14.08.2015 | Raoul Rigault im Gespräch mit Igor Arroyo (junge Welt vom 14.8.2015)

Die Arbeitsbedingungen werden im Baskenland prekärer – auch durch Zutun der großen Gewerkschaftsbünde.

Igor Arroyo ist Sprecher der linken baskischen Basisgewerkschaft Langile Abertzaleen Bartzordeak (LAB) in Nafarroa (Navarra), die laut Wikipedia knapp 50.000 Mitglieder hat.

Der spanische Staat ist von der globalen Krise sehr stark betroffen. Wie ist die wirtschaftliche Lage im Baskenland?

Dank der mangelnden Souveränität konnte uns die spanische Regierung neoliberale Reformen aufzwingen. Dadurch sind wir sozial um Jahrzehnte zurückgeworfen worden. Sie hat die öffentlichen Dienstleistungen gekürzt, Privatisierungen durchgesetzt, die Prekarisierung der Arbeitsbedingungen vorangetrieben und das Rentenalter angehoben. Die baskische Oligarchie hat diesen Prozess durch die Schließung der Sparkasse von Navarra und die Umwandlung aller anderen Sparkassen der Region in eine Bankenstiftung noch verstärkt. Trotz einer kämpferischen und klassenbewussten Gewerkschaftsbewegung, einer langen industriellen Tradition und eines starken Widerstandes in der Bevölkerung gegen den Sozialabbau waren wir nicht in der Lage, diesen Prozess aufzuhalten. Es ist uns jedoch gelungen, ihn im Unterschied zum restlichen Staat zu begrenzen.

Wie weit verbreitet sind prekäre Beschäftigungsverhältnisse in den baskischen Betrieben?

Sie haben sich parallel zur Entwicklung der Dienstleistungsgesellschaft verbreitet. An die Stelle der kleinen Läden mit geregelten Arbeitszeiten und stabilen Beschäftigungsverhältnissen sind die großen Supermarkt- und Kaufhausketten getreten, die versuchen, sich mit niedrigen Preisen Marktanteile zu sichern. Das geht zulasten der Belegschaft. Aber auch in der Industrie geht es immer prekärer zu, vor allem durch die Auftragsvergabe an Subunternehmer. Und im öffentlichen Dienst, in dem es traditionell ein höheres Lohnniveau und bessere Arbeitsbedingungen gibt, haben die Kollegen Gehaltseinbußen hinnehmen müssen, bei einer Flexibilisierung, die noch höher ist als im Privatsektor.

Sie kritisieren die Politik der großen Gewerkschaftsbünde Comisiones Obreras (CCOO) und Unión General de Trabajadores (UGT). Was ist falsch an ihrem Verhalten?

Unternehmer und Regierung wissen ganz genau, dass UGT und CCOO am Ende jede Barbarei akzeptieren. Sie unterzeichneten zum Beispiel die Heraufsetzung des Rentenalters auf 67 Jahre. Bei Indra, einem Unternehmen, an dem die spanische Regierung beteiligt ist, haben sie 1.750 Entlassungen abgesegnet. Vor zwei Monaten schlossen sie mit der Firma Movistar ein Abkommen, um den Streik der scheinselbständigen und der bei Subunternehmern angestellten Techniker zu brechen. Sie unterschrieben auch das Zusatzabkommen zur Privatisierung der Flughafenverwaltung AENA. Das ist die größte Privatisierung seit den 90er Jahren. Bei Branchenvereinbarungen wie der für die Metallindustrie in der Region Araba gaben UGT und CCOO grünes Licht für die Umsetzung der Arbeitsmarktreform und akzeptierten so die Senkung der Reallöhne und die Möglichkeit, dass die Unternehmen den geltenden Tarifvertrag nicht anwenden.

Vor kurzem gab es eine neue Verhaftungswelle der Polizei gegen linke Aktivisten. Wie stark ist die Repression gegen Ihre Organisation und die Unabhängigkeitsbewegung insgesamt?

Die Unterdrückungspolitik gegen das baskische Volk wird beibehalten, obwohl die ETA bereits vor vier Jahren den bewaffneten Kampf endgültig aufgegeben hat. Der Nationale Gerichtshof Audiencia Nacional hat die Beschlagnahmung von 110 Büros und Veranstaltungsräumen der nach Unabhängigkeit strebenden Linken angeordnet. Das ist der größte derartige Raub seit 1936. Bei drei Millionen Einwohnern gibt es 438 politische Gefangene aus der Unabhängigkeitsbewegung. In Deutschland entspräche dieses Verhältnis etwa 11.000 solcher Inhaftierter. Praktisch alle Verhafteten werden über die Gefängnisse des spanischen und des französischen Staates verstreut. 58 von ihnen sind mehr als tausend Kilometer weit weg untergebracht.

Der autoritäre Charakter des spanischen Staates kommt auch in anderen Regionen zum Ausdruck. Am 23.Juli veröffentlichte die UNO unter anderem Berichte über die Menschenrechtslage in Venezuela und in Spanien. Während die UNO es im Hinblick auf Venezuela bei einigen Empfehlungen beließ, rügte sie Spanien in äußerst harter Form in 26 verschiedenen Bereichen. Die Vorwürfe reichen von unrechtmäßigen Abschiebungen über polizeilichen Rassismus, Verstoß gegen die Gleichbehandlung von Männern und Frauen, sexistische Gewalt und illegale Abtreibungen bis zu den Internierungslagern für Ausländer…


Erstveröffentlichung: junge Welt vom 14.8.2015 weiterlesen >>

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