Kapitel 0 – 2, zurücknavigieren >>
Kapitel 3 – 4, zurücknavigieren >>
5. DER DEMOKRATISCHE PROZESS, SCHLÜSSEL FÜR POLITISCHE VERÄNDERUNGEN
5.1 Charakterisierung des demokratischen Prozesses
Der demokratische Prozess ist eine allgemeine politische Aktion mit dem Ziel, Kräfte für politische Veränderungen zu bündeln.
Der demokratische Prozess ist nicht nur eine der Methoden, sondern ein wesentlicher Bestandteil der Unabhängigkeits-Strategie. Erreicht man ein politisches Abkommen, ermöglicht dies die Schaffung der juristisch-politischen Voraussetzungen für die Phase, die zum Ziel Unabhängigkeit führt. Außerdem kann der Kampf für die strategischen Ziele unter besseren Bedingungen geführt werden, wenn ein Abkommen zustande gekommen ist.
Der demokratische Prozess ist eine eigene Entwicklungsstufe des Befreiungsprozesses, er steht in Übereinstimmung mit unserem politischen und historischen Weg und erlaubt uns, in der letzten Etappe die Führungsrolle zu übernehmen (konkret in jener Phase, in der wir die Unabhängigkeit erlangen werden). In diesem Sinne hat die abertzale Linke zwei Aufgaben zu erfüllen, die eng miteinander verbunden sind und die den Fortschritt in Richtung politischer Veränderungen bestimmen: einerseits ein politisches Abkommen zu erreichen, das einen demokratischen Rahmen schafft und den Konflikt löst; andererseits strategische Positionen zu stärken (sozialistische und Unabhängigkeits-Kräfte, zum Beispiel Unterstützerinnen und Unterstützer für den „Euskal Estatua“ oder den baskischen Staat zu finden, Euskal Herria im Bereich der Arbeitsverhältnisse oder im wirtschaftlich-sozialen Bereich sichtbar machen).
Der nationale Aufbau ist ein grundlegendes Merkmal des demokratischen Prozesses. Gelegentlich wurden beide Elemente als unvereinbar dargestellt, doch sind sie unverzichtbar und müssen Hand in Hand gehen. Nationaler Aufbau allein und ohne Änderung der demokratischen Spielregeln kann nicht die neuen politischen Verhältnisse schaffen, die Euskal Herria braucht. Strukturen von Gegenmacht zu entwickeln oder Gegenmacht aufrecht zu erhalten ist nicht dasselbe. Demokratische Verhältnisse würden die Bedingungen für den nationalen Aufbau verbessern. Gleichzeitig kann der demokratische Prozess allein keinen Richtungswechsel garantieren. Erst wenn sich die Bevölkerung in Bewegung setzt, erhält der nationale Aufbau eine vitale Bedeutung.
Der demokratische Prozess ist die zweckmäßige Strategie, die uns die Änderung der aktuellen „Spielregeln“ ermöglichen wird, die Verschiebung von Parametern in eine Richtung, in der die abertzale Linke stärker und wirksamer sein wird.
Der demokratische Prozess muss so gestaltet sein, dass die Zeit für uns läuft. Der Staat nutzt den Faktor Zeit, um die abertzale Linke zu zermürben und um die Bedingungen, die Veränderungen ermöglichen, verschwinden zu lassen. Haben wir erst einmal den demokratischen Prozess in Gang gesetzt, müssen wir den Zeitfaktor auf unsere Seite holen und so nutzen, dass es dem Staat unmöglich wird, die Lösung des Konflikts auf ewig zu blockieren. Sowohl auf internationaler Ebene wie in der Wahrnehmung der Bevölkerung müssen wir im Laufe der Zeit erreichen, dass der Staat als das gesehen wird, was er ist, als Folterknecht, und wir als das, was wir sind, als Opfer. Die wirkliche Rollenverteilung der Konfliktparteien sichtbar zu machen, nützt uns und schadet dem Staat.
Der demokratische Prozess muss das Wort und die Entscheidung der baskischen Bevölkerung zum Ausgangspunkt haben. Folglich darf es keinerlei Art von Gewalt oder äußerer Einmischung geben. Um den Einfluss derjenigen zurück zu drängen, die der Bevölkerung von Euskal Herria ihre Rechte verwehren wollen, ist die Aktivierung der Kräfte entscheidend, die den Prozess und das demokratische Szenario unterstützen. Dies ist die wichtigste Garantie für den Prozess. Denn es ist klar, dass der Staat alles in seiner Macht stehende tun wird, um ihn zu verhindern.
Wie jeder Prozess muss auch der demokratische Prozess dynamisch sein und sich stufenweise vollziehen. Er muss sich Schritt für Schritt seinem Ziel nähern.
Der demokratische Prozess erfordert Verhandlungen konkreter Natur mit den Vertretern des Staates. Die Verhandlung muss unter dem Vorzeichen stehen, verschiedene, aufeinander folgende, politische Abkommen zu erzielen, Kräfte zu bündeln, das Kräfteverhältnis zu ändern und den nationalen Aufbau voran zu bringen (Dynamiken und Hilfsmittel, um Euskal Herria sichtbar zu machen, das Bewusstsein der nationalen Identität von Euskal Herria in der Bevölkerung verankern …).
Verhandlungen müssen der Antrieb des demokratischen Prozesses sein. Doch der beschränkt sich nicht allein auf Verhandlungen und darf sich ihr nicht unterordnen, zumindest nicht völlig. Selbst wenn die Verhandlung in bestimmten Momenten vom Staat blockiert wird, müssen wir in der Lage sein, im demokratischen Prozess voranzukommen und die Vereinigung unserer Kräfte und den nationalen Aufbaus weiter zu betreiben.
