Die damals sieben Jahre alte Tere Amesti spielte gerade mit ihren älteren Brüdern vor einem Bauernhof, als über den Hängen, die die baskische Stadt Gernika (span. Guernica) umgeben, deutsche Maschinen auftauchten. „Man sah die Piloten mit ihren Brillen und ihrer Kopfbedeckung … so tief flogen sie“, erinnert sie sich heute.
Das war der Auftakt zu einem dreistündigen Bombardement, das gegen 16 Uhr am 26. April 1937 begann und in die Menschheitsgeschichte als die erste Zerstörung einer Stadt durch Flugzeuge einging. Bis dato war das Sciene Fiction gewesen.
An jenem Nachmittag warfen etwa zwei Dutzend Maschinen der deutschen Legion Condor über 30 Tonnen Bomben über der Kleinstadt von 5200 Einwohnern mit über 2000 registrierten Flüchtlingen ab. Diese Unmenge luden sie sonst nur über Großstädte wie Madrid ab. Bis heute ist unklar, wie viele Menschen damals starben. Die Zahlen schwanken zwischen 125 und 1689.
Dass Tere das Bombardement und die Tieffliegerangriffe überlebte, verdankt sie ihrer Tante Narcisa. Die resolute Baskin hatte beschlossen, dass weder ihre Nichte noch deren Brüder an jenem Tag über die Brücke von Renteria nach Gernika zur Schule gehen sollten. Auf der anderen Uferseite fand wie an jedem Montag der traditionelle Markt statt. Narcisa entschied so, weil ihr baskische Milizionäre, die regelmäßig ihre Taverne aufsuchten, erklärt hatten, dass die Faschisten die Heilige Stadt der Basken, das Symbol ihrer Freiheiten von Spanien, sicherlich an einem Markttag bombardieren würden, um Angst und Schrecken zu verbreiten.
Knapp einen Monat zuvor hatten italienische Piloten einen verheerenden Angriff auf das benachbarte Durango geflogen. Viele Menschen starben dort um ihren Pfarrer gescharrt, weil sie dachten, nur in der Kirche wären sie vor den Bomben sicher.
Ebenso wie in Durango entbehrte auch Gernika jeglicher Flugabwehr, und „Luftschutz“ war ein Konzept, das man im Gegensatz zu Nazi-Deutschland nicht kannte. In beiden Städten fehlte es folglich an „Luftschutzbunkern“ und die geschaffenen Unterstände waren zu wenige noch hätten sie einem leichten Artilleriebeschuss standgehalten. Zeitzeugen berichten, dass diese Schutzmassnahmen wenig Vertrauen erweckt hätten.
Das Baskenland stand damals auf Seiten der Republik, war aber von deren Hauptgebiet geographisch getrennt, nachdem der faschistische Militärputsch 1936 in einen Bürgerkrieg mutiert war.
Während sich in Gernika die Menschen auf das üblicherweise später als in Deutschland stattfindende Mittagessen vorbereiteten, erging gegen 14:45h an die Fliegerstaffeln der Legion Condor der Befehl die baskische Stadt zu bombardieren. Der Einsatzbefehl kam vom Stabschef dieses deutschen Hilfskorps für Putschgeneral Francisco Franco, Oberstleutnant Wolfram Freiherr von Richthofen. Der Offizier ordnete an, dass die Flieger zwei Drittel ihrer Bombenlast mit Sprengbomben und ein Drittel mit Brandbomben ausstatten sollten. Richthofen, ein Soldat mit Weltkriegserfahrung und studierter Ingenieur, wusste ganz genau, was er mit der Bombardierung anrichten wollte: „Dort muß zugemacht werden, soll endlich ein Erfolg gegen Personal und Material des Gegners herausspringen.“ So schreibt er in sein Kriegstagebuch. Dort steht auch, dass der Adelige äußerst frustriert war, da die Basken eben nicht unmittelbar nach der Nordoffensive, die er mit geplant und Ende März begonnen hatte, die Flinte ins Korn warfen, sondern trotz aller Unzulänglichkeiten verbissenen Widerstand leisteten. Schon nach wenigen Tagen war Richthofens geplanter „Blitzkrieg“ gescheitert und in einen Stellungskrieg mutiert, den deutsche Militärs fürchteten, weil er mit zur Niederlage im Ersten Weltkrieg beigetragen hatte. Erst am 24. April war es den Faschisten gelungen, die baskischen Linien dank des Fehlverhaltens von zwei anarchistischen Bataillone zu durchbrechen.
Daher musste der Präsident des autonomen Baskenlandes, der bürgerliche José Antonio Agirre, seine Truppen vierzig Kilometer weit auf den Stellungsring um seine inoffizielle Hauptstadt, die Hafen- und Industriemetropole Bilbo (span. Bilbao), zurückziehen, weil es dazwischen keine weitere Auffangstellung gab.
