09.01.2012 | Ralf Streck (Telepolis)
Demonstration in Bilbo Januar 2012 - Delegation aus Madrid

Mehr als 110.000 Menschen demonstrierten für die Rechte der baskischen Gefangenen

Die Basken sind große Märsche gewohnt. Doch mehr als 110.000 Menschen am Samstag in Bilbao überraschten selbst die Veranstalter. Die Demonstration soll Auftakt einer großangelegten Kampagne sein, die Lage der Gefangenen zu verbessern. Von der spanischen und französischen Regierung werden weitere Schritte für den Friedensprozess gefordert. Es dürfte sich um die größte Versammlung gehandelt haben, die das Baskenland gesehen hat. Unterstützung kam von Delegationen, die aus ganz Spanien angereist und begeistert empfangen wurden. Zur Teilnahme aufgerufen [1] hatten auch spanische Persönlichkeiten wie der bekannte Schauspieler Willy Toledo. (Foto, Ralf Streck: Auch aus verschiedenen spanischen Städten reisten Delegationen an)

“Es gibt nun keine Ausreden mehr und es darf keine Verzögerungen geben”, rief Jon Garai den Teilnehmern vom Rathausbalkon zu. Er ist ein Sprecher der Plattform “Egin dezagun bidea” (Den Weg bereiten), in der sich Parteien, Gewerkschaften und Organisationen vereint haben, um den Friedensprozess zu fördern. Er bezog sich vor allem auf die Situation der baskischen Gefangenen, für die es Veränderungen geben müsse. Denn die Untergrundorganisation ETA hatte im vergangenen Oktober einseitig und ohne Vorbedingungen erklärt, den bewaffneten Kampf zu beenden [2].

Das war zuvor von ihr auf der internationalen Friedenskonferenz gefordert worden, die im baskischen Seebad Donostia-San Sebastian stattfand, an der auch der ehemalige UNO-Generalsekretär Kofi Annan teilnahm. Von den Regierungen in Spanien und Frankreich wurde in der Abschlusserklärung gefordert, mit der ETA über die “Konsequenzen des Konflikts” zu verhandeln. Dazu gehört neben der Entmilitarisierung auch die Frage der Gefangenen und der Exilierten [3].

Die Tür zu einer neuen Zeit aufstoßen

Garai forderte, “die grausamen Maßnahmen müssen endlich verschwinden, die baskische Gefangene erleiden müssen, um eine dunkle Etappe abzuschließen und die Tür zu einer neuen Zeit aufzustoßen”. Gemeint ist damit, neben Folter und Misshandlung in der Kontaktsperre, auch die sogenannte “Zerstreuung”, die von Menschenrechtsorganisationen als Doppelbestrafung bezeichnet wird. Denn Angehörige müssen zum Teil bis auf die kanarischen Inseln fliegen oder am Wochenende manchmal mehr als 2000 Kilometer für einen kurzen Besuch zurücklegen.

Die mehr als 700 Gefangenen des Konflikts sind über ganz Spanien und Frankreich verteilt, und nur wenige von ihnen sitzen im Baskenland. Pello Urizar, Sprecher der sozialdemokratischen Solidaritätspartei (EA), sagte, die “große Mehrheit im Baskenland fordert die Umsetzung des Strafrechts”. Das sehe eine heimatnahe Strafverbüßung zur Wiedereingliederung vor, wogegen seit Jahrzehnten verstoßen werde. Deshalb wurde mit der Demonstration die sofortige Verlegung der Gefangenen ins Baskenland als erster Schritt gefordert. Zudem müssten alle erkrankten Gefangenen sowie diejenigen freigelassen werden, die drei Viertel ihrer der Strafe abgesessen haben. Auch das sieht das Strafrecht vor.

Appell an die neue Regierung

“Wir hoffen, dass unsere Botschaft von hier aus auch Madrid erreicht”, sagte Oskar Matute mit Blick auf die neue spanische Regierung. Der Sprecher von “Alternatiba”, einer Abspaltung der Vereinten Linken (IU), hofft, dass die Konservativen der Volkspartei (PP) “Notiz nehmen” und sich nun für eine “politische Normalisierung” einsetzen. Der neue Ministerpräsident Mariano Rajoy hält sich bisher bedeckt. Hielt er sich im Wahlkampf angesichts der weitgehenden Entscheidungen der ETA alle Türen offen, fiel zum Friedensprozess in seiner Antrittsrede zu Weihnachten kein Wort [4].

In die baskische Regierung, die von der PP mitgetragen wird, kommt aber Bewegung. Der sozialistische “Lehendakari” (Baskischer Präsident) hält eine neue “Haftpolitik für möglich”. Patxi López war offensichtlich beeindruckt von der Demonstration und sprach vom “allgemeinen Konsens” im Baskenland, dass etwas in der Gefangenenfrage tun müsse. López sprach [5] davon, das Strafrecht sei auch “sehr großzügig”, wenn es um die “Resozialisierung” derer geht, “die sich in die Demokratie eingliedern wollen”.

Hoffnung auf Ende des Konflikts

Betont wurde bei der Demonstration allseits die Hoffnung darauf, dass der seit 43 Jahren schwelende bewaffnete Konflikt, der Hunderten Menschen das Leben gekostet hat, ein für alle Mal beigelegt werden kann. Besonders die internationale Gemeinschaft wird aufgefordert, Druck auf Madrid auszuüben, um im Dialog eine Friedenslösung zu erreichen. Begrüßt wurde, dass kürzlich die EU-Kommissarin für Innenpolitik erklärte, über die Initiativen der internationalen Vermittlergruppe informiert zu sein, darüberhinaus will Cecilia Malmström ebenfalls “verstärkte Kräfte” aufwenden.

Ralf Streck 09.01.2012


Erstveröffentlichung: Telepolis, Heise Zeitschriften Verlag, 9.1.2012 weiterlesen >>

Links:

[1] http://www.elmundo.es/elmundo/2012/01/07/paisvasco/1325942598.html

[2] http://www.heise.de/tp/blogs/8/150675

[3] http://www.heise.de/tp/blogs/8/150647

[4] http://www.heise.de/tp/artikel/36/36110/1.html

[5] http://www.eitb.com/es/noticias/politica/detalle/808042/patxi-lopez-afirma-otra-politica-penitenciaria-es-posible/

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