haben einige andere zurückgeschrieben: „Ich auch.“ Als ich gebeten wurde, einen Anwalt zu nennen, habe ich nicht die, aber ein paar andere angefangen zu sagen und …
Aitziber Zapirain: Man hatte gehört, dass eine Polizeioperation gegen die Anwälte des Gefangenenkollektivs kommen würde. Warst du überrascht, als du die Tür geöffnet hast?
Onintza Ostolaza: Ich habe gedacht: „Aha, es ist passiert.“ Es war zu erwarten, aber du hoffst immer, dass es dich nicht trifft. Das ist ein Mechanismus, um im Alltag zu überleben. In meiner Situation, mit einem kleinen Kind, habe ich mir gesagt: „In meiner Situation ist es möglich, dass ich vorgeladen werde oder dass sie ein paar andere Maßnahmen ergreifen, und nicht, dass sie mich verhaften. Außerdem stille ich noch, dazu werden sie nicht fähig sein.“ Als ich sie an der Tür gesehen habe, habe ich gedacht: „Also doch; es hat mich erwischt.“
Aitziber Zapirain: Hast du nicht wegen der Uhrzeit geahnt, dass sie es waren?
Onintza Ostolaza: Ich habe nichts geahnt. Die Tür habe nicht ich aufgemacht, sondern Gorka. Statt zu klingeln hatten sie geklopft, klopf-klopf, ganz leicht. Zwei Stockwerke unter uns wohnt ein Freund und wir haben die Angewohnheit, wenn wir zueinander gehen, so zu klopfen, anstatt mit der Klingel zu stören. Ich habe gedacht, es wäre der Freund, „was hat er wohl um die Zeit?“ Aber es war nicht Anartz …
Mirari Martiarena: Es ist Zeit, das erste Lied zu spielen. Du hast Itsasoa gara („Wir sind das Meer“) von Ken7 ausgesucht. Warum?
Onintza Ostolaza: Es ist noch nicht alt. Es charakterisiert diese Zeit. Tropfen für Tropfen sind wir das Meer heißt es darin und ich denke, dass es darstellt, wie auf dem Gebiet, auf dem wir arbeiten, im Baskenland, Tropfen für Tropfen, ein Meer fordert, das hier endlich in Ordnung zu bringen. Vor allem die Lage der Gefangenen endlich in Ordnung zu bringen und ihre Rechte zu garantieren. Dafür waren die riesigen Demonstrationen in Bilbo in den letzten Jahren ein Beispiel und als deren Folge sind diese Operationen gekommen. In dieser Beziehung ist es ein Lied, das viel aussagt.
Mirari Martiarena: Onintza, hattet ihr den Verdacht, dass ihr möglicherweise verhaftet werden würdet?
Onintza Ostolaza: Ja. In der Zeitung Gara war im Sommer enthüllt worden, dass sie dabei waren, eine Operation vorzubereiten. Damals war mein Baby noch sehr klein, ein oder zwei Monate alt, und ich habe gedacht: „Mir kann jetzt nichts passieren.“ Zu diesem Zeitpunkt haben wir eine Menge organisiert: eine Pressekonferenz gegeben; wir haben uns mit der Anwaltskammer in Verbindung gesetzt, sie haben auch Sachen organisiert; wir haben dem Richter ein Schreiben zukommen lassen, dass wir bereit wären, die nötigen Erklärungen abzugeben und eine Aussage zu machen … Nachdem das alles getan ist, hast du ein bisschen Hoffnung.
Aitziber Zapirain: Auf internationaler Ebene werdet ihr auch Kontakte haben. Wir sehen die die Lage?
Onintza Ostolaza: Im Ausland versteht man viele der Sachen hier nicht. So ein Angriff auf Anwälte, nie im Leben. Innerhalb des Spanischen Staats hat sich auch die Vereinigung Spanischer Anwälte mit einem Schreiben gemeldet; da wir auch im Nordbaskenland Kollegen haben, wurde die Sache im Französischen Staat auch behandelt und das Kolleg von Baiona hat sich auch für unsere Lage interessiert; auf internationaler Ebene auch. Sie sind eingeschränkt. Empört ja, aber …
Uns haben sie mit Respekt behandelt
Aitziber Zapirain: In diesem Fall hilft Europa nicht viel weiter?