Es muss Klarheit darüber bestehen, dass die einzige Garantie für die Umsetzung der in den Verhandlungen erreichten Abkommen und für Fortschritte im Prozess in der Zusammenführung unserer Kräfte liegt, in der Änderung des Kräfteverhältnisses und im nationalen Aufbau.
5.2. WERKZEUGE DES DEMOKRATISCHEN PROZESSES
5.2.1. DIE NEUSTRUKTURIERUNG DER ABERTZALEN LINKEN
In dieser Phase des Prozesses kommt der abertzalen Linken die Funktion des Motors zu, nur sie kann seine Weiterentwicklung und seine Richtung garantieren. Wir müssen uns bewusst sein, dass die abertzale Linke den demokratischen Prozess führen muss, sowohl in politischen wie auch in institutionellen und gesellschaftlichen Fragen.
Um sich dieser Aufgabe stellen zu können, muss sich die abertzale Linke neu strukturieren. Dafür ist eine generelle und vorurteilslose Reflektion der künftigen Organisationsform notwendig. Innerhalb dieser Neustrukturierung kommt der Stärkung der Einheit in jedem Fall besondere Bedeutung zu.
Die unidad popular, die Volkseinheit, muss der Orientierungspunkt für alle linken Anhänger/innen der Unabhängigkeit sein. Zentraler Faktor bei Massenmobilisierung und institutioneller Arbeit. Sie ist wichtigster Orientierungspunkt der abertzalen Linken in dieser Phase. Sie hat die Aufgabe, die aus der Volksbewegung resultierende Macht zu handhaben und nimmt allein oder in Koalition an Wahlkämpfen teil. Die Volkseinheit ist das wichtigste Instrument zur Entwicklung des politischen Projekts der linken Unabhängigkeitsbewegung. Denn wir haben ein eigenes politisches Projekt, das wir während der verschiedenen Phasen des Prozesses konkretisieren und verwirklichen müssen. Sowie es die Situation erlaubt, muss die Volkseinheit selbstverständlich die Legalisierung dieses Projekts zum Ziel haben.
Die Strategie für Unabhängigkeit und Sozialismus braucht eine starke Bewegung zur nationalen Befreiung des Baskenlandes, die sich durch Organisierung, durch das Engagement der Mitglieder und durch ideologisch-politische Klarheit auszeichnet. Zur Konkretisierung braucht es eine starke abertzale Linke, die den demokratischen Prozess in dieser Phase bis zur letzten Konsequenz vollzieht.
Massenmobilisierung und institutionelle Arbeit
In dem Maße, wie die Strategie zu konkreten Schritten führt, werden die Aktions-Schwerpunkte der abertzalen Linken die Massenmobilisierung und die institutionelle Arbeit sein. Sie ergänzen sich gegenseitig. Gleichwohl sind wir uns bewusst, dass es auch hier große Hindernisse zu überwinden gilt. Aber diese Mechanismen erlauben es uns, aktive und engagierte Kräfte zu sammeln.
Um die institutionelle Arbeit und die Massenmobilisierung wirksam einzusetzen, sind weitere entscheidende Bereiche in Betracht zu ziehen, wenn es um die tägliche politische und gesellschaftliche Arbeit geht.
- Ideologischer Kampf. Um die politischen Ziele der abertzalen Linken zu erreichen, ist eine Debatte über Ideen und Inhalte unverzichtbar. Konservativen Vorstellungen gegenüber müssen wir den Wert freier Personen, freier Kollektive und freier Völker betonen. Wir werden nur schwerlich eine linke, nationale Strategie entwickeln können, wenn sich die Gesellschaft Richtung Individualismus und Egoismus bewegt. Der ideologische Kampf dient der abertzalen Linken nicht nur langfristig bei der Verankerung ihrer Ziele im Bewusstsein der Gesellschaft, er ist ebenfalls notwendig für die Stärkung der aktuellen Aktivitäten. Die aktuellen Kämpfe, Massenmobilisierungen und die institutionelle Arbeit müssen ideologische und politische Inhalte vermitteln, die es allen Linken und allen Anhängerinnen und Anhängern der Unabhängigkeit ermöglicht, sich aktiv einzumischen.
- Kommunikation mit der Bevölkerung. Wir leben in einer Gesellschaft der Massenmedien. Das bestimmt die für die Aktivitäten der abertzalen Linken nötige Kommunikation mit der Gesellschaft. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Welt der Massenmedien eng verknüpft ist mit den Machtzentren und sie deshalb verbissen die gegen Euskal Herria errichteten Barrieren verteidigt. Auch wenn wir versuchen müssen, in der schwierigen Beziehung mit diesen Medien weiter zu kommen (ohne zu vergessen, die von ihnen praktizierte Politik der Apartheid und der Manipulation gegenüber der abertzalen Linken zu denunzieren), müssen wir auch andere Kommunikationskanäle stärken. In einem Moment der Diversifizierung der Medienszene in Euskal Herria müssen wir die Möglichkeiten untersuchen, die verschiedene Kommunikationsmedien bieten. Gleichzeitig müssen wir prüfen, inwieweit wir unter Nutzung neuer Technologien eigene Medien schaffen können.
- Gesellschaftliche Basis. Um eine linke, nationale Strategie umzusetzen, ist es notwendig, die gesellschaftliche Basis der abertzalen Linken zu aktivieren. Dies geschieht nicht auf spontane Art, es bedarf einer Vorbereitung. Auch wenn es in diesem politischen Zyklus überaus wichtig ist, die richtigen Aktionsformen zu wählen, ist deren Unterstützung durch unsere soziale Basis unabdingbar. Aufgabe der abertzalen Linken ist es, stabile Kommunikationskanäle mit unserer sozialen Basis einzurichten und aufrecht zu erhalten, um die Verbindung so eng wie möglich zu gestalten. Die soziale Basis bildet den Zugang der abertzalen Linken zur Gesellschaft im Allgemeinen.
