+++ Unterstützung durch Friedensnobelpreisträger bringt Bewegung +++ im Baskenland und in Europa +++ Konfliktlösungsexperten beraten +++ Schweizer Parlamentarische Freundschaftsgruppe für einen Friedensprozess im Baskenland +++ Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) sieht Hoffnungsschimmer +++ Berliner Berghof Conflict Research stellt Konfliktlösung in historischen Kontext +++
(Foto: Mary Robinson, Bischof Desmond Tutu, Albert Reynolds und die Nelson Mandela Stiftung gehören zu den Erstunterzeichnern der Brüsseler Erklärung, s.u.)
Es regnete nicht nur, es goss in Strömen an diesem Mittwoch, den 16. Juni 2010, in Donostia (span. San Sebastian). Gut, dass der Kursaal, das örtliche Tagungszentrum der baskischen Stadt, einen großen überdachten Vorplatz besitzt. Denn Trauben von Menschen standen Schlange, bis die etwa 200 geladenen Gäste durch waren und wir uns noch in den Saal quetschen durften.
Eine Veranstaltung in Donostia
Die Deputiertenkonferenz Gipuzkoa – die politische Vertretung der Region Gipuzkoa in der Baskischen Autonomen Gemeinschaft (CAV) – hatte Brian Currin und drei weitere Experten aus dem Bereich der Konfliktlösung eingeladen, um über „Neue Perspektiven für den Frieden im Baskenland. Der internationale Beitrag“ (1) zu referieren.
Seit Februar 2010, als die abertzale Linke (2), die linke baskische Unabhängigkeitsbewegung, deren Organisationen und Parteien in Spanien fast alle verboten sind, sich unilateral zu Gewaltfreiheit und zu ausschließlich demokratischen Prinzipien als grundlegende Basis ihres Handelns bekannte, gibt es Bewegung im Baskenland. Der Druck auf die anderen Konfliktparteien, diesem Beispiel zu folgen, ist seither gewachsen und damit hat sich ein Weg heraus aus der Spirale der Gewalt hin zu einer friedlichen und demokratischen Lösung des Konflikts geöffnet.
Der südafrikanische Menschenrechtsanwalt Brian Currin, selbst langjähriger Anti-Apartheidsaktivist und einst von Nelson Mandela mit der Leitung des Komitees zur Rehabilitierung der politischen Gefangenen des Apartheid-Regimes beauftragt, begleitet die Bemühungen um eine friedliche Lösung des Konflikts seit langem als Moderator. Auf der Veranstaltung im Kursaal konnte ich miterleben, wie intensiv die Diskussion im Baskenland um Schritte hin zu einer demokratischen und friedlichen Lösung des spanisch-baskischen Konflikts geführt wird.
“Brian Currin hat es geschafft, in einem Saal Aktivisten von Batasuna (der verbotenen Partei der abertzalen Linken), Mitglieder der PSE (der baskischen Regionalgruppe von Zapateros PSOE), (bürgerliche) Nationalisten und Familienangehörige baskischer Gefangener zu vereinen,”
titelte der öffentliche spanische Radio- und Fernsehsender RTVE (Radio Televisión Española) erstaunt.
Die Chance nicht ungenutzt lassen
Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand die Friedensinitiative der abertzalen Linken und die sie unterstützende Brüsseler Erklärung vom März 2010. International bekannte und führende Persönlichkeiten, darunter vier Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu, Frederick De Klerk, Betty Williams und John Hume, die Nelson Mandela Stiftung, der ehemalige irische Ministerpräsident Albert Reynolds und die ehemalige irische Präsidentin Mary Robinson hatten „die öffentlich erklärte Bereitschaft der baskischen Pro-Unabhängigkeitsbewegung (abertzale Linke), ihre politischen Ziele mit ‚ausschließlich politischen und demokratischen Mitteln‘ und ‚in der völligen Abwesenheit von Gewalt‘ zu erreichen“ begrüßt und sowohl an die spanische Regierung als auch an ETA appelliert, diese Initiative durch einen eigenen Beitrag zum Erfolg zu führen:
„Wir … appellieren an ETA, diese Willenserklärung durch einen permanenten und vollständig verifizierten Waffenstillstand zu unterstützen.
