Vier Mitglieder der spanischen Polizeieinheit Guardia Civil wurden gestern im baskischen Donostia (spanisch: San Sebastian) wegen schwerer Folter an Igor Portu und Mattin Sarasola zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Allerdings sollen Bücher, die sich mit der Folter in Spanien beschäftigen, aus der Öffentlichkeit verschwinden. (Das Foto zeigt das Titelblatt des von den Zensurversuchen betroffenen Buches “Manual del torturador español – Handbuch des spanischen Folterers” von Xabier Makazaga – aus Protest gegen die Zensur steht es beim baskischen Herausgeber Txalaparta zum freien Download zur Verfügung)
Es geht spanisch zu in Spanien. Baskische Anwälte werden angezeigt, weil sie auf einer Pressekonferenz die Aussagen ihrer Mandanten wiedergeben, dass diese von den Sicherheitskräften schwer gefoltert wurden. Das passierte Haizea Ziluaga und Alfonso Zenon, die neun Personen vertreten, die im Fischerort Ondarroa am 8. Februar verhaftet wurden. Das Ziel ist klar, sie sollen mundtot gemacht werden. Über Folter soll öffentlich nicht mehr gesprochen werden. Deshalb werden auch Bücher in Spanien zensiert, die sich mit Folter in einem Land mitten in der Europäischen Union auseinandersetzen. Dass die Folter eine traurige Realität ist und weiterhin Urstände feiert, das wurde gerade letzten Donnerstag belegt. Ausnahmsweise hat nach zehn Jahren wieder ein Gericht vier Mitglieder der berüchtigten Guardia Civil wegen Folter zu Haftstrafen zwischen zweieinhalb und viereinhalb Jahren verurteilt. Die Beweise gegen 4 der 15 Angeklagten waren zu erdrückend. Allerdings waren die Angeklagten schon zuvor zu einer Haftstrafe von über 1000 Jahren verurteilt. Das Urteil gründet sich vor allem auf die Geständnisse in Polizeigewahrsam. Seit gestern ist richterlich bestätigt, dass diese erfoltert wurden.
Doch eins nach dem anderen. Die Folterpraxis ist eine traurige Kontinuität. Sie wurde früher von der faschistischen Diktatur angewendet und heute von einer Regierung, deren Mitglieder noch selbst noch die Erfahrung der Folter machen durften. Beschämend für die Parteilinke in Spanien ist, dass das Antiterror-Gesetz einst sogar mit den Stimmen der Kommunisten (PCE) verabschiedet wurde. PCE und die sogenannten “Sozialisten” (PSOE) hatten schnell ihren Frieden mit der neuen Monarchie (vom Diktator restauriert) gemacht und 1978 mit der Ultrarechten das Gesetz verabschiedet.
Allen Folterberichten und der Straflosigkeit der Peiniger zum Trotz ließen sich PSOE und die PCE auch nicht davon abhalten, die Antiterrorgesetze 1980 sogar zum organischen Gesetz (einem Grundgesetz ähnlich) zu erheben. Sie äußerten angesichts der Folterberichte lediglich die Hoffnung, dass sich das, was sie einzelnes Fehlverhalten nannten, bald ändern werde. Geändert hat sich nichts, wie die jährlichen Menschenrechtsberichte zeigen. Es sind diese Gesetze, die es bis heute erlauben, eine Person für bis zu 13 Tage zu inhaftieren, bevor sie einem Haftrichter vorgeführt oder frei gelassen wird. In der Zeit ist sie völlig abgeschirmt, erhält keinen Kontakt ihrer Familie, ihrem Anwalt oder einem Arzt des Vertrauens, was nach Angaben der Menschenrechtsorganisationen “gewöhnlich zur Misshandlung von Gefangenen beiträgt.“