- Gesellschaftlicher Bezug. Die abertzale Linke muss sich stärker auf die Gesellschaft orientieren. Zum einen müssen wir innerhalb des abertzalen Spektrums zur bestimmenden Kraft werden. Zum anderen stehen wir vor der Aufgabe, in gemeinsamer Arbeit mit allen aus dem abertzalen Spektrum dem nationalen Aufbau die Dimension einer Volksstrategie zu verleihen. Und schließlich müssen die Mauern der Gettos abertzal/nicht-abertzal eingerissen werden. In bestimmten Gebieten ist dies wesentlich für ein Ende der bestehenden Hegemonien und für neue Kräfteverhältnisse. Wie sonst sollen wir vorankommen, wenn wir in diesen Gebieten nicht die Unterstützung finden, die wir brauchen?
Gesellschaftliche Mobilisierung
Massenmobilisierung ist nicht nur ein Höhepunkt gesellschaftlicher Aktivierung, sie ist auch ein Zeichen der Stärke eines revolutionären Projekts. In gleichem Maße wie die Dynamik der Konfrontation und die Reaktion auf staatliches Handeln, braucht auch der demokratische Prozess eine gesellschaftliche Mobilisierung, um sich unaufhaltsam zu entfalten.
Die Mobilisierungen auf nationaler oder regionaler Ebene sind wichtige Bezugspunkte, sie geben der politischen Aktivität und dem Projekt der abertzalen Linken Rückhalt. Wichtig ist dabei eine gute Vorbereitung und Durchführung, neben der Mobilisierung selbst darf die Vor- und Nachbereitung nicht vernachlässigt werden. Umso mehr, wenn wir uns daran erinnern, dass die Mobilisierungen der abertzalen Linken in den letzten Jahren oft von Verfolgung begleitet waren, sei es durch Verbote oder durch den Versuch der Zensur in den Medien.
Neben diesen wichtigen Aktivitäten dürfen auch die Mobilisierungen auf örtlicher und kleinregionaler Ebene nicht unterschätzt werden. Sie verankern unsere Aktion wirksam in der Gesellschaft. Tatsächlich kann es zu Überdruss und Problemen kommen. Deshalb ist es nötig, die Methode und Art der Mobilisierung immer wieder zu prüfen, auf den Zeitpunkt zu achten, die Zielrichtung der Mobilisierung …
Die Rede war von verschiedenen Arten der Mobilisierungen abhängig von den Gebieten (national, regional, kleinregional oder örtlich). Ein anderes Kriterium ist die Mobilisierung nach Zielen. Das heißt, wenn sich die Mobilisierung auf ein konkretes oder ein allgemeines Problem im Rahmen des Konflikts von Euskal Herria mit dem spanischen oder französischen Staat bezieht. Mobilisierungen eines Bereichs der Gesellschaft haben in der Vergangenheit ihre Wirksamkeit gezeigt. Sie haben ein großes Potential, weil sie die Dimension des Konflikts aufzeigen. Der Beitrag von engagierten Einzelpersonen aus gesellschaftlichen Teil-Kämpfen ist enorm wichtig, damit wir uns in der täglichen Arbeit nicht in reinem Aktionismus verrennen oder nur „Anweisungen“ ausführen.
Ziviler Ungehorsam und Verweigerung sind ebenfalls Arbeitsinstrumente. Es sind Wege, sich gegen Zwang zu wehren und zu zeigen, wie wir uns die Zukunft vorstellen. Immer in der Absicht, den Gegner mürbe zu machen. Für uns sind sie eine weitere Methode innerhalb der allgemeinen Strategie. Denn unsere Revolution war und ist keine Revolution, die sich auf einen Schlag vollzieht (weder bewaffnet, noch zivil). Der nationale Aufbau, der Kampf der Linken und der demokratische Prozess im Allgemeinen sind die Instrumente, mit denen wir auf dem Weg zu einer tief greifenden Änderung erfolgreich vorankommen.
Unser Ziel ist es, den Kampfgeist in den Straßen, an den Arbeits- und Studienplätzen zu verbreiten, an Orten, an denen sich viele Menschen bewegen … Wir brauchen die gesellschaftliche Mobilisierung. Eine Mobilisierung, die wir selbstverständlich mit unserer allgemeinen Strategie und unseren Zielen in Einklang bringen müssen.
Wahlen und Institutionen
Wahlen sind ein Bereich von großem Einfluss, umso mehr, wenn wir bedenken, dass Euskal Herria im europäischen Teil der so genannten Ersten Welt des 21.Jahrhunderts liegt. Die Bedeutung von Wahlen steht außer Frage, wenn wir die vergangenen Jahre betrachten: bei den Regional- und Kommunal-Wahlen 2003 erlebten wir, wie der Versuch scheiterte, die abertzale Linke zu zerschlagen. Es war das Wahlverhalten, das dieses Scheitern deutlich sichtbar machte.
Die Wahlen im spanischen Staat nach dem 11.März führten zu einem unerwarteten Umschwung. Im nördlichen Baskenland wurde bei den EU-Wahlen ebenfalls deutlich, dass Batasunas Weg der richtige ist, HZ34 wurde zum Bezugspunkt für Abertzale, der Versuch von AB mit den Grünen scheiterte. Die legalen Stimmen für EHAK 2005 zeigten einen Aufwärtstrend; bei den Kommunalwahlen 2007 legten die am Dialogprozess beteiligten Parteien zu (Abertzale Linke und PSOE); auch unser Wahlergebnis von 2008 war gut und die kürzlich durchgeführten Regional- und Europa-Wahlen haben die Basis für eine effiziente Strategie geschaffen und den Schritt ermöglicht, der im vorliegenden Diskussionspapier seinen Ausdruck findet. Beim Blick zurück auf Geschichte, Aktivität und politische Kultur der abertzalen Linken, waren Wahlen jeweils ein wichtiger Bereich des Kampfes, in dem Stärke gezeigt werden konnte. Das gilt mehr denn je auch für die Zukunft, wenn wir ein starkes Zentrum schaffen wollen, das den demokratischen Prozess bis zur letzten Konsequenz führt. Dagegen würden Ausgrenzung und Zersplitterung für uns eine düstere Zukunft bedeuten.