Onintza Ostolaza: Es wird helfen, aber wie in den anderen Bereichen auch: Europa und die Akteure fordern, dass die Gefangenen näher an zu Hause untergebracht werden, aber die, die hier regieren, sind eben die, die sie sind. Auf europäischer Ebene regiert auch die Rechte, also inwieweit da ein Druck besteht …
Mirari Martiarena: Du wirst an die ganzen Personen, die du verteidigt hast, gedacht haben, und daran, was sie durchgemacht haben.
Onintza Ostolaza: Ja, ja. Vor allem im Moment der Verhaftung. Es ist eine Folge der Arbeit, die im Baskenland und international geleistet wurde, dass wir keine Kommunikationssperre bekommen haben, auch wenn die Incomunicado-Haft immer noch in Kraft ist. Wir Kollegen haben uns darüber unterhalten, wir hatten alle das gleiche Gefühl in Intxaurrondo (Stadtteil von Donostia, in dem sich eine berüchtigte Kaserne der Guardia Civil befindet, Anm. d. Ü.): was sie hier alles durchgemacht haben … Wir waren in einem Loch, in einem Kerker, dunkel, kalt … Wir sehnten uns danach, dass sie die Tür aufmachen, um ein belegtes Brot oder die Milchpumpe zu bringen, um diese Stille und Kälte zu durchbrechen. Einige unserer Mandanten haben uns dagegen gesagt, dass sie Angst hatten, wenn sie Schritte gehört haben, „bitte macht meine Tür nicht auf“, weil, wenn diese Tür aufging, das, was sie bekamen, alles Mögliche sein konnte. Wir wurden respektiert, aber es ist hart. Ich will mir das der anderen nicht vorstellen … Wir kennen die Erzählungen und sie sind beängstigend.
Aitziber Zapirain: (…) Man fühlt sich ohnmächtig, oder?
Onintza Ostolaza: Ja. Letztendlich bist du ihnen ausgeliefert. Uns haben sie gut und mit Respekt behandelt. Wir haben versucht, Sachen zu verlangen, aber mit Respekt. Du weißt, wenn du dich aufspielst, gewinnen sie gegen dich, du bist ihnen ausgeliefert. Du versuchst die Dinge mit so viel Würde wie möglich, aber eben auf eine andere Weise zu erreichen.
Aitziber Zapirain: Ganz allgemein, wie bereitet man eine Gerichtsverhandlung vor? In eurem Fall zum Beispiel. Wenn der Mandant mit Sicherheit im Gefängnis ist, wenn die Besuche eingeschränkt sind, wenn ihr seit der Verhaftung auch noch unter anderen Einschränkungen zu leiden habt?
Onintza Ostolaza: Jemanden zu verteidigen, der im Gefängnis sitzt, war schon immer schwierig, vor allem wegen der Verstreuungspolitik (die Praxis, baskische Gefangene auf Gefängnisse im gesamten Spanischen bzw. Französischen Staat zu verteilen, Anm. d. Ü.). Es ist vorgesehen, dass der Gefangene einen Monat vorher nach Madrid gebracht werden muss, und oft halten sie nicht mal das ein. Also fährst du entweder bis nach Granada oder du musst abwarten, bis sie ihn „in die Nähe“ nach Madrid bringen, was für uns auch nicht besonders nah ist. Du kannst nicht zweimal pro Woche hin. Entweder bist du dort oder … Es ist immer eine Einschränkung. Wie man so eine Verhandlung vorbereitet? Nachdem du zuerst viele Stunden im Büro zugebracht hast – weil in diesen Fällen die Akten sehr umfangreich sind –die Besuche und die Vorbereitungen mit dem Angeklagten zusammen …
Einen Freispruch zu erreichen ist der Wahnsinn.
Mirari Martiarena: Ich weiß nicht, ob du die Angewohnheit hast, dir Arbeit mit nach Hause zu nehmen, oder ob man das auch lernt.