Kontinuität wie die Folter selbst hat auch, egal welche Regierung gerade in Madrid regiert, dass stets abgestritten wird, dass in dieser berüchtigten Kontaktsperre (Incomunicado-Haft) Menschen gefoltert werden (http://www.heise.de/tp/r4/artikel/12/12359/1.html). Dazu müssen die Verhafteten nur unter dem Antiterror-Gesetz verhaftet werden. Spanien weigert sich stets, Foltervorwürfe anzuerkennen und gegen sie vorzugehen. Das geschah zum Beispiel, als Theo van Boven, UNO-Sonderberichterstatter für Menschenrechte, das Land im Jahre 2004 vor der UNO-Vollversammlung anklagte. Er hatte zuvor Spanien besucht und war mit Folteropfern zusammengetroffen. Er stellte in seinem Bericht fest, dass in Spanien “mehr als sporadisch auf Praktiken wie Folter, Misshandlungen, grausame oder unmenschliche Behandlung zurückgegriffen wird.” Da Spanien derlei nicht anerkennt, werden auch die Forderungen der UNO, von Amnesty International (http://www.es.amnesty.org/paises/espana/tortura-y-malos-tratos/) und von anderen, der Folter vorzubeugen, bis heute zurückgewiesen. Bis heute fordert Van Bovens Nachfolger Martin Scheinin immer wieder die Abschaffung der Kontaktsperre (http://www2.ohchr.org/english/issues/terrorism/rapporteur/docs/A.HRC.10.3.Add.2AEV.pdf) und bis dahin wenigstens die lückenlose Aufzeichnung während der Isolationshaft per Video. Amnesty International hat der Forderung nach Abschaffung der Incommunicado-Haft im September 2009 einen eigenen Bericht gewidmet (“Aus dem Dunkeln ans Licht – Zeit, die Incommunicado-Haft abzuschaffen”, siehe: http://www.info-baskenland.de/51-0-Menschenrechte.html).
Sonst kommt es nämlich oft zu den üblichen Erstickungsmethoden, Elektroschocks und Schlägen. Folteropfer berichten auch von Vergewaltigungen, vaginal oder anal mit Pistolenläufen, Knüppeln oder anderen Gegenständen. Dazu kommt psychologische Folter, wie Scheinerschießungen, Schlafentzug und zum Beispiel die Drohung, auch die Freunde oder Familienangehörige zu verhaften, um sie der gleichen Tortur zu unterziehen. Das sind nur einige der Folterpraktiken, die zumeist in den ersten vier Tagen der Incomunicado-Haft angewendet werden (http://es.wikipedia.org/wiki/Legislación_antiterrorista_española#Incomunicaci.C3.B3n). Die Incomunicado-Haft kann bis zu 13 Tage verlängert werden. Das geschieht meist nicht, um die Folter fortzusetzen, sondern damit Wunden verheilen und Beweise verschwinden, bevor der Geschundene freigelassen oder im Gefängnis abgeliefert wird.
All diese Vorgänge hat Xabier Makazaga ausführlich in seinem Buch “Manual del torturador español” (Handbuch des spanischen Folterers) dargestellt, das im baskischen Verlag Txalaparta (http://www.txalaparta.com) erschienen ist. Wie die Regierung unter der konservativen Volkspartei (PP) die Folterberichte aus den Jahren 1996 bis 1999 der Madrider “Vereinigung gegen die Folter” (http://www.nodo50.org/actortura/) zensierte, gibt es nun auch gegen dieses Buch Zensurmaßnahmen. Führte ausgerechnet die PP einst als Argument den Datenschutz im Internet an, so geht die Nachfolge-Regierung, die sich sozialistisch nennt, bisher eher subtil vor.
So wurde zunächst ein publizistischer Feldzug gegen das Buch gestartet, um es zum Beispiel aus den Bibliotheken zu verbannen.