Institutionen sind Bereiche politischer Aktivität. Ohne zu vergessen, dass wir heute die undemokratischste Situation der vergangenen 30 Jahre erleben, in der die Ausgrenzung auf die Spitze getrieben wurde. Wie im Kapitel über die Dynamik des Reagierens beschrieben, erfordert eine solche Situation eine ständige Anklage.
Es ist klar, dass sich die Situation in den vergangenen 30 Jahren komplett verändert hat. Bis vor einigen Jahren dachten wir noch, die Teilnahme der abertzalen Linken in bestimmten Gremien und Institutionen würde den politisch-juristischen Status Quo legitimieren und stärken. Heute hingegen, wo wir politische Veränderungen basierend auf dem nationalen Aufbau erreichen wollen, ist die Anwesenheit der abertzalen Linken in den Institutionen zur gesellschaftlichen Streitfrage geworden. Wir haben den bestehenden Institutionen über all die Jahre die Legitimität abgesprochen und werden dies fortsetzen so lange sich keine wirklich demokratische Situation einstellt.
Im Rückblick gibt es einen weiteren Punkt der Selbstkritik. Die Leichtigkeit, mit der wir – manchmal unfreiwillig – der PNV die Verwaltung der Institutionen überlassen haben, hat sich in ein strukturelles Hindernis für den Fortschritt verwandelt. Anders gesagt: die so genannte „Anti-System-Haltung“, auch wenn sie im revolutionären Sinn korrekt sein mag, ist nicht sonderlich wirksam. Wir brauchen Stimmen bei Wahlen und administrativen Einfluss, um unsere Strategie umzusetzen.
Wenn wir es schaffen wollen, im demokratischen Prozess voran zu kommen, müssen wir auch die aktuellen institutionellen Bedingungen als Werkzeuge für die Stärkung unseres politischen Einflusses zu nutzen wissen, um von dort aus den nationalen Aufbau und die Ausrichtung eines politischen Abkommens zu stärken und zu steuern. Nicht zuletzt zur Stärkung unseres eigenen Projekts.
Darüber hinaus braucht die abertzale Linke großen Einfluss in den Institutionen und Strukturen, die im Verhandlungsprozess entstehen, denn in diesen neuen Strukturen wird der Prozess der Selbstbestimmung in Gang kommen, dort entscheidet sich, wie dieses Recht im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten genutzt wird.
Gleichzeitig müssen die Schritte in Richtung Institutionalisierung, die die nationale Struktur und den demokratischen Prozess stärken, in unsere politische Aktivität eingebunden sein. Ein wichtiger Schritt wird die Wiederbelebung von Udalbiltza sein. Es muss gut überlegt werden, wann und wie diese Reaktivierung von statten gehen soll, um der Institution die Bedeutung zu geben, die sie verdient.
5.2.2. BÜNDNISPOLITIK: UNABHÄNGIGKEITS-KRÄFTE ZUSAMMENFÜHREN
Die abertzale Linke muss ihre Strategie konkretisieren, um mit all jenen gesellschaftlichen Gruppen, die sich für die Souveränität aussprechen, einen gemeinsamen Weg zur Unabhängigkeit festzulegen. Wir müssen begreifen, dass dafür Kräfte aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen zusammen geführt werden müssen. In dieser Phase ist eine pluralistische Allianz notwendig. Ansonsten werden wir – von Dogmen geblendet – niemals eine Mehrheit für die Unabhängigkeit erreichen und faktisch gegen unser Unabhängigkeitsprojekt handeln.
Es ist notwendig, die Mehrheit in Euskal Herria, die einen gesellschaftlichen und politischen Wandel will, für das Projekt zu gewinnen. Unsere Aufgabe besteht darin, die gegenwärtige Zersplitterung der Kräfte zu überwinden und sie zusammen zu führen, um den politischen und sozialen Wandel im positiven Sinn zu lenken und um die Kräfteverhältnisse in Euskal Herria zu ändern.
Insofern gehören das Sammeln der Kräfte und der demokratische Prozess unteilbar zusammen. Um sicher zu stellen, dass der demokratische Prozess bis zu seiner letzten Konsequenz geführt wird, haben wir als Pfand nur den erzielten Fortschritt und die tatsächliche gesellschaftliche Aktivierung in der Hand. Eine der Hauptstreitfragen dieser Phase wird die Konkretisierung der Inhalte des politischen Wandels und seine Ausrichtung sein. Auf eine solche Auseinandersetzung zwischen jenen, die die territoriale Einheit Euskal Herrias negieren und die Teilung betreiben, und der anderen Seite, die wir Euskal Herria über ein neues demokratisches Szenario in die Unabhängigkeit führen wollen, müssen wir uns einstellen. Dafür müssen wir die gesellschaftliche Mehrheit in Euskal Herria, die demokratische und politische Veränderungen befürwortet, in Bewegung setzen.
Bei dieser Bündnispolitik ist es besonders wichtig, dass die gewerkschaftliche Arbeit in die gemeinsame Strategie eingebunden ist, sie aber gleichzeitig auch eigene Beiträge zur Entwicklung in diesem Pro-Unabhängigkeitssektor leistet.
