27.05.2014 | Aitziber Laskibar Lizarribar (Berria vom 16.5.2014)

Einen Verwandten im Gefängnis zu haben bestimmt das Leben der Angehörigen vollkommen; die Entfernung ist der Hauptfeind eines normalen Alltagslebens. Regelmäßig tausende Kilometer zurücklegen zu müssen, zerstört den Alltag der Kinder ganz besonders.

25 Jahre sind vergangen, seit die systematische Verstreuung der baskischen Gefangenen (Politik der Inhaftierung in spanischen und französischen Gefängnissen, die möglichst weit vom Baskenland entfernt sind, Anm. Info Baskenland) beschlossen wurde, und seither hat ein großer Teil der baskischen Gesellschaft unter ihren Auswirkungen gelitten. Auch heute noch wird das Leben Tausender davon bestimmt, einen Verwandten in einem entfernten Gefängnis zu haben. BERRIA hat die Erfahrungen von vier von ihnen dokumentiert.

FERNANDO MUJIKA (Vater der Gefangenen Ander und Julen Mujika)

„Sie wollen unsere Söhne durch uns psychologisch bestrafen.“

Fernando Mujika ist 61 Jahre alt und hat zwei Söhne; beide in Frankreich im Gefängnis: Ander im Gefängnis Becierres in der Nähe von Montpellier und Julen in Toulouse. Die Entfernung bestimmt sein Leben vollkommen. Freitags um 15:00 von der Arbeit nach Hause und sofort ins Auto, an drei Freitagen im Monat. Mit seiner Frau zusammen legt er die ganze Strecke am Stück zurück. Wenn alles gut läuft, hält er nicht an, bis sie gegen 23:00 ihr Ziel erreichen. Seine Frau und er nutzen die Mautstellen auf der Autobahn, um sich mit dem Fahren abzuwechseln. „Sonst würden wir erst nach Mitternacht oder morgens um zwei ankommen, und um 6:30 müssen wir schon wieder aufstehen für den Besuch.“

Seit acht Jahren macht er die ständigen Reisen nach Frankreich, seit sein jüngster Sohn verhaftet wurde. Da Ander in den ersten vier Jahren bei Paris untergebracht war, konnten sie mit dem Zug fahren oder mit dem Flugzeug fliegen. Dann wurde er jedoch nach Moulins verlegt. Danach noch weiter, nach Bourg-en-Bresse in der Nähe der Schweiz, 870 Kilometer von zu Hause entfernt. Nun mussten sie zwangsläufig mit dem Auto fahren. Genauso wie seit anderthalb Monaten, um zum Gefängnis Becierres in der Nähe von Montpellier zu kommen.

Nur sehr wenige Leute haben die Erlaubnis bekommen, Ander zu besuchen, vier Freunde und ein paar Verwandte. Das macht es sehr schwierig, einen wöchentlichen Besuch zu gewährleisten, und deshalb fahren die Eltern jede zweite Woche zu ihm.

Auch nach Toulouse fahren sie mit dem Auto, um den anderen Sohn zu besuchen. Einmal im Monat, weil Julen der Besuch von mehr Freunden erlaubt wurde. So haben sie also ein Wochenende im Monat frei.

Die Zeit, die Ander in Bourg-en-Bresse untergebracht war, war die härteste für den Vater. „Ich war dazu gezwungen, an zwei Tagen zweitausend Kilometer zurückzulegen; jedes Wochenende mehr als 400 Euro auszugeben.“ Das schwierigste sei der Winter, meint er. „Es ist kalt, es hat fast immer Schnee, Regen und Nebel.“ Er ist schon bei minus zehn Grad über die gefrorene Autobahn gefahren; er ist hinter dem Streufahrzeug hergefahren, mit 20 Stundenkilometern, 200 Kilometer lang.

Die Gelegenheit, bei seinen Söhnen sein zu können, entschädigt ihn jedoch dafür. Ihm ist klar, dass die Verstreuung eine politische Entscheidung ist, und auch, was ihr Ziel ist: „Sie wollen unsere Söhne psychologisch bestrafen; sie benutzen uns, um gegen unsere Söhne vorzugehen.“

IÑAKI GABILONDO (Lebensgefährte der Gefangenen Alicia Saez de la Cuesta und Vater ihrer beiden Töchter)

„Das Härteste ist, dass die Distanz den Lebensrhythmus zerstört.“

Er kennt die Folgen der Verstreuung gut; die Auswirkungen, die die Entfernung auf die Verwandten und vor allem die Kinder hat. Aber er sieht sich als „privilegiert“. Er hat Glück, weil seine Lebensgefährtin und Mutter seiner beiden Töchter in Logroño untergebracht ist. „Unterhalb von Madrid ist es eine ganz andere Geschichte.“