Die weit rechts stehende Zeitung La Razón (http://www.larazon.es/noticia/8074-el-manual-del-torturador-espanol-de-batasuna-esta-en-30-bibliotecas-publicas-vascas) eröffnete die Hatz. Wie in solchen Fällen üblich wird das “Umfeld von Batasuna” (Hervorhebung im Original), der verbotenen Partei der linken baskischen Unabhängigkeitsbewegung bemüht, welches das Buch angeblich verlegt habe. Dass sich Batasuna von der Gewalt der Untergrundorganisation ETA klar distanziert hat (http://www.heise.de/tp/blogs/8/148319), wird nicht zur Kenntnis genommen. Der Herausgeber Txalaparta wird gleich mit in den Topf geworfen. Mit derlei Hinweisen erübrigt sich in Spanien dann zumeist jede Erörterung darüber, ob der Inhalt des Buchs richtig oder falsch ist. Schließlich, so wird stereotyp behauptet, gäbe es Folter nicht. Die ETA weise aber ihre Mitglieder an, Folter anzuzeigen, um Spanien zu diskreditieren.
Die Kampagne wurde von der rechten Zeitung El Mundo weitergetrieben (http://www.sindinero.org/blog/archives/3134), Inzwischen hat sich auch die größte Tageszeitung El País angeschlossen. Auch El País, die der sozialdemokratischen Regierung nahe steht, spricht wortgleich vom “Umfeld von Batasuna” und “angeblicher Folter”. Sie berichtet als Erfolg, dass die sozialdemokratische Bürgermeisterin der baskischen Stadt Basauri das Buch aus der Stadtbibliothek entfernt hat (http://www.elpais.com/articulo/pais/vasco/Basauri/retira/Manual/torturador/biblioteca/elpepiesppvs/20101122elpvas_2/Tes) und über den Druck auf andere, diesem Beispiel zu folgen. Man fragt sich, ob eine Zeitung, die gegen Folter vor der eigenen Haustür die Augen verschließt und Zensurmaßnahmen feiert, zum Beispiel ein geeigneter Ort ist, um die Wikileaks-Dokumente zu veröffentlichen (http://www.heise.de/tp/r4/artikel/33/33770/1.html).
Doch zurück zur Folter. Man fragt sich, wie es El País nach dem Urteil im Fall der baskischen Journalistenkollegen der Tageszeitung “Egunkaria” weiterhin schafft, die Augen vor der Folter in Spanien zu verschließen. Denn sogar der Nationale Gerichtshof (das Madrider Sondergericht Audiencia Nacional) hat mit den Freisprüchen für die Egunkaria-Journalisten anerkannt, dass auch angesehne Journalisten von der Guardia Civil gefoltert wurden (http://www.heise.de/tp/blogs/8/147423). Was aber passiert mit unbekannten Jugendlichen, wenn selbst wir so behandelt werden, fragte sich der Chefredakteur der Zeitung nach seiner Freilassung. Das Geständnis von Martxelo Otamendi und seinen Kollegen verwarf das Sondergericht. Es war aus den Journalisten während der Kontaktsperre heraus geprügelt worden (http://www.heise.de/tp/r4/artikel/14/14275/1.html). Zudem stellte das Gericht fest, dass die geschilderten Folterungen “kompatibel mit den Gutachten von forensischen Ärzten seien, die bei der Aufnahme im Gefängnis erstellt wurden.” In diesem Fall wurden die Folteranzeigen auch nicht als “Beweis” dafür gewertet, dass man es hier mit gefährlichen ETA-Mitgliedern zu tun habe, wie es in anderen Verfahren immer wieder geschieht.
Als Reaktion auf die Zensur gegen das Buch von Makazaga hat sich der Verlag Txalaparta dazu entschieden, dass Buch auf seinen Webseiten zum freien Download (http://www.txalaparta.com/upload/productos/Manual_del_torturador.pdf) anzubieten, um es auch im Rest des Landes zur Verfügung zu stellen und um der Zensur zu begegnen. Es würde den aufmerksamen Beobachter nicht wundern, wenn der Verlag demnächst von der Guardia Civil gestürmt und geschlossen werden würde. Es wäre nicht der erste Fall. Schließlich waren es auch die Paramilitärs der Guardia Civil, die das Vorgehen gegen die Zeitung Egunkaria diktiert hatten (http://www.heise.de/tp/r4/artikel/31/31749/1.html). Und fast immer ging eine entsprechende “Umfeld”-Kampagne der Stürmung voraus. Da hilft es auch wenig, wenn schließlich nach 11 Jahren höchstrichterlich festgestellt wird, dass das “vorläufige Verbot” schlicht “illegal” war (http://www.heise.de/tp/blogs/8/139462).