Das Sammeln von Kräften ist, wie gesagt, eine Aufgabe, die in ganz Euskal Herria ansteht, unter Beachtung der jeweiligen Einflussbereiche und zugleich mit der Zielsetzung, den nationalen Standpunkt zu stärken. Im nördlichen Euskal Herria ist das Kräfteverhältnis momentan nicht ausreichend für einen wirklichen Wandel und zweifellos bringen Manöver wie die „Balladur-Reform“ für uns keine Änderung. Zur Überwindung dieser Blockadesituation kommt der gemeinsamen Arbeit aller Euskaltzalen (baskisch Sprechenden), Abertzalen und Linken eine Schlüsselfunktion zu. Auch hier ist es die abertzale Linke, die eine Antriebs- und Dynamisierungs-Funktion hat. In den kommenden Jahren müssen wir es schaffen, nicht nur im abertzalen Spektrum Einfluss auszuüben, sondern in der ganzen Gesellschaft. Dafür müssen wir uns mit wichtigen Problemen einzelner Bereiche verstärkt befassen.
5.2.3. DIE DYNAMIK DES REAGIERENS: EIN GESELLSCHAFTLICHES BOLLWERK ERRICHTEN
Der Angriff des spanischen Staats ist nicht nur extrem gewalttätig, er erfolgt auch auf ganzer Breite, in allen Bereichen. Auch der französische Staat greift zu immer härteren Mitteln, um die abertzale Linke zum Verschwinden zu bringen. Diese Situation erfordert es, uns den Exzessen und der Barbarei entschlossen entgegen zu stellen. Wir müssen diesen Kampf verstärkt führen und dabei auch andere Themen adressieren, wie zum Beispiel die fehlende Legitimierung des aktuellen rechtlichen Rahmens. Gleichzeitig müssen wir die Notwendigkeit einer Änderung der Situation betonen und selbstverständlich im öffentlichen Bewusstsein verankern, dass das Hauptziel der Repressionswelle die Verhinderung des Unabhängigkeitsprojektes ist.
Im Kampf gegen den Ausnahmezustand wiegt das Verbot der politischen und gesellschaftlichen Aktivitäten der abertzalen Linken besonders schwer. Es ist nicht nur ein Angriff auf demokratische Grundrechte, es ist auch die Hauptwaffe beim Versuch, das Rückgrat der Unabhängigkeits-Strategie zu brechen. Unsere Antwort auf diese Situation erfolgt auf zweierlei Weise: erstens, die Illegalisierungen anklagen. Zweitens, uns über die Verbote hinwegsetzen und unseren Weg weiter verfolgen. Der Sog der Repression darf uns nicht zerstören und von unserem Ziel abbringen. Das würde nur dem Gegner dienen. Notwendig und unverzichtbar sind beide Wege: unsere politischen Absichten weiterzuverfolgen und den Willen, sich zu wehren, als Ausdruck der kollektiven Gesinnung und der Kultur der abertzalen Linken beizubehalten.
Wir müssen auch lernen, die Wirklichkeit zu sehen. Sie wollen uns ersticken und uns fühlen lassen, dass sie uns ersticken, um uns von der Unmöglichkeit unseres Tuns zu überzeugen. Der psychologische Kampf ist ein wesentlicher Faktor. Wenn die staatliche Maschinerie in Gang kommt, ist sie kurzfristig nicht aufzuhalten. Das ist eine Tatsache. Das heißt jedoch nicht, dass mobilisierende politische Antworten keinen Wert hätten. Im Gegenteil, früher oder später werden wir die Repression überwinden, wie uns das in der Vergangenheit schon gelungen ist. Es ist so gut wie unmöglich, repressive Operationen auf der Stelle zu stoppen, doch mit entsprechenden Antworten schwächen wir die Position derer, die diese Operationen angeordnet haben. Gleichzeitig stärken wir unsere Initiative für eine demokratische Lösung.
Die undemokratische Situation in den Institutionen, die dort aufgrund der Illegalisierungen entstanden ist, muss besonders deutlich angeprangert werden. In der Mehrheit der Institutionen Euskal Herrias gibt es keine demokratische Vertretung, auf vielen Stühlen sitzen Leute, die nicht durch Voten von Wähler/innen legitimiert sind. Solange diese Situation besteht, muss sie mit aller Kraft angeklagt werden, um die demokratische Volksvertretung wieder herzustellen. Diese Anklage wird so zum Bestandteil der gemeinsamen Arbeit.
Wenn wir es schaffen, dem breiten Spektrum, von dem wir in dieser Phase sprechen, eine Stimme zu geben, können wir dem Ausnahmezustand dadurch Paroli bieten, dass wir diese inakzeptable Situation in die Öffentlichkeit tragen.
Es ist klar, dass unsere Aktivitäten zur Wiederherstellung des demokratischen Prozesses die Repressionsmechanismen überwinden müssen, wenn wir Fortschritte machen wollen. Dem Willen zur Wiederherstellung des Prozesses wird sich der Wille entgegen stellen, Repressionsmaßnahmen fortzuführen. Das kann unter uns selbst zu Spannungen führen, wenn wir nicht vorher eine klare Definition dieses Prozesses erarbeitet und alle interessierten Kräfte mobilisiert haben. Notwendig ist, dass sich in der Gesellschaft der Standpunkt durchsetzt, dass es zum demokratischen Prozess keine Alternative gibt.
In diesem Sinne ist es notwendig, die Dynamik des Reagierens in den Dienst der Anstrengungen für einen Prozess zu stellen. Die Antwort auf Repression und Ausnahmezustand muss durch breite Teile der Bevölkerung gegeben werden und nicht nur das Konfrontations-Schema abertzale Linke gegen Staat wiederholen. Das gilt jetzt, wie am Vorabend des Prozesses und während des Prozesses. Vorrangige Aufgabe ist es, staatliche Einmischung von dieser Perspektive aus in die Schranken zu weisen und nicht, den Prozess ständig mit sterilen Debatten in Frage zu stellen. Die Erklärung für Letzteres versteht sich von selbst, denn wie vorher ausgeführt sind Kräftesammlung und gesellschaftliche Mobilisierung die einzigen Garantien für die Entwicklung des Prozesses, nicht jedoch vermeintliche Willenserklärungen und unterschriebene Abkommen.