Seit 13 Jahren ist seine Lebensgefährtin im Gefängnis. Sie haben zwei Töchter, die im Gefängnis geboren wurden, neun und vier Jahre alt. Die ersten drei Jahre ihres Lebens haben die Töchter bei ihrer Mutter im Gefängnis verbracht, in Aranjuez. Bis vor einem Jahr ging er sie dreimal im Monat besuchen, um seine Lebensgefährtin zu sehen und, was noch wichtiger war, um die ältere Tochter zu ihrer Mutter zu bringen und mit der kleinen rauszugehen. Bis sie drei Jahre alt waren, lebten die Töchter im Gefängnis und an den Wochenenden ging der Vater mit ihnen nach draußen.

„Mit den Kleinen“ seien die Reisen „schwierig“, sagt er, was am schwersten falle, sei, sie „an diesen Rhythmus zu gewöhnen“, an die unumgängliche Eile und Anspannung. Zusätzlich waren in Aranjuez für die Vis-à-vis-Besuche der Donnerstag und der Montag vorgesehen. Das bedeutete, dass Arbeits- und Schultage verpasst werden mussten; ein Bruch des Alltagslebens.
Einen Arbeitsplatz zu finden, der mit solchen Bedürfnissen zusammenpasst, ist nicht leicht. Die Töchter müssen ihre Mutter sehen, aber auch in die Schule und den Kindergarten gehen. Und sein Chef hat ihn schon darauf hingewiesen, dass er immer die gleichen Stunden ausfallen lassen muss. „Es ist hart.“

Wenn das Gefängnis näher gelegen ist, ist die Situation eine andere. Es ermöglicht „trotz der Besuche ein halbnormales Leben zu führen“. Das hat sich gezeigt, seit seine Lebensgefährtin nach Logroño verlegt wurde. „Das steht in keinem Zusammenhang“, meint er und gibt zu, dass er sich „privilegiert“ fühlt. Er erklärt, dass die Distanz „den Lebensrhythmus zerstört“. „Du kannst kein normales Alltagsleben führen.“ Das ist seiner Meinung nach das Härteste.

Auch wenn ihm die Umstände viel genommen haben, konzentriert er sich auf das, was sie ihm gegeben haben. Und er ist dankbar. Wenn er von der Hilfe der Leute in seinem Umfeld spricht, ist er sichtbar gerührt. Die Familie unterstützt ihn finanziell. Darüber hinaus findet er bei den Einwohnern seines Orts Hilfe jeglicher Art. Er wohnt in Leintz Gatzaga und erklärt, das Dorf sei „wie eine große Familie“ für ihn. Alle würden mithelfen. „Einer leiht uns im Sommer seinen Wohnwagen, ein anderer kocht uns Abendessen, wenn wir von den Fahrten zurückkommen …“ Auch wenn er alleine einen Besuch macht, bleiben die Töchter bei Freunden, „in der großen Familie“.

MAIDER ALUSTIZA (Frau des Gefangenen Jon Enparantza und Mutter seiner fünf Kinder)

„Wir konnten bis jetzt noch nicht als ganze Familie zusammen sein.“

Sie hat fünf Kinder mit Jon Enparantza: Je eins von 14, 10 und 8 Jahren, sowie sechsjährige Zwillinge. Der Vater ist in Segovia im Gefängnis, seit er im Januar verhaftet wurde. Vorher war er schon einmal ein Jahr im Gefängnis gewesen und hat insgesamt sieben Gefängnisse kennen gelernt. Sein Frau meint, sie sei zur „Expertin“ darin geworden, Reisen überallhin zu organisieren. „Ich könnte ein Reisebüro aufmachen.“

Als Mutter von fünf Kindern jedes Wochenende tausend Kilometer zurücklegen zu müssen stellt Alustiza immer wieder vor Schwierigkeiten. „Ich habe alles mögliche probiert: Flugzeug, Zug, Bus, Auto.“ Meistens sind die Gefängnisse jedoch weit außerhalb der Ortschaften, an Orten, an die man nur mit dem Auto gelangt. Die Entscheidung für öffentliche Verkehrsmittel verstärkt die Schwierigkeiten also nur.

