Am 2. Juni 2015 fand in Freiburg eine Kundgebung für Tomas Elgorriaga Kunze statt. Tomas “war vor über 15 Jahren nach schwerer Folter aus Spanien geflohen und lebte bis zu seiner Verhaftung unter dem Namen José Gabriel Jiménez in Freiburg, wo er nach seinem Studium an der Uni arbeitete”, so leitet das Bündnis Solidarität mit Tomas seinen ausführlichen Bericht über die Kundgebung auf linksunten.indymedia.org ein. Bericht mit allen Redebeiträgen: zum Bericht >>

Wir veröffentlichen den Redebeitrag von Dr. Wiebke Keim, ehemalige wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Soziologie und langjährige Kollegin von Tomas Elgorriaga Kunze:

“Ich zögere daher nicht, die Freilassung von Tomas zu fordern, …”

Liebe Leute,

ich schreibe diese Zeilen aus dem Ausland und bedaure sehr, bei der heutigen Kundgebung nicht dabei sein zu können. Es ist ein wichtiges Zeichen, dass Menschen aus Freiburg auf die Straße gehen, um sich mit Tomas, den wir als José kennen, zu solidarisieren.

Ich habe in den letzten vier Jahren mit Tomas in einem Forschungsprojekt am Institut für Soziologie zusammen gearbeitet. Unser Arbeitsverhältnis war sehr gut. Ich schätze Tomas als Menschen sehr und habe großen Respekt vor seinen intellektuellen Positionen, die er in vielen und vielseitigen Diskussionen vertreten hat. Man kann sicherlich sagen, dass wir in den letzten Jahren beide viel voneinander lernen konnten. Und ich erwarte mit größter Ungeduld das Ende seiner Haft, um unsere sozialwissenschaftlichen Vorhaben fortsetzen zu können.

Es erfüllt mich mit Wut und Ohnmacht, dass er nun seit sieben Monaten in U‐Haft sitzt, und dass wir kaum etwas für ihn zu tun vermögen. Besonders schwierig ist dabei, dass es derzeit, unter den Bedingungen der U‐Haft und bei laufenden Ermittlungsverfahren, keine Möglichkeit gibt, sich mit ihm selbst über die Vergangenheit und die Zukunft, über die Stoßrichtung von möglichen solidarischen Aktivitäten und über seine Einschätzung zu aktuellen Lage im Baskenland und in Europa auszutauschen. Wenn ich heute zu der Sache etwas sagen soll, was über eine persönliche Sympathiebekundung hinausgeht, so kann ich mich dabei nur auf die Informationen und die Meinung von Dritten stützen. Insbesondere, was die Presse betrifft, sind wir mit weit auseinander klaffenden Berichterstattungen konfrontiert.

Doch vielleicht kommt es im Moment auch gar nicht darauf an, was wirklich geschehen ist und ob überhaupt irgendeine der insbesondere in der spanischen Presse verbreiteten Anschuldigungen gegen Tomas begründet sind. Diese Fragen stellen derzeit Ermittlungsbehörden und Justiz, ich will sie nicht stellen. Ein gewisses Maß an Unwissen hält mich nicht davon ab, heute zunächst die Nichtauslieferung von Tomas nach Frankreich zu fordern. Es ist sein Wunsch, sowie die Zielsetzung der Familie und der solidarischen Bewegung im Baskenland, dass das Verfahren in Deutschland stattfinden soll. Hier hat er die letzten 10 Jahre gelebt, und hier erhofft er sich ein faireres Verfahren als in Frankreich. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass er von Frankreich aus nach Spanien ausgeliefert werden könnte. Alleine diese Befürchtung ist für einen durch Folter Traumatisierten unzumutbar. Ich unterstütze daher voll und ganz die Forderung, dass Tomas nicht nach Frankreich ausgeliefert wird!

Ich will noch eine weiterreichende Forderung stellen. Die ETA befindet sich seit mehreren Jahren auf dem Weg hin zu einer friedlichen Lösung des Konfliktes und hat den bewaffneten Kampf aufgegeben. Die Geschichte des Konfliktes zwischen ETA und spanischem Staat ist auf beiden Seiten eine blutige.

Sie nahm ihre Ursprünge in der Errichtung der Franco‐Diktatur als Ergebnis des spanischen Bürgerkriegs. Am spanischen Bürgerkrieg war nicht zuletzt die deutsche Legion Kondor zur Unterstützung der spanischen Faschisten maßgeblich beteiligt. Die deutschen Truppen fanden hier ein Versuchsfeld zur Vorbereitung des nächsten Krieges vor. Mein Großvater war für die Faschisten im spanischen Bürgerkrieg. Und kurz nach Tomas Verhaftung traf ich mich mit seinem baskischen Rechtsanwalt, Jonan Lekue, der aus Guernica stammt. Das sind Umstände, die mich in all den vergangenen Monaten sehr viel zum Nachdenken angeregt haben.