Die Schaffung eines Bollwerks gegen staatliche Einmischung und gegen den Ausnahmezustand muss von dieser Perspektive aus erreicht werden.
Gefangene und Flüchtlinge
Politische Gefangene und Flüchtlinge sind Folge des durch die Politik der Staaten hervorgerufenen Konflikts. Gleichzeitig sind sie klare Zeichen des Befreiungsprozesses, Beispiele eines Volkes, das für die Freiheit kämpft. Beispielhaft ist nicht nur ihr Einsatz, sondern auch die Bewahrung ihrer politischen Ziele. Konkret: der Kampf für Unabhängigkeit und Sozialismus. Ihr politischer Beitrag war entscheidend, Beispiele sind die Sabotage gegen die Hinnahme der Franquismus-Reformen, oder die Konfrontation mit der Reue-Politik, die die Liquidierung des Befreiungsprozesses zum Ziel hatte. Als 1994 die Unabhängigkeits-Bewegung einen neuen politischen Zyklus begann, haben sie eine wichtige Rolle gespielt. Für den kommenden Prozess wird eine ähnliche Rolle von fundamentaler Bedeutung sein.
In diesem Zusammenhang gibt es verschiedene Wege der Annäherung an das Thema:
- Vorweg ist festzustellen, dass der demokratische Prozess dem Gefangenen- und Flüchtlingskollektiv die Möglichkeit eröffnen muss, nach Hause zurück zu kehren. Dieser Kampfbereich muss unter dieser Perspektive reorganisiert werden. Auf diesem Weg muss eine Dynamik in Gang gesetzt werden wie am Ende des Franquismus und bei der Amnestie.
- Gefangenen- und Flüchtlingskollektiv haben politischen Charakter, das bestimmt ihren Status. Sie sind Aktivistinnen und Aktivisten und genau so muss ihre politische Rolle gesehen werden. Die Arbeit der abertzalen Linken muss diesen politischen Status stärken und Kanäle öffnen, mittels derer die Gefangenen direkt am Prozess teilnehmen können. Zu Zeiten von Lizarra-Garazi wurden die Regierungen aufgefordert, die Teilnahme der Gefangenen am Prozess zu ermöglichen. Das muss heute nicht mehr gefordert werden, denn dazu bedarf es keiner Erlaubnis irgendeiner Seite. Wir müssen die Zusammenlegung der Gefangenen fordern, die Möglichkeit, politische Vertretungen zu empfangen … ohne Einschränkung. Es ist die Entscheidung des Gefangenen- und Flüchtlingskollektivs, am Prozess teilzunehmen, die abertzale Linke muss trotz aller staatlicher Schikanen dafür sorgen, dass diese Möglichkeit Realität wird.
- Die Frage des Gefangenen- und Flüchtlingskollektivs ist eng verbunden mit dem Prozess zur Überwindung des Konflikts. Eine Amnestie (verstanden wie bei der Alternative KAS als taktischer Schritt der Freilassung der Gefangenen) wäre das deutlichste Signal, dass der Konflikt beigelegt ist.
- Mehr denn je handelt es sich bei dieser Frage um die Verteidigung der Menschenrechte. Isolation, Zerstreuung35, lebenslange Haft, Nichtfreilassung kranker Gefangener, Misshandlungen, Autounfälle von Angehörigen auf dem Besuchsweg … Unzählige Verstöße müssen angeklagt werden, die Situation muss geändert werden. Angesichts der Tatsache, dass die Staaten eine immer inhumanere Gefängnispolitik betreiben, kommt diesem Kampf in der gegenwärtigen Situation eine besondere Bedeutung zu.
All diese Punkte müssen präsent sein beim Versuch, den demokratischen Prozess in Gang zu bringen. Ein Schlussstrich unter die Verletzung von Menschenrechten (Rücknahme von Sondergesetzen, Freilassung von Gefangenen, die längst frei sein müssten, sowie deren Heimkehr nach Euskal Herria) wäre eine Maßnahme der Entspannung zur Einleitung des demokratischen Prozesses.
Gleichzeitig ist es ein wichtiges Thema bei der endgültigen Überwindung der Folgen des Konflikts. Wir können mit diesen Themen nicht bis zum Ende eines neuen Verhandlungsprozesses warten. Wir müssen die Angst überwinden, das politische Problem könne in den Hintergrund treten, wenn wir diese Themen auf die Tagesordnung setzen. Das Prozess-Schema muss anders sein: während Zeitpunkt und Beziehung zwischen den verschiedenen Verhandlungsebenen gut kontrolliert werden müssen, bedeutet jeglicher Fortschritt in anderen Bereichen eine Stärkung des Prozesses.
Andererseits darf Fortschritt oder Stagnation im Prozess unsere Arbeit nicht beeinflussen, wenn es darum geht, konkrete Probleme anzugehen, welche das Gefangenen- und Flüchtlingskollektiv betreffen. Es ist nicht dasselbe, ob Gefangene oder Flüchtlinge 5 oder 30 Jahre aushalten müssen. In den ersten Jahren der Reform beispielsweise konnte es dramatisch sein einzugestehen, dass eine Gefangene oder ein Gefangener (gudari) ein psychologisches Problem hatte. Wir wissen heute, dass dies kein Scheitern bedeutet, sondern Folge einer extremen Brutalität ist. Deshalb müssen die Verhaltensweisen geändert oder angepasst werden, die diese Kollektive benutzt haben. Ausgangspunkt hierfür sind immer die Debatten, die innerhalb der Kollektive geführt werden.
