Zweierlei Maß
Die Wahlen zum Parlament der Autonomen Baskischen Gemeinschaft (ABG) am 1. März 2009 haben gezeigt, dass es im spanischen Königreich ein Zwei-Klassen-Wahlrecht gibt: die, die die Verfassung von 1978 akzeptieren, dürfen wählen; jene, die die Constitucion im Baskenland in Frage stellen, werden ausgeschlossen. Das Wahlergebnis bedarf deshalb einer gesonderten Betrachtung.
Wie weit die iberische Neuauflage der Apartheidspolitik geht, konnte man Wahlabend im spanischen Staatsfernsehen TVE verfolgen: In der politischen Talkshow “59 segundos” interpretierten ausschließlich Journalisten von staatstragenden Medien das Wahlergebnis in der ABG. Selbstredend, dass sie dabei mal eben die 101000 ungültigen Stimmen, die Unterstützer der linken Unabhängigkeitsbewegung abgegeben hatten, unter den Tisch fallen ließen. Stattdessen präsentierte Jose Maria Calleja, der einst im Unfrieden den öffentlich-rechtlichen Fernsehsender der ABG, ETB, verließ, die Abspaltung der verbotenen Linkspartei Batasuna, Aralar, als den Ausdruck der Demokratie, weil diese Positionen der linken Unabhängigkeitsbewegung vertrete. Die Partei durfte an dem Urnengang teilnehmen, weil sie erstens die Anschläge der Untergrundorganisation Euskadi Ta Askatasuna (ETA, Baskenland und Freiheit) verurteilt und zweitens geeignet ist, das linksabertzale (partiotische) Spektrum zu spalten.
Dass im spanischen Staat mit zweierlei Maß Politik gemacht und bewertet wird, hat die baskische Tageszeitung Gara mit ihrer Wahlberichtererstattung verdeutlicht. Im Gegensatz zu den staatstragenden Medien brachte sie zwei Wahlergebnisse: neben dem offiziellen Resultat präsentierte sie die tatsächliche Sitzverteilung, wenn es der Wahlplattform “Demokratie für 2 Millionen” (D3M) erlaubt gewesen wäre, an dem Urnengang teilzunehmen.
Die Prozentzahlen entstammen dem amtlichen Endergebnis. Die Sitzverteilung unter Ber?cksichtigung von D3M entspricht den Angaben der Tageszeitung Gara auf ihrer Internetseite.
Nach dem amtlichen Ergebnis verf?gt die Koalition von Ministerpr?sident Juan Jos? Ibarretxe (PNV) aus PNV, EA und EB-B nur noch ?ber 33 Mandate. Selbst wenn es ihm gel?nge, Aralar mit ins Boot zu holen, k?nnte er bestenfalls eine Minderheitsregierung bilden, da ihm immer noch ein Mandat zur absoluten Mehrheit von 38 Abgeordneten fehlen w?rde. H?tte D3M an den Wahlen teilnehmen d?rfen, w?rde das nationalbaskische Lager ?ber 40 Stimmen im Parlament der ABG verf?gen. Zur Zeit besitzt aber nur der Block der gesamtspanischen Parteien, bestehend aus dem baskischen Landesverband der sozialdemokratischen Arbeiterpartei PSOE, der Sozialistischen Partei von Euskadi (PSE-EE), die postfranquistische Volkspartei (PP) und die rechte Uni?n, Pueblo y Democracia (UPyD, Einheit, Volk u. Demokratie) ?ber die absolute Mehrheit.
Daraus ergeben sich folgende M?glichkeiten: Der Vorsitzende der baskischen Sozialdemokraten Patxi L?pez macht sein Wahlversprechen wahr, eine ?Regierung des Wechsels? zu bilden, indem er eine Dreier Koalition aus PSE-EE, PP und UpyD ins Leben ruft. Daf?r spricht, dass Spaniens Premier Jos? Luis Rodr?guez Zapatero (PSOE) den Verlust von Galizien an die PP mit dem Gewinn der ABG ausgleichen m?chte. Dagegen spricht einerseits, dass L?pez vom guten Willen der Postfranquisten abh?ngig w?re. Andererseits w?rde eine rein gesamtspanisch ausgerichtete Regierung automatisch ins Fadenkreuz der ETA geraten. Die Untergrundorganisation hatte die Wahlen als ?antidemokratisch? bezeichnet, aus denen ein ?Parlament des Faschismus? hervorginge. In dem am Freitag (27.2.2009) ver?ffentlichen Kommuniqu? verglich die ETA die demokratische Legitimation der neuen Volksvertretung mit jener, die die Institutionen des Franquismus (1939-75/78) besessen hatten. In der Endphase der Franco-Diktatur t?tete die Organisation mehrere Mandats- und Amtstr?ger des Regimes. Daher mu? der Vergleich als Warnung verstanden werden.