Onintza Ostolaza: In diesem Beruf nimmst du immer Arbeit mit heim. Wenn ich die Gerichtsverhandlung übermorgen habe, wenn ich heute statt acht Stunden vierzehn Stunden arbeiten muss, muss ich es eben tun. Obendrein ist das, was in diesen Fällen auf dem Spiel steht, heftig, das sind jahrelange Gefängnisstrafen. Du weißt, dass es oft nicht die Konsequenz deiner Arbeit sein wird, aber das ändert nichts daran, dass du es so gut wie möglich machen musst.
Aitziber Zapirain: Erinnerst du dich an irgendeinen Sieg?
Onintza Ostolaza: Ja! Einen Freispruch zu erreichen ist der Wahnsinn. Es sind nicht extra viele, aber ein paar sind es und in den letzten Jahren immer mehr. Es scheint, als bestände unsere Arbeit immer aus Rückschlägen und Rückschlägen, und es stimmt, dass alles sehr schwer vorangeht, aber die Siege, und wenn es die kleinsten sind, sind wahnsinnig. Freisprüche sind ein großer Sieg. Aber bei den alltäglichen Lebensbedingungen zu erreichen, dass infolge unserer Arbeit ein Paar zusammengelegt wird, ist eine riesige Freude. Oder dass die Haftbedingungen verbessert werden; dass mehr Besuche erlaubt werden zum Beispiel. Das hinterlässt auch einen guten Geschmack. Oder die Erlebnisse, wenn du mit den Gefangenen zusammen bist, die sind auch sehr bereichernd, in den Gefängnissen ist ein unglaublicher Schatz.
Aitziber Zapirain: Was ist der absurdeste Beweis, den du in der Audiencia Nacional (Sondergericht für Terror- und Drogendelikte, Anm. d. Ü.) gesehen hast?
Onintza Ostolaza: Uff! Eine Menge! Da fallen mir gleich die Verhandlungen wegen Segi ein: ein T-Shirt von der Gazte asanblada (politische Jugendlichenkollektive, die meist die selbstverwalteten Jugendzentren organisieren, Anm. d. Ü.) ist ein Beweis dafür, dass du Mitglied von Segi, einer terroristischen Organisation bist; ein Feuerzeug …
Aitziber Zapirain: Wenn sie in einer Spardose in einem Haus 10€ finden, kann das ein Beweis sein?
Onintza Ostolaza: Wenn dir vorgeworfen wird, dass du in deinem Ort Kassenwärtin von Segi warst, sicher ja. Das ist alles schon vorgekommen. Sie haben eine Frau dafür verurteilt, Kassenwärtin von Segi gewesen zu sein, und einer der Beweise waren diese vier Quittungen, die du bekommst, wenn du bei der Gazte Topagune (eine Art politisches Festival, das bis 2008 alle zwei Jahre stattfand, Anm. d. Ü.) etwas getrunken hast.
Mirari Martiarena: Und was für eine Beziehung habt ihr zu den Familien?
Onintza Ostolaza: Eine gute. Wir versuchen, so viel wie möglich mit dem Angeklagten, dem Gefangenen in Kontakt zu sein. Aber wenn er in dieser Situation ist, weit weg, zwingt uns das dazu, uns mit den Verwandten zu treffen. Wir bauen eine sehr enge Beziehung auf. Sie sind uns immer dankbar für die Arbeit, die wir machen, und wir sind ihnen auch dankbar, weil sie da sind. Ohne sie wären die im Gefängnis auch in einer anderen Lage. Was Kraft gibt, ist die Unterstützung von draußen, die bedingungslose Unterstützung, die die Verwandten geben.
Aitziber Zapirain: Das Baskenland ist eins, aber wir stehen immer noch unter der Verwaltung von Frankreich und Spanien. Ist es schwer zu sehen, wie viel die Santiago-Brücke, der Fluss Bidasoa trennt? In diesem Fall wirkt es sich sogar ganz direkt auf eure Arbeit aus. Im Nordbaskenland wäre so eine Polizeioperation gegen Anwälte sehr schwer oder undenkbar.