Notwendig ist eine Aktivierung derjenigen Kräfte, die unsere politischen Forderungen zum Thema Gefangene und Flüchtlinge mittragen. Notwendig ist die Schaffung einer breiten und bereitwilligen Aktionseinheit für die Freilassung der politischen Gefangenen in der Phase, die wir jetzt gestalten wollen.
So gesehen hat das gesellschaftliche Bollwerk nicht nur die Aufgabe, auf den Ausnahmezustand zu antworten, sie soll auch auf die Situation der Gefangenen und Flüchtlinge reagieren, indem sie eine Volksbewegung für Amnestie und demokratische Freiheitsrechte bildet.
5.2.4. VERHANDLUNGEN
Die Verhandlung: kontinuierliches Instrument
Verhandlungen müssen kontinuierlich stattfinden, auch in den widrigsten Situationen. In den Prozessen, die wir bisher erlebt haben, ist uns bewusst geworden, dass wir zu Beginn nicht ausreichend vorbereitet waren. Damit dies nicht wieder geschieht, gibt es nur einen Weg: die bisherigen Erfahrungen kritisch zu analysieren und Verhandlungen als eine kontinuierliche Linie zu verstehen.
Deshalb muss die abertzale Linke eine Gruppe beauftragen, die sich auf Verhandlungen konzentriert und die in die Leitung integriert ist. Gespräche, diplomatische Beziehungen, Untersuchungen, Pflege der Beziehungen …. müssen gewissenhaft und systematisch sein, nicht improvisiert und nicht provisorisch. Verhandlungen sind nicht kurzlebig, sondern werden bis zur Erlangung des Staates Euskal Herria eine Rolle spielen.
Entwicklung der Verhandlungen
Um die Arbeit in diesem Bereich zu konkretisieren müssen wir auf die bisher gesammelte Erfahrung zurückgreifen. Von früheren Gesprächen in Algier bis heute, denn die Verhandlungsweisen haben sich stark verändert.
Vor Algier. Beabsichtigt waren Verhandlungen zwischen der stärksten Macht im Staat (dem Militär) und ETA, denn das Militär hatte den Übergangs- und Reform-Prozess gewährleistet, ohne mit dem alten Regime zu brechen.
Algier. Nach dem Wahlsieg der PSOE und der Aufnahme des spanischen Staates in den „demokratischen Club“ Europas sollte die spanische Regierung Gesprächspartner von ETA sein. Zum ersten Mal wird von einer Verhandlungsrunde der Parteien gesprochen.
Die demokratische Alternative. Die Verhandlungen sollten auf zwei Ebenen erfolgen. Einerseits zwischen den baskischen Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern, andererseits in Gesprächen mit dem Staat. Die Konfliktlinie war nicht ETA gegen den Staat, sondern Euskal Herria gegen den Staat.
Jetzt das Volk Jetzt der Frieden. Eine Konkretisierung der vorherigen Initiative. Sie benennt die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an den Verhandlungen und definiert die Arbeit einer jeden separaten Verhandlungsrunde. Das Verhandlungsmodell findet sich im Vorschlag von Anoeta wieder, eine Verhandlung auf zwei Ebenen. Einerseits Gespräche zwischen den baskischen Vertreterinnen und Vertretern (es sollen politische Abkommen erreicht werden) und andererseits zwischen den Staaten und ETA. Im Unterschied zum vorigen Prozess kommt der Vorschlag von einem breiten Bündnis.
Bei der Definition der Methodik und der Verhandlungsinhalte müssen Lehren aus der bisherigen Entwicklung gezogen werden.
Verhandlungsmerkmale
Vorweg muss daran erinnert werden, dass die Verhandlung selbst kein Ziel ist und nicht schon als Erfolg verstanden werden darf. Sie ist ein Instrument, das den politischen Wandel konkretisiert und antreibt.
Ziel der politischen Verhandlung ist es, die Errungenschaften des gesellschaftlichen Kampfes juristisch-politisch zu verankern, um eine neue demokratische juristisch-politische Struktur zu erreichen. Integriert in den politischen Prozess muss die politische Verhandlung zum Ziel haben, die politischen Veränderungen und den hierfür notwendigen Weg zu konkretisieren. Deshalb sind politische Verhandlung und das aus ihr resultierende Abkommen Werkzeuge, um den Befreiungsprozess zu befördern. In unserem Befreiungsprozess, insofern er keinen umfassend revolutionär endenden Prozess darstellt, ist Verhandlung ein wesentliches Element. Die politische Verhandlung ist eine Kampflinie (sowohl für die abertzale Linke, als auch für den Staat). Die abertzale Linke muss die Verhandlungsrunden deshalb als Kampf verstehen, in denen es um die Errungenschaften des Volkes geht.
Das Verhandlungs-Modell findet sich im Vorschlag von Anoeta wieder. Es gibt eine einzige Verhandlung, die auf zwei Ebenen geführt wird. Auf der einen Seite verhandeln die Vertreterinnen und Vertreter aus Euskal Herria (mit dem Ziel, politische Abkommen zu erarbeiten), auf der anderen gibt es die Verhandlung zwischen ETA und den Staaten.
Die Verhandlungen und die internationale Gemeinschaft
Wie bei demokratischen Vorgängen allgemein spielt auch im Bereich der Verhandlungen die internationale Gemeinschaft eine wichtige Rolle. Die Erfahrungen der vergangenen Jahre haben gezeigt, dass die internationale Gemeinschaft eine Unterstützung für Verhandlungen darstellen kann. Sie direkt einzubeziehen wird somit den Beginn von Verhandlungen, die Erlangung von Abkommen und deren Einhaltung ermöglichen.