Wenn L?pez sich nicht allein ins Fadenkreuz der ETA stellen will, bliebe ihm als Ausweg nur die Koalition mit Ibarretxes PNV. Dort k?nnte er aber aufgrund des Kr?fteverh?ltnisses nur den Part des Juniorpartners spielen. Als solcher d?rfte es ihm schwerfallen, die Politik des Wechsels umzusetzen.
Bereits in den 80er und 90er Jahren regierten PNV und PSE-EE die ABG gemeinsam. Jene Epoche war gepr?gt von den Aktivit?ten der Todesschwadron GAL, die die Madrider PSOE-Regierung unter Felipe Gonz?lez ins Leben gerufen hatte, und der Verteilung aller politischen baskischen Gefangenen auf entlegene Haftanstalten.
Die Neuauflage einer Koalition mit der PNV birgt f?r L?pez das Problem, dass er deren neoliberale Politik mittragen m?sste. Hinzu kommt, dass Ibarretxes Partei wie die PP tief im Korruptionssumpf steckt.
F?r die PNV stellt sich die Frage, ob sie ihren Lehendakari weiter im Amt wird halten k?nnen, wenn dieser mit der PSE-EE koalieren sollte. Ibarretxe l?ste Mitte der 90er Jahre seinen Vorg?nger Jos? Antonio Ardanza als Spitzenkandidat f?r das Amt des Lehendakaris ab, weil er einen Politikwechsel markieren sollte. Ardanza war der Garant der Koalition mit den Sozialdemokraten und der Verfassungstreue gewesen; Ibarretxe sollte eine Politik machen, die sich zwischen einem neuen Autonomiestatut, der Souver?nit?t, dem Selbstbestimmungsrecht und der Unabh?ngigkeit ansiedeln sollte. Mit dieser Politik ist Ibarretxe g?nzlich gescheitert. Sein Parteichef I?igo Urkullu hat ihm das Vertrauen entzogen und betreibt seit Monaten die ?ffentliche Demontage des Lehendakaris zugunsten einer Zusammenarbeit mit Zapateros Sozialdemokraten.
Tief gefallen ist auch die PNV-Abspaltung Eusko Alkartasuna (EA, Baskische Solidarit?t). Sie hatte 2005 mit der PNV eine gemeinsame Liste gebildet; 2009 hoffte sie wie schon bei den Kommunalwahlen 2007 im Alleingang ein besseres Ergebnis zu holen. Die Rechnung ging nicht auf. Noch am Wahlabend legte Parteichef Unai Ziarreta sein Amt nieder.
Katastrophal war auch das Abschneiden des baskischen Landesverbandes der Vereinigten Linken, Ezker Batua-Berdeak (EB-B). Er verlor fast die H?lfte der Stimmen und nur dem Verbot von D3M verdankt er, dass die Partei ?berhaupt noch einen Abgeordneten nach Gasteiz entsenden darf.
Als Gewinner der aktuellen Lage kann man Aralar, die Abspaltung der verbotenen Linkspartei Batasuna (Einheit), sehen. Sie konnte wider Erwarten drei Mandate zulegen, da sie ihre W?hlerstimmen verdreifachte. Ob sie sich tats?chlich zur politischen Alternative der verbotenen Linksparteien wird entwickeln k?nnen, l?sst sich jetzt noch nicht vorhersagen. Momentan scheint sie eher von den Stimmen jener Unterst?tzer der Unabh?ngigkeitsbewegung profitiert zu haben, die damit einen gr??eren Erfolg der gesamtspanischen Parteien verhindern wollten. Ihr k?nnte es zum Nachteil gereichen, wenn, wie am Wahlabend geschehen, staatstragende Journalisten den Erfolg von Aralar weiterhin als Beweis f?r die Sinnhaftigkeit der bisherigen Verbotspolitik feiern.
F?r die linke Unabh?ngigkeitsbewegung hat sich mit den Wahlen eigentlich wenig ver?ndert: sie bleibt weiter verboten. Nach wie vor steht sie vor der Frage, wie sie angesichts der Repression und der Verbote zuk?nftig Politik machen will. Dass 101000 Menschen f?r D3M gestimmt haben, gilt als ein gro?er Erfolg, wenn man die Umst?nde ber?cksichtigt: es gab keine Organisation, die ?ffentlich daf?r werben durfte, noch standen entsprechende Geldmittel bereit. Und trotzdem gelang es 101000 ung?ltige Wahlzettel mit dem Logo von D3M abzugeben. Diese Tatsache verschweigen Spaniens staatstragende Medien.
Bei der Fokussierung auf das Wahlergebnis bleibt unbeachtet, dass die fehlenden demokratischen Mindeststandards den politischen Konflikt zwischen dem Baskenland und Madrid nicht l?sen, sondern verl?ngern.