Onintza Ostolaza: Genauso, wie es undenkbar ist, mit den Beweisen, die ich erwähnt habe, als Mitglied von Segi verurteilt zu werden. Abgesehen davon, dass es ein ganz anderes System ist, ist die Situation auch völlig anders. Das ist deutlich.
Aitziber Zapirain: Ist das Gesetz unterschiedlich?
Onintza Ostolaza: Komplett. Ich könnte dort nicht arbeiten – wegen der Sprache und weil das System anders ist. Wir haben eine minimale Beziehung zu den Anwälten dort, wegen der Arbeit: die Europäischen Haftbefehle, die Auslieferungen … wir verfolgen die Urteile dort und so weiter; aber das ganze strafrechtliche Verfahren ist anders.
Mirari Martiarena: Und was für juristische Folgen hat die Verstreuungspolitik? In den spanischen Gesetzen, und in den internationalen, gibt es kein Gesetz, das die Dispersion unterstützt.
Onintza Ostolaza: Nein. Die existierenden Prinzipien sind sogar gegenteilig und die Haftstrafen sind da, um die Person zu resozialisieren, deswegen wir geraten, sie in der Nähe ihres Wohnorts unterzubringen. Es stimmt auch, dass es kein Gesetzt gibt, das bestimmt, dass sie in der Nähe sein müssen. Aber die Prinzipien sind offensichtlich. Die Sache ist, dass nicht die gesetzlichen Prinzipien angewandt werden, sondern politische Richtlinien. Der Minister hat klar gesagt: solange sich die Organisation ETA nicht aufgelöst hat, werden die Gefangenen nicht ins Baskenland gebracht. Aussagekräftiger gehts nicht!
(…)
Aitziber Zapirain: Muss es, damit ein Richter Ruhe befiehlt, einen richtigen Tumult geben oder bringen sie schon Kleinigkeiten auf die Palme?
Onintza Ostolaza: In der Audiencia Nacional braucht es nichts. Ein bisschen Applaus für den Angeklagten reicht schon, oder eine Bemerkung zum Sitznachbar, um sie nervös zu machen. Sie wollen dem ganzen den Anschein einer möglichst normalisierten Gerichtsverhandlung geben.
Aitziber Zapirain: Und wenn jemand anfängt, Baskisch zu reden?
Onintza Ostolaza: Beim Publikum greifen sie nicht ein. Und der Angeklagte hat das Recht, auf Baskisch auszusagen. Es wird ihm ein Übersetzer zur Verfügung gestellt. Dieses Recht wird in der Audiencia Nacional respektiert.
Mirari Martiarena: Aber na ja, die Übersetzer sind verbesserungswürdig …
Onintza Ostolaza: Ja. Oft empfehlen wir selber, auf Spanisch auszusagen, je nach Erklärung. Wenn es eine einfache Aussage ist, nicht. Aber es ist schwer, einen guten Übersetzer zu erwischen, und auch wenn du einen guten erwischst, sind der Ausdruck, den du beim Sprechen verwendest, und der, den der Übersetzer übersetzt, sehr verschieden. Wir glauben, dass diese Direktheit besser ist.
Im Alltag Spanisch zu reden fällt mir sehr schwer,
Aitziber Zapirain: Wer überprüft diese Übersetzung? Musstet ihr schon mal sagen „hey, das hat er gar nicht gesagt“?
Onintza Ostolaza: Ja, schon oft.
Aitziber Zapirain: Versuchen sie zu betrügen?
Onintza Ostolaza: Nein, betrügen nicht. Wir haben schon alles gehabt. Auch welche, mit denen wir sehr gut zurechtgekommen sind. Sie arbeiten mit gutem Willen, aber ich weiß nicht, welche Qualifikationen verlangt werden, um diesen Job zu machen. Vielleicht reicht es, einfach Baskisch zu können. Und nein, es ist nicht das Gleiche, ob du eine Sprache kannst oder sie übersetzt, vor allem wenn es eine Simultanübersetzung ist. Meistens fehlt ihnen die Kompetenz.