Aber den Kindern wird schlecht im Auto. Auf der Fahrt übergeben sie sich, „wenn nicht das eine, dann das andere“. Inzwischen wechseln sie ab mit den Verkehrsmitteln und fahren entweder mit dem Auto oder mit dem Zug nach Segovia. Samstagmorgens haben sie dort den Termin. Manchmal fahren sie am Vortag los, manchmal samstagmorgens um fünf. Die Kinder sind bei der Ankunft fix und fertig. Sie sind immer „sehr nervös“ und schlafen auf der Fahrt nicht. Es ist schon vorgekommen, dass sie bei einem Vis-à-vis, das sie einmal im Monat haben, sofort eingeschlafen und den ganzen Besuch über nicht aufgewacht sind.

Denn die Anspannung ist laut Alustiza nicht mit der Reise zu Ende. Bis jetzt hatte sie eine besonders grobe Haltung der Gefängniswärter zu erleiden. „Sie haben mir gesagt, dass die Kinder, wenn sie sich nicht von oben bis unten ausziehen, auf den Besuch verzichten müssen, und obwohl ich die Erlaubnis schriftlich hatte, haben sie mich dazu gezwungen, von fünf Kindern zwei draußen zu lassen. Für wen soll man sich entscheiden? Was soll man ihnen sagen?“

Das ist das Problem, über das sie sich am meisten beklagt, dass ihre Bitte, alle fünf Kinder zusammen den Vater besuchen zu lassen, abgelehnt wurde. Es seien zu viele, heißt es. Sie müssten aufgeteilt werden. Folglich können die Kinder nur alle zwei Monaten ihren Vater treffen. In einem Monat kommen drei mit der Mutter mit, im nächsten die restlichen zwei. Das ist das, was am härtesten für sie ist. „Es ist wichtig, sich als Familie zu treffen, und wir konnten bis jetzt noch nicht als ganze Familie zusammen sein.“

Was die Unterstützung angeht, hilft ihr die Familie finanziell und auf den Fahrten. Hilfe von Freunden hat sie auch: wenn sie ihren Mann alleine besuchen geht, verteilt sie die Kinder auf die fünf Häuser von fünf Freunden. „Ich packe sieben Taschen; für jedes Kind eine, meine eigene und das Paket für Jon.“
Bis jetzt fährt sie jedes Wochenende nach Segovia, da die Freunde ihres Mannes keine Erlaubnis haben.

JOSE RAMON ARKAUZ (Bruder von Josu Arkauz und Vater von Kepa Arkauz)

„Nur wir Eltern und sein Bruder haben die Erlaubnis, unseren Sohn zu besuchen; wir wechseln uns ab.“

Die Fahrten nach Frankreich hatte er schon vor 23 Jahren kennen gelernt, als sein Bruder Josu Arkauz verhaftet wurde. Sechs Jahre verbrachte er in Gefängnissen in der Umgebung von Paris, und als sie dachten, er würde freigelassen werden, wurde er an Spanien ausgeliefert, verhaftet, brutal gefoltert und wieder ins Gefängnis gesteckt. In Madrid, Cadiz und Galizien war er seither unter anderem. Heute ist er im Gefängnis von Murcia, etwa 900 Kilometer von zu Hause entfernt. Arkauz’ Sohn Kepa wurde letztes Jahr in Frankreich verhaftet und ist jetzt in Villepinte im Gefängnis. „Nachdem es aussah, als würden die Dinge langsam in Ordnung kommen, wiederholt sich gerade wieder die gleiche Geschichte.“

Der Weg nach Murcia ist weit, aber der 60jährige aus Arrasate nennt auch einen Vorteil: Alle zwei Wochen fährt der Bus Mirentxin; um den Verwandten die Reisen zu erleichtern, fährt eine Gruppe Freiwilliger sie zu den Besuchen. Die Freundin seines Bruders und weitere Freunde von ihm besuchen ihn außerdem oft. „Ein Glück.“

Die Situation seines Sohns ist schlimmer. Nur drei Personen haben die Erlaubnis, ihn zu besuchen: Mutter, Vater und Bruder. Sie wechseln sich ab, zwangsläufig, und jeder fährt einmal im Monat zu dem französischen Gefängnis, alleine.

„Die Verstreuung bestimmt dein Leben“, sagt er. „Die ganze Woche über denkst du an die Fahrt: ob es wohl Regen, Nebel oder Schnee geben wird.“ Das Ziel sei „anzukommen“, meint er. „Wenn irgendwas passiert, kommst du nicht an.“ Und er beklagt sich, dass diese Anspannung genutzt wird, um sowohl die Verwandten als auch die Gefangenen in die Enge zu treiben. „Aber wir Familien werden immer da sein; wir werden sie nicht allein lassen.“


Erstveröffentlichung: Berria vom 16.5.2014 in baskischer Sprache

Übersetzung: Silvie Strauß

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