Diese Rückzugsbewegung wollte Richthofen mit der Vernichtung von Gernika solange stoppen, bis die faschistische Infanterie die sich zurückziehenden Basken einkesseln konnte. Als erfahrener Militär wusste er, dass seine Piloten nur mit sehr viel Glück die kleine Brücke zwischen Renteria und Gernika würden treffen können. Aber selbst ein Volltreffer hätte nicht ausgereicht, weil die leichtbewaffneten Milizionäre den Gezeitenfluss bei Ebbe auch hätten durchwaten können. Deshalb musste die Legion Condor ebenfalls die Stadt zerstören, da sich in ihr die beiden wichtigsten Rückzugsstraßen kreuzten. Ihre über hundert 250 Kilo schweren Sprengbomben würden die Häuser auf die Straßen stürzen lassen und die Wasserleitungen zerstören. Die über 7000 je ein Kilo leichten Brandbomben würden den Trümmerberg in eine unpassierbare Feuerhölle verwandeln.
Drei Stunden später hatte die Legion Condor die über 570 Jahre zählende Altstadt mit ihren vielen Holzbauten „buchstäblich dem Erdboden gleichgemacht“, wie Richthofen festhielt. Den Luftangriff nannte er einen „vollen technischen Erfolg“. Aber Richthofens angestrebte Ergebnis blieb aus, weil die Bodentruppen zu langsam vorrückten, um die Basken rechtzeitig einzuschliessen. Der Krieg im Baskenland dauerte noch knapp zwei weitere Monate, bis am 19. Juni 1937 Bilbo fiel. Agirre ging ins Exil und führte den Widerstand gegen den Faschismus bis zu seinem Tod 1960 fort. Fortan kämpfte auch er gegen die faschistische Lüge, wonach die Basken Gernika angezündet hätten. Pablo Picasso gab der Stadt mit seinem Monumentalgemälde „Guernica“ eine weitere Bedeutung als Symbol des Friedens.
Auch Tere bekam die Folgen der Bombardierung zu spüren. Ihre Mutter flüchtete mit ihr und den Brüdern zuerst nach Katalonien dann nach Frankreich. 1939 kehrten sie ins zerstörte Gernika zurück, weil die Franquisten der Familie als sogenannte „Rotseparatisten“ Heim und Herd in der Industriestadt Basauri genommen hatte. Der gefangengenommene Vater musste mehrere Jahre Zwangsarbeit in einem „Arbeiterbataillon“ leisten, weil er sich nach der Zerstörung seiner Heimatstadt freiwillig an die Front gemeldet hatte. In der Zwischenzeit musste seine Frau eine sechsmonatige Strafe absitzen, nachdem einer ihrer Söhne in der Öffentlichkeit Baskisch gesprochen hatte. Francos Zivilgarde stellte Teres Mutter an den Pranger, indem sie sie verpflichtete, sich täglich von 18 bis 20 Uhr vor der Kaserne in Gernika hinsetzen zu müssen. „Da hörten wir auf Baskisch zu sprechen, weil es verboten war“, erklärt Tere auf Spanisch. Auch ihre Tante Narcisa bekam die Rache der Sieger zu spüren: Sie verlor ihr Taverne, da sie sich, wie man in der Familie sagt, beim Einzug der Faschisten weigerte, die Ikurriña, die baskische Fahne, einzuholen.
Noch heute – bald vierzig Jahre nach dem Tod des Diktators Franco – fällt es Tere nicht leicht, über jene Zeit zu sprechen. Aber zum 75. Jahrestag am 26. April wird sie in Begleitung ihrer Familie wieder nach Gernika fahren.
Dort könnte sie auf Bundespräsident a.D. Roman Herzog treffen, den das Rathaus mit dem diesjährigen Friedenspreis ehren wird. 1997 hatte das Staatsoberhaupt mit einem Schreiben an die Überlebenden von Gernika ein Zeichen der Versöhnung gesetzt. Letztere haben ihm das hochangerechnet, da von spanischer Seite bis heute keine vergleichbare Geste erfolgt ist. Vom deutschen Blickwinkel her betrachtet beendete Herzog seinerzeit eine Jahrzehnte währende Reihe von (alt)bundesrepublikanischen Peinlichkeiten im Umgang mit der deutschen Verantwortung für die Vernichtung jener Stadt.
Herzogs Ehrung erfolgt auch vor dem Hintergrund, dass sich die in Madrid regierende postfranquistische Volkspartei (PP) von Mariano Rajoy bisher weigert, mit konkreten Schritten die Verhandlungslösung des politischen Konflikts mit dem Baskenland zu unterstützen. Zuletzt hatte Rajoys Vorgänger Aznar verhindert, dass Bundestagspräsident Wolfgang Thierse in offizieller Funktion Gernika besuchen konnte.