Mirari Martiarena: Trainierst du vor dem Spiegel, wie du die Sachen sagen wirst?
Onintza Ostolaza: Vor dem Spiegel nicht, aber ich habe schon meine Familie meine Plädoyers anhören gelassen. Nach zwei Minuten hören sie mir schon nicht mehr zu, aber na ja …
Aitziber Zapirain: Ist es schwierig für dich, Spanisch zu sprechen?
Onintza Ostolaza: Es fällt mir schwer. Der Jargon in diesem Beruf ist nicht das umgangssprachliche Spanisch. Im Alltag Spanisch zu reden fällt mir sehr schwer, erst recht in Oiartzun, mit meinen Freunden, mit meiner Familie … da kann ich kein Spanisch reden. Aber wenn du ins Gericht gehst, schlüpfst du in den Jargon von dort, und die juristische Sprache ist sehr präzise, sehr speziell. Du gewöhnst dich daran. Ich habe immer auf Baskisch gelebt, deswegen denke ich auf Baskisch und übersetze es später.
Mirari Martiarena: Wann schreit Onintza Ostolaza? (In Anspielung auf das von ihr gewünschte Lied Oihu, „Schrei“, Anm. d. Ü.)
Onintza Ostolaza: Manchmal rutscht es mir heraus. Ich hatte meine erste Assistenz, als die Leute aus Oiartzun verhaftet wurden, und nicht bei der ersten Razzia, aber danach, wurde Oihana, die eine gute Freundin von mir ist, verhaftet. Am Tag, nachdem ich an der Audiencia Nacional assistiert hatte, sind wir nach Soto del Real gefahren, um sie zu besuchen, und im Radio kam dieses Lied. In mir war ein Gefühl von Nervosität, weil ich meine Freundin im Gefängnis sehen würde, ich will schreien, bis meine Seele zerreißt … Dieser Moment hat sich in mir festgesetzt. Es handelt von Schmerz, ihr Schmerz kann genauso viel wert sein wie unserer. Es gibt viel Schmerz in diesem Land. Ein Freund hat mir erzählt, dass, während wir verhaftet waren, in Intxaurrondo, Berri Txarrak in Intxaurrondo in Konzert gegeben haben, und dass sie gesagt haben „von Intxaurrondo nach Intxaurrondo“ und uns gewissermaßen dieses Lied gewidmet haben, und Mann! Danke, Berri Txarrak!
Mirari Martiarena: Viele von uns fragen sich, wird die Lage der baskischen Gefangenen wohl irgendwann in Ordnung kommen? Glaubt ihr, dass das in naher Zukunft passieren wird?
Onintza Ostolaza: Ob in naher oder in ferner Zukunft, es wird in Ordnung gebracht werden, weil es in Ordnung gebracht werden muss. Daran habe ich keinen Zweifel. Wir erleben gerade recht finstere Momente, aber ich habe durchaus Hoffnung. Die Mehrheit im Baskenland will das und die Lage gibt dieser rechten, besessenen Regierung, die im Spanischen Staat an der Macht ist, eine Antwort. Hoffentlich wird es in dieser Beziehung Veränderungen geben. Und wenn es keine gibt, werden wir weitermachen müssen, aber es muss eine Lösung geben.
Aitziber Zapirain: Die Botschaft, die bei den letzten Verhaftungen aus dem Baskenland verbreitet wurde, ist, dass Solidarität keine Straftat ist. In eurem Fall haben sie euch dafür mitgenommen, eure Arbeit getan zu haben, neulich haben sie Psychologen verhaftet, die warten jetzt auch auf ihre Gerichtsverhandlung. Diese Woche (die Woche vom 17. April, Anm. d. Ü.) kam in den Nachrichten, dass Spanien im Jahr 2015 schon mehr Personen verhaftet hat als im Jahr 2014. Als ich das gehört habe, ist mir aufgefallen, dass sie nicht gesagt haben, dass die Verhafteten wieder freigelassen wurden, auch wenn sie noch auf ihre Verhandlung warten. Was für ein Spiel sie da wieder spielen. Hattet ihr schon das Gefühl, dass ihr nur Zahlen seid?