Die internationale Gemeinschaft kann Druck auf die Staaten ausüben (wie in dieser Phase auf den spanischen Staat), doch wird sie dies auch gegenüber der abertzalen Linken tun. Auch wenn uns die internationale Aufmerksamkeit bei der Lösung des politischen Problems nützlich sein kann, dürfen wir nicht davon ausgehen, dass sie sich alle unsere politischen Thesen zu eigen macht, geschweige denn, sich auf unsere Seite stellt, denn in unserem Kampf stehen wir zwei Staaten gegenüber, die auch international großen Einfluss haben.
Es ist aber nicht auszuschließen, dass klares, verlässliches Verhalten und die von uns vorgelegten demokratischen Vorschläge internationale Unterstützung erhalten. Darauf gründet sich unsere Position der Stärke.
Verhandlung und gesellschaftliche Unterstützung
Ein demokratischer Prozess erfordert eine breite gesellschaftliche Basis, die die Entscheidungen der verschiedenen Verhandlungsführerinnen und Verhandlungsführer stützt. Aus diesem Grund ist es notwendig, politische, gesellschaftliche und gewerkschaftliche Sektoren als Stützen eines breit angelegten Prozesses von Dialog und Verhandlung einzubeziehen. Dabei sprechen wir von einem Spektrum, dessen ideologische Grenzen nicht vorweg festgelegt sind und das über den demokratischen Prozess und die politischen Abkommen wachen wird. Wie gesagt, die gesellschaftliche Unterstützung wird die einzige Garantie darstellen, dass der Prozess zu politischen Abkommen führt.
6. NOTWENDIGE SCHRITTE, UM UNSERE ZIELE ZU ERREICHEN
Um einen demokratischen Prozess zu artikulieren und die Strategie, die wir in vorliegendem Dokument skizziert haben, wirksam umzusetzen, muss unser Weg vier große Schritte beinhalten. Jeder dieser Schritte kann individuell gesehen und entwickelt werden. Es ist aber nötig, dass sie sich gegenseitig unterstützen und stärken.
Diese Schritte sind:
- Die abertzale Linke restrukturieren. Dies ist ein drängendes Thema. Denn wenn wir die abertzale Linke als Motor sehen, macht es keinen Sinn, ihren jetzigen und künftigen Zustand nicht zur Kenntnis zu nehmen. Wir müssen mit dieser Arbeit beginnen. Das wichtigste Werkzeug der abertzalen Linken, um unsere Strategie zu vollenden und auszubauen, wird die Volkseinheit sein.
- Einen Raum für Pro-Unabhängigkeitsunterstützer schaffen. Dies ist eine Initiative, um breite Kreise der Gesellschaft zu erreichen und ideologischen Einfluss auszuüben. Das wird ein Raum sein, der mehr und mehr Menschen zusammenbringt, die unsere ideologische Botschaft erhalten. Dieser Raum wäre die Verbindung zwischen unserem taktischen Angebot (das international akzeptierte Recht auf Selbstbestimmung, territoriale Struktur …) und unserer strategischen Richtung (Baskischer Staat, Unabhängigkeit). Dieser Raum sollte eine nicht zu ausgeprägte Struktur haben und dynamisch sein. Er muss stufenweise Bereiche der Bevölkerung einschließen. Im Laufe seiner Entwicklung kann er zum Instrument für Wahlen werden und deshalb in den Institutionen präsent sein. Damit ändert er das Kräfteverhältnis zwischen Konstitutionalisten und der PNV. Gleichzeitig kann er die Entwicklung des demokratischen Prozesses beschleunigen und dessen Richtung beeinflussen. Auf jeden Fall wird jedoch die Volkseinheit Bezugspunkt und Organisationsform der abertzalen Linken sein, wenn es um den Kampf in den Institutionen und auf der Strasse geht. Der Raum für Pro-Unabhängigkeitsunterstützer ist nicht dafür gedacht, die Volkseinheit oder die abertzale Linke zu ersetzen, aber er bietet all denen eine Möglichkeit, die für Selbstbestimmung sind. Er ist damit ein fruchtbarer Boden, auf dem die Pro-Unabhängigkeits-Strategie gedeihen kann.
- Ein Bollwerk der Bevölkerung schaffen. Zusätzlich zur Restrukturierung der abertzalen Linken und zur Schaffung eines Raumes für Pro-Unabhängigkeits-Unterstützer ist es nötig, so schnell als möglich ein Bollwerk der Bevölkerung zu errichten. Dieses Bollwerk muss ein breites soziales Spektrum vereinigen, um den derzeitigen Ausnahmezustand anzuprangern und eine demokratische Lösung zu fordern. In späteren Stufen muss es Respekt vor dem demokratischen Prozess fordern und Einsatz für ihn verlangen. Mit fortschreitendem demokratischem Prozess wird es die Rückführung der Gefangenen in Baskenland fordern und jeden Versuch staatlicher Einflussnahme anprangern.
- Wiederbelebung des Verhandlungsprozesses. Mit den oben beschriebenen Bausteinen, mit der Einbindung internationaler Organisationen und der Verstärkung unserer Managementstrukturen an der Verhandlungsfront wollen wir Verpflichtung auf und Respekt vor dem demokratischen Prozess erzielen. In diesem Sinne müssen wir so schnell wie möglich die oben erwähnte Plattform für eine demokratische Lösung schaffen.
Euskal Herria, Oktober 2009
Fussnoten
34 HZ: Herritarren Zerrenda (Volksliste), Wahlplattform; AB: Abertzaleen Batasuna (Einheit der Abertzalen), Partei im nördlichen Baskenland; EHAK: Euskal Herrialdeetako Alderdi Komunista (Kommunistische Partei der Baskischen Territorien)
35 Zerstreuung nennt man die spanische Politik, baskische politische Gefangene in spanischen Gefängnissen zu inhaftieren, die möglichst weit vom Baskenland entfernt sind, oft mehrere hundert Kilometer. Dazu kommt die häufige Verlegung von politischen Gefangenen von einem Gefängnis in ein weit entferntes anderes.