Wird eine solche Erklärung von der Regierung entsprechend beantwortet, würde dies neue politische und demokratische Möglichkeiten schaffen, die es erlauben, die Differenzen zu lösen und einen dauerhaften Frieden zu erreichen.“ [aus der Brüsseler Erklärung (3), 29. März 2010]
„Noch gibt es keinen Friedensprozess“, erklärt Brian Currin auf der Veranstaltung. Man solle sich jedoch vor Augen halten, dass „die abertzale Linke seit mindestens zwei Jahren auf einen solchen Prozess hinarbeitet. Diese Chance sollte niemand ungenutzt lassen.“ Nach Auffassung des Konfliktmoderators hält die bewaffnete baskische Organisation ETA (Euskadi ta Askatasuna – Baskenland und Freiheit) derzeit einen nicht erklärten Waffenstillstand ein. Er ruft die Organisation auf, das Zeitfenster für eine endgültige Lösung nicht verstreichen zu lassen und hofft, dass ETA sich in der internen Diskussion für ein Ende ihrer militärischen Strategie entscheide. Mehr wollte er an dieser Stelle nicht kommentieren. Dass es im Hintergrund Bewegung gibt, kann man aus einer Erklärung von ETA vom letzten Wochenende schließen, in der sie ihre Unterstützung für den derzeitigen Prozess bekräftigt.
Legalisierung von Batasuna unabdingbar
Brian Currin erklärt den Anwesenden aber auch, dass ein Verhandlungsprozess ein „Gleichgewicht der Kräfte“ benötige und ein gemeinsames Verständnis dessen, was erreicht werden soll. Er appelliert deshalb an den spanischen Staat, „seniores Führungsverhalten“ zu zeigen und die „verbotenen Organisationen, denen man das Etikett ‚Terroristen‘ angeheftet habe, wieder zu legalisieren“, „die Gefangenen zu entlassen, die sich aus politischen Gründen in Haft befinden“, damit sie am Verhandlungsprozess teilnehmen können, und „die zentralen Polizeistaatsgesetze zu suspendieren.“ Vor allem die Legalisierung von Batasuna sei unabdingbar für einen späteren Friedensprozess, damit sich die Verhandlungspartner auf Augenhöhe begegnen können.
Brian Currin sieht es als die Aufgabe aller baskischen Parteien, nicht nur der abertzalen Linken, gemeinsam die spanische Regierung davon zu überzeugen, dass „es gute Gründe gibt, der Entwicklung in Euskal Herria (4) (dem Baskenland) zu vertrauen und Verhandlungen zu beginnen.“ Diese Überzeugungsarbeit sei nicht leicht, weil sie eine Abkehr der spanischen Regierung von der derzeitigen Polizeitaktik fordert. Die Polizeimaßnahmen hatten bisher auch das Ziel, „der Welt und Europa“ zu suggerieren, dass es keinen baskischen Konflikt gebe, dass auch die Mehrheit der Basken der spanischen Verfassung zustimme und „die Probleme durch einige Extremisten mit wenig Unterstützung in der Bevölkerung verursacht würden“.
Die Veranstaltung im Kursaal in Donostia ist ein lebendiger und anschaulicher Gegenbeweis zu dieser Behauptung und so appelliert Brian Currin an alle Anwesenden, gemeinsam die spanische Regierung von der Notwendigkeit der Konfliktlösung durch Dialog zu überzeugen. Die anschließende Diskussion gab einen Eindruck der Kraft, die ein breiter Konsens im Baskenland zusammen mit internationaler Unterstützung entfalten kann.
Parlamentarische Freundschaftsgruppe in der Schweiz
Schritte zu einer friedlichen und demokratischen Lösung des Konfliktes im Baskenland werden an diesem Tag nicht nur in Donostia diskutiert. Mitglieder der Schweizer Bundesversammlung, des Schweizer Parlaments, gründen in Bern die „Parlamentarische Freundschaftsgruppe für einen Friedensprozess im Baskenland“ und erklären:
Wir, Mitglieder des Schweizer Parlaments, möchten die Gründung unserer parlamentarischen Gruppe ankündigen, die zum Ziel hat den Prozess einer verhandelten Lösung des Baskenkonflikts zu fördern … Wir sind überzeugt, dass die Lösung des politischen Konflikts im Baskenland im Respekt aller individueller und kollektiver Rechte aller Bürger/Innen im Land sei es unter französischer oder spanischer Verwaltung, erfolgen muss …
Wir finden, dass die Beisteuerung der internationalen Gemeinschaft eine wichtige Komponente in der demokratischen Lösung des Baskenkonflikts sein kann. Deshalb nehmen wir die „Friendship Group towards a Peace Process in the Basque Country“, im Rahmen des Europäischen Parlaments, als Beispiel. In diesem Sinne und indem wir uns auf die Tradition der Neutralität und Erfahrung von bons offices unseres Landes stützen, verpflichten wir uns alle uns gegebenen Initiativen zu ergreifen, um einen endgültigen und dauerhaften Frieden im Baskenland zu erreichen. (Bern, 16 Juni 2010; Foto: Schweizer Bundeshaus in Bern)
EKD sieht Hoffnungsschimmer in einseitigem Verzicht auf Gewalt
Erfreulich ist es, dass die Bemühungen um friedliche Konfliktlösung im Baskenland auch in Deutschland zustimmende Unterstützung finden. Die evangelische Kirche in Deutschland (EKD) formuliert am 15. Juli 2010 in Kenntnis der Brüsseler Erklärung zum ersten Mal in ihrer Geschichte eine Stellungnahme zum spanisch-baskischen Konflikt und zu den aktuellen Bemühungen um seine Lösung.
