Größte Demonstration in der Geschichte des Baskenlands für die Rechte der baskischen politischen Gefangenen
Von Uschi Grandel
Mehr als 115000 Demonstranten brachten Bilbo (spanisch: Bilbao) am vergangenen Samstag für Stunden zum Stillstand und übertrafen damit sogar noch die massive Beteiligung des Vorjahres. Eigentlich sei es mehr eine Besetzung Bilbos, witzelte die baskische Zeitung GARA in ihrem Bericht über die ungeheuere Zahl der Demonstrationsteilnehmer. Von einer einzigen Demonstration konnte man gar nicht sprechen. In parallelen Zügen bewegte sich das Menschenmeer in Richtung Rathaus. Abschlußkundgebungen gab es gleich mehrfach auf verschiedenen großen Plätzen.
Die Demonstranten forderten ein Ende der Sondergesetze, denen die baskischen politischen Gefangenen unterworfen sind. Die Menschen sind empört, daß ein Jahr nach dem Ende des bewaffneten Kampfes von ETA weder die spanische noch die französische Regierung Schritte in Richtung der Lösung des Konflikts unternehmen. Internationale Konfliktmoderatoren hatten dazu vor über einem Jahr mit der »Erklärung von Aiete« einen Fahrplan vorgegeben, den die baskische Bevölkerung mit überwältigender Mehrheit unterstützt. Die Einhaltung der Menschenrechte der aktuell 605 Gefangen ist dabei eines der zentralen Themen.
Wer befürchtet oder gehofft hatte, die Enttäuschung über fehlende Fortschritte in der Gefangenenfrage könnte in Resignation umschlagen, sah sich getäuscht. Ein breites Spektrum von Menschen unterschiedlichster politischer Richtungen, sozialen Bewegungen, Gewerkschaften und einer Vielzahl politischer Repräsentanten war präsent. Von den vier großen baskischen Parteien hatte allerdings nur die Linkskoalition Bildu den Aufruf zur Demonstration unterstützt. Die baskische Rechte teilt die Ansicht des spanischen Justizministers Alberto Ruiz-Gallardón, die Demonstration wäre besser verboten worden. Obwohl die baskischen Regionalparteien PSE und PSN der spanischen Sozialdemokraten ihren Mitgliedern die Teilnahme verbot, sah man Repräsentanten der PSN aus Nafarroa (spanisch: Navarra) auf der Kundgebung. Die baskische konservative PNV versuchte im Vorfeld den Balanceakt zwischen der Ablehnung der Demonstration durch ihre Führung und der Bedeutung des Themas für viele ihrer Mitglieder. Sie erklärte, »es sei doch besser, in vertraulichen Verhandlungen Verbesserungen zu erreichen«. Die vielen Demonstrationsteilnehmer aus dem Umfeld der PNV sahen dies offensichtlich anders.
Die Zahlen, mit denen die Angehörigen der Gefangenen Anfang des Jahres Bilanz zogen, sprechen eine deutliche Sprache. Von den 605 Gefangenen, die derzeit in spanischen und französischen Gefängnissen sitzen, würden 224 Gefangene sofort entlassen werden, wenn geltendes spanisches Recht die Sondergesetze ersetzte. Das Martyrium der Angehörigen, die im Durchschnitt für jeden Besuch eine Anreise von 800 Kilometer zu bewältigen haben, weil die Gefangenen auf etwa achzig Gefängnisse in ganz Spanien und Frankreich verteilt sind, steht im Widerspruch zum Gesetz zur heimatnahen Unterbringung von Gefangenen. Lediglich sechs Mitglieder des Kollektivs der baskischen politischen Gefangenen sind in Gefängnissen im Baskenland inhaftiert.
Erstveröffentlichung: Junge Welt, 14.1.2013 weiterlesen >>