Bis heute hat es die baskische Bewegung geschafft, zumindest nach außen hin, keine klare Trennlinie zu ziehen zwischen der bewaffneten ETA einerseits und der breiteren linken Bewegung im Baskenland andererseits. Eine eindeutige Distanzierung der breiteren Bewegung und der legalen Parteien von den Aktivitäten der ETA, die von Kritikern stets gefordert und erwartet wurde, hat, soweit ich informiert bin, nie ausdrücklich stattgefunden. Dies ist gerade im europäischen Kontext, wo die Gewaltfrage regelmäßig zur Spaltung linker Bewegungen geführt hat, bemerkenswert. Es macht gleichzeitig für Externe wie mich die Positionierung gegenüber dieser Bewegung als Ganzer problematisch. Es ist ein Privileg, in Zeiten und in einem gesellschaftlichen Umfeld aufgewachsen zu sein, wo es nicht allzu viel verlangt war, pazifistische Positionen einzunehmen. Und es ist nachvollziehbar, dass Menschen, die in einem von Gewalt geprägten Umfeld aufwachsen, selbst eine andere Disposition gegenüber der Gewaltfrage entwickeln und den Einsatz von Gewalt zur Erreichung politischer Ziele anders beurteilen. Umso wichtiger erscheint es mir für beide Seiten, die entgegengesetzten Positionen stets in immer erneuten Auseinandersetzungen zu formulieren und jeweils erneut zu überdenken. Gemäß Jonan Lekue, dem baskischen Anwalt von Tomas, der auch jahrelang auf europäischer Ebene politische Arbeit für die baskische Bewegung geleistet hat, waren es unter anderem die unablässigen Zweifel der sympathisierenden Gruppen quer durch Europa an der Haltung der ETA und der breiteren baskischen Bewegung gegenüber der Gewaltfrage, die zum Richtungswechsel 2010 geführt haben. Auf die einzelnen Etappen des nachfolgenden, bisher weitgehen einseitig geführten Friedensprozesses möchte ich nicht weiter eingehen. Die spanische Regierung hat auf das Friedensangebot bisher weitgehend mit Blockadehaltung und anhaltender Kriminalisierung reagiert. Die baskische Seite dagegen verhandelt gerade die Frage der politischen Gefangenen im Zuge des Friedensprozesses als Ganzem.

Das Kollektiv der Baskischen Politischen Gefangenen schreibt 2013: „Aufrichtig anerkennen wir all das Leid und den vielseitigen Schaden, der als Konsequenz des Konflikts entstand“. Eine solche ethisch begründete Einsicht scheint mir eine wesentliche Grundvoraussetzung für den Erfolg einer friedlichen Lösung. Das Kollektiv fordert außerdem: „Der politische Ursprung des Konflikts verlangt eine politische Lösung“. Weiterhin: „Wir unterstützen das neue Szenario, das nach dem Ende der bewaffneten Aktivitäten von ETA entstand, die politischen und demokratischen Wege und Methoden für die Freiheit des Baskenlands, wir stimmen den Entscheidungen, die in dieser Hinsicht getroffen wurden, zu. Deshalb bekräftigen wir nochmals unsere Abkehr von den Methoden, mit der in der Vergangenheit Unterdrückung, Repression und Verletzungen von Rechten bekämpft wurden“. Ferner schreibt das Kollektiv: „Wir akzeptieren die volle Verantwortung für die Konsequenzen unserer politischen Aktivitäten im politischen Konflikt. Wir sind bereit, unsere individuelle Verantwortung in einem abgestimmten Prozess unter entsprechenden Bedingungen und Garantien zu analysieren“ (1).

Seit seiner Festnahme kann und muss sich Tomas nicht mehr verstecken. So wie ich ihn kenne, bin ich überzeugt, dass er all sein Engagement daran setzen würde, um den Friedensprozess weiter voranzubringen und an einer friedlichen Lösung im Baskenland mitzuwirken. Er hat mir aus dem Gefängnis geschrieben, dass es zu seinem größten Leidwesen war, dass er in all der Zeit in Freiburg nie politisch aktiv werden konnte. Wir sollten uns vergegenwärtigen, dass die linke Bewegung im Baskenland Visionen von einer besseren Gesellschaft nährt, die in Europa heute weitgehend mangeln. Auch wenn einige der Beteiligten diese über lange Jahre mit Mitteln durchzusetzen versuchten, die ich für falsch halte, wäre es wichtig, aus den positiven Aspekten der baskischen Bewegung zu lernen. Der Versuch, im Baskenland auf kleiner Ebene ein Experiment für eine egalitärere, demokratischere Gesellschaft zu wagen, könnte durch den Friedensprozess eine neue Chance erhalten. Ich bin überzeugt, dass Tomas seine intellektuellen und politischen Fähigkeiten zum Einsatz bringen wird, um die Baskenfrage im Sinne einer friedlichen Lösung heute voranzubringen.

Ich zögere daher nicht, die Freilassung von Tomas zu fordern, um ihm die Möglichkeit zu geben, sich mit voller Kraft für eine friedliche Lösung einzusetzen. Im Sinne des Friedensprozesses im Baskenland, Freiheit für Tomas! Freiheit für alle politischen Gefangenen!

(1) „Erklärung des Kollektivs der baskischen politischen Gefangenen EPPK“ vom 28.12.2013, in deutscher Übersetzung. http://www.info‐baskenland.de/1363‐0‐EPPK+Erklaerung.html (Zugriff 2.6.2015).


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