Im Auftrag des Präses Nikolaus Schneider, des amtierenden Ratsvorsitzenden der EKD, erklärt sie:
„In der Tat ist die Geschichte der baskischen Unabhängigkeitsbewegung geprägt von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen auf allen Seiten. Umso größer sind die Hoffnungen auf ein Ende des Konfliktes, das nicht zuletzt nur durch einen Ausgleich aller Betroffenen und ihrer berechtigten Interessen erreicht werden kann.
Der einseitige Verzicht auf Gewalt durch eine der Konfliktparteien ist ein Hoffnungsschimmer, der womöglich weitere Nachahmer finden wird. Präses Schneider nimmt den erklärten Gewaltverzicht mit Erleichterung auf und betet für eine weitreichende Lösung, die der Krisenregion endlich Frieden und Stabilität beschert.“
Studie: Das Baskenland – der lange Weg zu einem demokratischen Szenario
Auch von Berghof Conflict Research (BCR), einer wissenschaftlichen Einrichtung zu Konfliktforschung und Friedenspolitik in Berlin, kommt Unterstützung. In ihrer Reihe „Berghof Transitions Series – Nichtstaatliche bewaffnete Akteure im Wandel“ hat BCR im Mai 2010 eine Fallstudie zum spanisch-französisch-baskischen Konflikt veröffentlicht. Die Studie (5) „The Basque Country: The Long Walk to a Democratic Scenario“ von Urko Aiartza und Julen Zabalo beschreibt den historischen Kontext des Konflikts, die Versuche, den Konflikt zu lösen und die aktuelle Strategie der abertzalen Linken.
Info Baskenland: Seite Konfliktlösung
Wichtige Dokumente in deutscher Übersetzung, Berichte, Kommentare und Multimediabeiträge zur Konfliktlösungsinitiative sind auf der Seite Konfliktlösung >> zusammengestellt.
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Fussnoten:
1 Zitate stammen (a) aus eigener Mitschrift, (b) aus “Currin y otros expertos recalcan que la solución empieza en Euskal Herria”, GARA vom 17.6.2010 oder © aus “Currin ve fundamental que se legalice a la izquierda abertzale para poder iniciar un proceso de Paz en Euskadi”, Europa Press, 16.6.2010
2 Abertzale Linke: die Bedeutung des Begriffs „abertzale“ in „abertzale Linke” ist eng verknüpft mit der speziellen Ausprägung der baskischen Unabhängigkeitsbewegung als progressive und internationalistische Bewegung. Als solche umfasst sie ein breites Spektrum von Organisationen, wie zum Beispiel politische Parteien, Gewerkschaften und kulturelle Organisationen, sowie bedeutende Teile der Frauen- Umwelt- und Internationalismusbewegungen.
3 Vollständige Brüsseler Erklärung in deutscher Übersetzung >>
4 Euskal Herria: Euskal Herria bezeichnet das gesamte Baskenland, das aus sieben Provinzen besteht. Es umfasst 20.000 km2 und hat eine Bevölkerungszahl von etwa 3 Millionen. Das Baskenland ist derzeit geteilt: Lapurdi, Nafarroa Beherea und Zuberoa befinden sich unter französischer Verwaltung. Die drei Provinzen sind dabei keine Verwaltungseinheit, sondern ohne Eigenständigkeit in andere Departements eingegliedert. Die südlichen vier Provinzen befinden sich unter spanischer Herrschaft: Bizkaia, Gipuzkoa und Araba bilden als Comunidad Autonoma Vasca (CAV, Autonome baskische Gemeinschaft) eine Einheit. Nafarroa hat eine separate Regionalverwaltung (CFN, Foralgemeinschaft Navarra). In den Medien wird oft das Baskenland mit der Comunidad Autonoma Vasca gleichgesetzt.
5 Die Studie steht in englischer Sprache als
PDF zum Download >> zur Verfügung und kann auch bei BCR bestellt werden.