21.11.2010 | Alfonso Cuesta (am 11. Nov. 2010 in GARA)
Alfonso Cuesta

Mehr als 25 Jahre war Alfonso Cuesta Gemeinderat für die SPD im bayerischen Winkelhaid bei Nürnberg. Im Jahr 2008 wurde ihm die Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland verliehen. In einem offenen Brief an den spanischen Innenminister und Vizepräsidenten Alfredo Pérez Rubalcaba fordert er eine Lösung des spanisch-baskischen Konflikts ohne Gewalt und insbesondere ein Ende von Incommunicado-Haft(*) und Folter: „Die Incommunicado-Haft darf in einem demokratischen Spanien nicht existieren, weil sie die Folter mit sich bringt. Mich schmerzt, dass Mitglieder der PSOE nicht ihre Stimme erheben angesichts dieser sozialen und politischen Ungerechtigkeit. Das baskische Volk verdient diese Behandlung nicht. In diesem Volk ist nicht alles ETA, es ist ein mutiges Volk, das die Freiheit liebt und nicht den bewaffneten Kampf.“ (aus dem offenen Brief)

Offener Brief an Herrn Rubalcaba:

Sehr geehrter Herr Minister, Innenminister des spanischen Staates, seit einigen Monaten ist es meine Intention, Ihnen persönlich zu schreiben; ich habe davon Abstand genommen, weil ich mir sicher war, dass Sie meinen Brief nie in Händen halten würden. Deshalb habe ich mich entschieden, den Weg über die Zeitung zu wählen.

Als erstes muss ich Ihnen versichern, dass ich aus tiefster Überzeugung ein Gegner jeder Art von Gewalt bin, sowohl der zivilen wie der militärischen. Ich weise die Argumentation zurück, Anwendung von Gewalt könne auf irgendeine Weise gerechtfertigt werden. Ich bin der festen Überzeugung, dass es andere Wege und Möglichkeiten gibt, die Ihnen und vielen anderen vielleicht utopisch erscheinen. Es gibt immer Wege, die man wählen kann und die aus der Patsche führen, wie kompliziert die Situation auch sein mag. Jede Art von Konflikten lässt sich ohne Gewalt lösen.

Sie mögen fragen, was ist das für einer. Ich möchte Ihnen mitteilen, dass ich seit 1957 in Deutschland lebe, die deutsche Staatsbürgerschaft besitze, an vielen Demonstrationen gegen die Gewalt Francos teilgenommen habe, die sich vor allem gegen die spanischen Sozialisten richtete, die von der Diktatur beschuldigt wurden, Kommunisten zu sein. Ich muss hier die Gewalt, sowohl in den Kasernen der Einheiten der Guardia Civil, als auch in den Zentren der bewaffneten Polizei und der Brigaden der Geheimpolizei nennen. In diesen Zentren hielten sie viele Anhänger Ihrer PSOE incommunicado und folterten sie. Ich weiß, was ich sage, ich habe diese Behandlung selbst erfahren. Die Folterer erhielten Prämien vom frankistischen Staat.

Die HOAC (Hermandad Obrera de Acción Católica, spanische katholische Arbeitervereinigung) hat in der Emigration über 25 Jahre hinweg eine monatliche Zeitschrift verteilt, die „TU-Arbeitereinheit/Für eine Kirche des Volks“. In dieser Zeitschrift, die in Deutschland, Holland, der Schweiz und Frankreich herausgegeben wurde, haben wir kontinuierlich die Brutalität des frankistischen Regimes angeklagt und insbesondere die Folter durch die staatlichen Einheiten.

Dass heutzutage Basken – welche Ideologie sie auch immer haben mögen – nach der Gefangennahme in Incommunicado-Haft überführt werden, ist ein Unrecht, das zum Himmel schreit.

Fälle, in denen dies geschieht, werden von mir den Politikern der SPD in meinem Umfeld bekannt gemacht. Ich habe Einfluss in Franken, einer Region, in der ich seit vielen Jahren Funktionär der SPD und über 25 Jahre Gemeinderat einer fränkischen Kommune war.

Ich schreibe Ihnen das, weil ich bei meinem Besuch im Baskenland Familien kennengelernt habe, die sich machtlos fühlen und voller Ungewissheit sind, weil in letzter Zeit viele Jugendliche, die verhaftet wurden, danach sofort in Incommunicado-Haft kamen. Man weiß durch internationale Organisationen, dass in Spanien, auch wenn es sich Demokratie nennt, gefoltert wird. Für mich und für viele Sozialdemokraten ist dies unbegreiflich. Die Folter gehört zu Diktaturen oder zu totalitären Regimes. Die Incommunicado-Haft darf in einem demokratischen Spanien nicht existieren, weil sie die Folter mit sich bringt.

Ist das legal? Mich schmerzt, dass Mitglieder der PSOE angesichts dieser sozialen und politischen Ungerechtigkeit nicht ihre Stimme erheben. Das baskische Volk verdient diese Behandlung nicht. In diesem Volk ist nicht alles ETA, es ist ein mutiges Volk, das die Freiheit liebt und nicht den bewaffneten Kampf.

Ohne weitere Worte, in der Hoffnung auf Wege frei von jeglicher Art der Unterdrückung, grüße ich Sie.

Alfonso Cuesta, Winkelhaid, 11. November 2010



Foto: das Foto zeigt Herrn Cuesta bei der Verleihung der Verdienstmedaille 2008 in der Mitte zwischen dem Bürgermeister von Winkelhaid und dem Landrat des Landkreises Nürnberg

Erstveröffentlichung in der baskischen Zeitung GARA, in spanischer Sprache: zum offenen Brief im Original >>

Download: als PDF >>


(*) Incommunicado-Haft wird von einem Untersuchungsrichter des spanischen Sondergerichts Audiencia Nacional direkt nach der Verhaftung verhängt. Die verhaftete Person befindet sich bis zu fünf Tage in völliger Isolation und schutzlos in den Händen der Polizei. Im spanisch-baskischen Konflikt ist Incommunicado-Haft die Regel. In ihrem Bericht „Aus dem Dunkeln ans Licht – ein Ende der Incommunicado-Haft“ vom September 2009 fordert amnesty international vom spanischen Staat die Abschaffung der Incommunicado-Haft, weil sie Folter ermöglicht und verhindert, dass Folterer zur Rechenschaft gezogen werden. Auch die UN-Menschenrechtskommission fordert dies. Anti-Folter Organisationen schätzen, dass seit Ende der Franco-Diktatur 7000 Basken von spanischen Polizeieinheiten gefoltert wurden.

Siehe hierzu: Info Baskenland – Schwerpunkt Menschenrechte, insbesondere:

Polizeidokument beweist Existenz illegaler Verhöre (Juni 2010): weiterlesen >>

amnesty international (Sept. 2009): Aus dem Dunkeln ans Licht – Zeit, die Incommunicado-Haft zu beenden: weiterlesen >>

UN-Sonderberichterstatter Martin Scheinin (April, 2009): “In Spanien gibt es Institutionen, die keinen Platz in einer Demokratie haben”: weiterlesen >>

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