Haben die Vorgänge um das Buch vielleicht auch etwas mit der Verurteilung der vier Guardia Civil Beamte wegen Folter vor einem baskischen Gericht in Donostia – San Sebastian zu Haftstrafen zwischen zweieinhalb und viereinhalb Jahren zu tun? Jedenfalls stellte dieses Gericht fest, dass Juan Jesús Casas García, José Manuel Escamilla Martín, Sergio García Andrade und Sergio Martínez Tomé die beiden mutmaßlichen ETA-Mitglieder Igor Portu und Mattin Sarasola gefoltert haben (http://www.gara.net/agiriak/20101230_sentenciaPORTUSARASOLA.pdf).
Leider passiert es selten, dass so starke Beweise für Folter vorliegen wie im Fall dieser beiden jungen Leute aus der kleinen Stadt Lesaka im Norden von Navarra. So wurde Portu am Tag nach der Verhaftung mit schwersten Verletzungen auf die Intensivstation eines Krankenhauses eingeliefert. Die Zivilgarden hatten behauptet, die Verletzungen seien die Folge des Widerstands bei der Verhaftung in einer Straßenkontrolle gewesen. Doch ein Zeuge bestätigte ihre Aussagen, keine Gegenwehr geleistet zu haben. Zudem konnte die Guardia Civil die vielen Stunden nicht erklären, die zwischen Verhaftung bis zur Einlieferung ins Krankenhaus vergangen waren. Als die Verhafteten während der Hausdurchsuchung ihre Familien sehen konnten, waren sie ebenfalls noch nicht in einem solch bedauernswerten Zustand, wie er später im Krankenhaus attestiert wurde. Dass Portu eine gebrochene Rippe aufwies, welche die Lunge verletzt hatte, deckte sich mit den Schutzbehauptungen der Guardia Civil genauso wenig, wie die im Krankenhaus festgestellten Blutergüsse im Brustbereich, auf dem Rücken und am Auge.
Trotz des laufenden Verfahrens wegen Folter, wurden aber genau diese beiden Personen für den Anschlag auf den Madrider Flughafen Barajas verantwortlich gemacht, mit dem die ETA den Friedensprozess 2006 gesprengt hatte (http://www.heise.de/tp/r4/artikel/24/24345/1.html). Sie wurden im Mai vom Nationalen Gerichtshof dafür zu jeweils mehr als 1000 Jahre Haft verurteilt. Die Forderungen der Verteidigung, zunächst die Entscheidung im Folterverfahren abzuwarten, wurden verworfen. Nun darf man gespannt sein, was nun mit dem Urteil gegen die beiden Folteropfer geschieht. Schließlich hatte das Madrider Sondergericht im Urteil gegen Igor Portu und Mattin Sarasola ausdrücklich vermerkt, ihre Geständnisse hätten die beiden in der Incomunicado-Haft freiwillig unterschrieben. Sie seien “nicht das Ergebnis irgendeiner Art von Folter, physischer oder psychischer Misshandlung”, so steht es im Urteil zu lesen. Die Selbstbezichtigungen waren sogar die Hauptbeweismittel, die zu den Verurteilungen führten.
In einem normalen Land würde auch ein Innenminister zurücktreten, der sich vorbehaltlos hinter die Darstellungen der Guardia Civil gestellt hatte und damit Folter zu decken versuchte wie es der damalige und jetzige Innenminster Alfredo Pérez Rubalcaba getan hatte. Stattdessen wurde die Bürgermeisterin von Hernani als ETA-Unterstützerin angeklagt, weil sie den Folteropfern verbal von einer Veranstaltung aus eine feste Umarmung in den Knast geschickt hatte.
© Ralf Streck, den 30.12.2010
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