Spanische Regierung setzt weiter auf Repressionsstrategie im Konflikt mit der baskischen Linken, aber es nutzt ihr immer weniger.
Seit dem 3. Mai findet vor dem spanischen Sondergericht Audiencia Nacional in Madrid ein neuer Massenprozess gegen baskische politische Aktivisten statt. Zwischen sieben und neun Jahren Gefängnis fordert die Anklage für jeden der dreizehn Basken, die im März 2009 als Kandidaten der Liste „Demokratie für 3 Millionen (D3M)“ zur Regionalwahl der Baskischen Autonomen Gemeinschaft (CAV) antreten wollten. Alle Parteien der baskischen Linken waren damals verboten, die neue Liste wollte der Forderung nach einem Ende der Repression und nach einer demokratischen Lösung des Konflikts eine Stimme geben. Auf Befehl von ETA sei das geschehen, behauptet die Staatsanwaltschaft und verfolgt die Angeklagten als Mitglieder einer terroristischen Vereinigung. Am gestrigen vierten Verhandlungstag erläuterten Polizeiexperten als Zeugen der Anklage ihre Recherchen. Flugblätter der Liste D3M mit der Forderung nach demokratischen Rechten habe man beschlagnahmt und Pressekonferenzen der Angeklagten dokumentiert. Strafbare Inhalte hatten sich daraus nicht ergeben. Eine Demonstration von D3M für demokratische Rechte sei vom damaligen Ermittlungsrichter Balthasar Garzon verboten worden.
Bizarr ist das Szenario im Gerichtssaal auch deshalb, weil die Friedensinitiative der baskischen Linken schon längst den Versuch ihrer Ausgrenzung aus den Parlamenten zu Fall gebracht hat. Mit den Linkskoalitionen Bildu und Amaiur ist die baskischen Linke seit letztem Jahr wieder in den Gemeinden und im spanischen Parlament vertreten. Zwei Abgeordnete von Amaiur begleiteten am Montag demonstrativ die Angeklagten zur Verhandlung.
Auch internationale Aktivitäten unterstützen einen Konfliktlösungsprozess. Am Samstag gab die Internationale Kommission zur Verifizierung des Waffenstillstands von ETA (CIV) direkte Gespräche mit der Untergrundorganisation ETA bekannt. Sie habe daraus die Überzeugung gewonnen, dass ETA zu Gesprächen über ihre Entwaffnung und über eine Demilitarisierung des Baskenlands bereit sei. Darunter versteht ETA unter anderem eine Reduzierung der hohen Polizeidichte im Baskenland. Zwar verweigert die spanische Regierung bisher direkte Kontakte zur Kommission. Aber sie hat längst keine Macht mehr, die internationalen Vermittler zu stoppen. Der patzige Kommentar des spanischen Innenministers Jorge Fernández Díaz, er brauche keine internationalen Vermittler, seine Polizei sei „ausreichend, eine Auflösung der terroristischen Organisation zu verifizieren“, spricht Bände.
Zudem gehen die politischen Veränderungen weiter. Die prospanischen Parteien im Baskenland wissen, dass sie die Regierung der CAV stellen, weil das spanische Innenministerium die Liste D3M rechtzeitig vor den Wahlen durch Verbot und Verhaftung der Kandidaten aus dem Verkehr gezogen hatte. Aus den nächsten Regionalwahlen im Frühjahr 2013 könnte die baskische Linke als stärkste Partei und Gewinnerin der Wahl hervorgehen. Schon kursieren Spekulationen, ob der zu zehn Jahren Haft verurteilte Sprecher der baskischen Linken Arnaldo Otegi Lehendakari, also baskischer Ministerpräsident, werden könne.
Ende April schlossen fünf linke baskische Parteien eine „strategische Allianz für nationalen Aufbau und soziale Veränderung“. Das Bündnis schliesst nicht nur die vier Parteien ein, die als Amaiur im November 2011 zu den spanischen Parlamentswahlen kandidiert hatten, sondern zusätzlich Abertzalen Batasuna, eine Partei aus dem französisch verwalteten Teil des Baskenlandes.
Zudem geht die baskische Bevölkerung weiter in großer Zahl auf die Straße. Zehntausend zeigten am vergangenen Samstag in Bilbo (spanisch: Bilbao) ihre Solidarität mit den angeklagten D3M-Kandidaten. Die nächste Großdemonstration ist bereits für den 19. Mai 2012 geplant. 165 Personen des öffentlichen Lebens, Professoren, Künstler, Musiker, Sportler und Journalisten rufen im Namen der Gefangenenhilfsorganisation Herrira zu einer Demonstration in Bilbo für ein Ende der repressiven Politik gegenüber den baskischen politischen Gefangenen auf.
Erstveröffentlichung: Junge Welt vom 6. Mai 2012 (in leicht gekürzter Form) weiterlesen >>