Onintza Ostolaza: Auf jeden Fall. Unser Ermittlungsverfahren haben sie mit den Mitgliedern von Herrira angefangen: wozu verhaften sie die, um sie zwei, drei, vier Tage auf der Wache der Guardia Civil zu behalten, sie dem Richter vorzuführen und alle dann freizulassen, oft ohne Kaution zu bezahlen? Das gehört alles zum Medienzirkus. Das können sie sich alles sparen, indem sie die Leute vorladen, wir würden unsere Ausgaben selber bezahlen, und das wars. Aber sie wollen eine Botschaft vermitteln, um einen gewissen Sektor zufriedenzustellen: „Wir gehen weiter gegen die ETA vor, solange sich die ETA nicht auflöst, werden wir weiter auf sie eindreschen.“ Und da die ETA nicht mehr aktiv ist, dreschen sie eben auf andere ein.
Aitziber Zapirain: In deinem natürlichen Umfeld wirst du ganz offen sagen können, dass du Anwältin des Gefangenenkollektivs bist, aber hast du schon einmal in einer Umgebung oder einem Moment das Gefühl gehabt, dass es besser ist, das nicht zu sagen?
Onintza Ostolaza: Wir sind Anwälte. Es stimmt, dass wir uns vor allem dem widmen. Jeder Angeklagte hat das Recht auf einen Anwalt! Oft kriminalisieren wir uns selbst. Wenn wir jemandem sagen, ich arbeite in Madrid, was, und es erklären, wird das im Baskenland und in Spanien selbstverständlicher aufgenommen, als wir denken, in dem Bereich, in dem wir arbeiten.
Aitziber Zapirain: Nach was riecht die Audiencia Nacional?
Onintza Ostolaza: Die Audiencia Nacional ist umgezogen. Seit drei Jahren wird sie umgebaut, deswegen ist sie jetzt in einem anderen Gebäude eine Straße weiter untergebracht und die Gerichtsverhandlungen finden in einem Vorort statt, in San Fernando de Henares. Das Gebäude wird renoviert, dieses Jahr soll es angeblich fertig werden. Der Geruch weiß ich nicht, aber das Bild ist das einer Kaserne, Polizei, Kisten in allen Ecken … eine Katastrophe. Du denkst: „Ist das hier die Audiencia Nacional?“ Der Oberste Gerichtshof sieht anders aus, aber die Audiencia Nacional wirkt wie ein Kommissariat. Desastre, a lo español. Alt, hässlich, heruntergekommen …
Mirari Martiarena: Würdest du uns einen anderen Ort in Madrid zum Besichtigen empfehlen?
Onintza Ostolaza: Stell dir vor, wie oft wir dort sind, aber wir kennen quasi nichts. Das Zentrum und wenig mehr. Morgens gehen wir zum Joggen oder so in den Retiro-Park. Aber wenn du fertig bist, hast du keine Lust, dort zu bleiben. Du kommst nicht auf die Idee, einen Tag länger zu bleiben und ein bisschen Tourismus zu machen. Du willst wieder zurück nach Hause. Oft ist die Korrespondentin von Gara da und sagt, dass sie uns Sachen zeigen kann, und wir sagen immer ja, aber dann wollen wir doch heim.
Aitziber Zapirain: Auf der CD 18/98 heißt es wann werden wir nach Madrid in Urlaub fahren?
Mirari Martiarena: Gozategi singt das, mit Versen von Igor Elortza.
Onintza Ostolaza: Also ich würde gehen. Wenn das hier alles zu Ende ist. Madrid kennen lernen, weil ich es gar nicht kenne!
Original in baskischer Sprache: weiterlesen >>
Übersetzung: Silvie Strauß, 24.8.2015, Erläuterungen der Übersetzerin in Klammern
Foto: Onintza Ostolaza
Zum Hintergrund siehe auch “Spanischer Anschlag auf Meinungsfreiheit” (Uschi Grandel, 12.1.2015): weiterlesen >>