Das baskische Parlament, in dem die Unabhängigkeitsbewegung so stark ist wie nie zuvor, hat einen neuen Regierungschef
Nach den vorgezogenen Neuwahlen im Oktober hat das baskische Parlament in Vitoria-Gasteiz am Donnerstag einen neuen Regierungschef gewählt. Der 51-jährige Iñigo Urkullu wurde von den 27 Parlamentariern seiner Baskisch-Nationalistischen Partei (PNV) zum “Lehendakari” (Ministerpräsident) gewählt. Am Mittwoch verfehlte er die nötige absolute Mehrheit, da die nach Unabhängigkeit von Spanien strebende Partei “Bildu” (Sammeln) selbstbewusst ihre Kandidatin Laura Mintegi aufgestellt hatte.
Erst im zweiten Wahlgang wurde der PNV-Chef mit einfacher Mehrheit gewählt. Die ehemalige Universitäts-Professorin kam auf 21 Stimmen. Kein Kandidat wurde von spanischen Parteien unterstützt. Urkullu hat kein Bündnis geschlossen. Er will mit als Minderheitsregierung das Autonomiegebiet regieren, dass pro Kopf mit mehr als 30.000 Euro die höchste Wirtschaftsleistung ausweist. Die fast 2,2 Millionen Einwohner erwirtschaften 65 Milliarden Euro pro Jahr.
Die PNV übernimmt wieder das Steuer, womit das dreijährige Intermezzo der spanischen Sozialisten (PSOE) beendet wurde. Mit Hilfe der rechten Volkspartei (PP) konnte sie erstmals nach dem Tod des Diktators 1975 das Baskenland regieren. Das Bündnis zerbrach aber an Widersprüchen. Dass erstmals spanische Parteien das Baskenland regierten, wurde 2009 nur möglich, weil Parteien der linken Unabhängigkeitsbewegung verboten waren.
Die baskische Linke hat sich in Bildu neu gruppiert und wurde aus dem Stehgreif mit 25 Prozent zweitstärkste Kraft. Das Bündnis hat alle Rekordergebnisse der baskischen Linken pulverisiert. Verlor die PNV nur einen Sitz, wurde das bisherige Regierungsbündnis abgestraft. Die PSOE von Ex-Lehendakari Patxi López brach von 25 auf 16 Sitze ein. Die PP des spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy ist statt mit 13 nur noch mit
10 Sitzen in Vitoria-Gasteiz vertreten.
Dass Urkullu in zentralen Fragen auf die Linksnationalisten angewiesen ist, wurde in seiner Rede deutlich. Er verwies darauf, dass erstmals eine Legislaturperiode anbricht, “in der niemand für seine Ansichten” von der Untergrundorganisation ETA angegriffen oder bedroht werde. Die ETA hatte auf Druck der baskischen Linken ihren Kampf ohne Vorbedingungen eingestellt. Da sich nun wieder alle Parteien wählbar waren, sei im
Parlament nun wieder die “Pluralität” vertreten, bekräftigte Urkullu.Er sprach von einem “Neustart”. Das Parlament sei der Ort, an dem nun Abkommen geschlossen werden müssten und nicht in “Allparteiengesprächen”.
In den Verbotsjahren hatte die aus den Institutionen gedrängte baskische Linke stets einen runden Tisch gefordert, um ein Friedensabkommen auszuhandeln, über das die Bevölkerung per Referendum zu entscheiden habe. So war es kein Zufall, dass Urkullu neben einem “Plan zur Reaktivierung der Wirtschaft” zentral auch ein “Abkommen über Frieden und Zusammenleben” anstrebt.
Als dritten zentralen Punkt nimmt er das Projekt des 2009 abgewählten Regierungschefs Juan José Ibarretxe (PNV) wieder auf und fordert ein “Abkommen über einen neuen Status” für das Baskenland. Ibarretxe hatte das Autonomiemodell als “gescheitert” bezeichnet, weil zentrale Kompetenzen in 30 Jahren nicht übertragen worden waren und über Gesetze und Dekrete die Autonomie untergraben wurde. Bildu ist sich mit der PNV darüber einig, dass dieser Vorgang gerade sich deutlich an den Bildungsreformen zeige. Deutlich wurde das auch für die Angestellten im öffentlichen Dienst. Obwohl die Basken die Defizitvorgaben erfüllen, wird auch ihnen das Weihnachtsgeld gestrichen. Für die Linke ist
auch das ein klares Beispiel, dass der Spielraum trotz des eigenen Finanzierungssystems immer kleiner werde.
Während die Linke traditionell auf die Loslösung von Spanien setzt, hält sich Urkullu alle Türen offen. Er will die “Eigenständigkeit” vertiefen, die er mit “Wohlstand” gleichsetzt. Da der geforderte neue Status das “Selbstbestimmungsrecht” einschließt, bleibt auch der Weg für die PNV offen, den die katalanische Schwesterpartei CiU geht. CiU-Parteichef Artur Mas will die Katalanen über die Unabhängigkeit abstimmen lassen. In den Verhandlungen zur Regierungsbildung kristallisiert sich heraus, dass dies 2014 parallel zum Referendum in Schottland geschehen soll.
Im baskischen Parlament treten nun zwei Drittel der Parlamentarier für das Selbstbestimmungsrecht ein. Urkullu kommt der linken Bildu auch in Fragen der spanischen Sparpolitik entgegen, welche die “Pfeiler” des Sozialstaats angreife und das Land in die Rezession treibe, wie er kritisiert hat. Die müsse schnell überwunden werden, weil die Arbeitslosigkeit auch im Baskenland deutlich gestiegen ist. Mit gut 15 Prozent liegt sie aber deutlich unter dem spanischen Durchschnitt von über 26 Prozent. Er gab “sein Wort”, dass die “Bevölkerung im Baskenland von die größtmögliche soziale Gerechtigkeit genießen” werde.
© Ralf Streck, den 13.12.201