30.11.2009 | Uschi Grandel

Während der Anti-Folter-Ausschuss der Vereinten Nationen und amnesty international Spanien drängen, endlich Maßnahmen gegen Folter und Misshandlungen zu ergreifen, verhängt ein spanischer Richter erneut gegen 34 baskische Jugendliche Incommunicado-Haft und ermöglicht tagelange Misshandlungen durch die spanische Polizei. Das Foto zeigt baskische Jugendliche, die sich mit den Verhafteten öffentlich solidarisieren.

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Am 12. November 2009 ehrte das PEN-Zentrum Deutschland Balthasar Garzón, einen der Untersuchungsrichter des berüchtigten Sondergerichts Audiencia Nacional, mit seinem Menschenrechtspreis. Zeitgleich beschäftigte sich in Genf der Ausschuss gegen Folter der Vereinten Nationen mit der Weigerung Spaniens, die Menschenrechtsverletzende Praxis der Incommunicadohaft (siehe Kasten: Incommunicado-Haft und Folter) abzuschaffen, die Garzón und seine Kollegen systematisch verhängen, wenn es um Verhaftungen im Kontext des spanisch-baskischen Konflikts geht.

Der Anti-Folter Ausschuss kritisierte in scharfer Form, er habe „zum wiederholten Mal unsere Besorgnis über die Incommunicado-Untersuchungshaft – die von allen relevanten regionalen und internationalen Menschenrechtsorganisationen geteilt wird – zum Ausdruck gebracht. Der spanische Staat nutzt diese Haft, wenn es um Straftaten geht, die mit Terrorismus in Verbindung gebracht werden … Die Incommunicado-Haft verletzt alle Schutzmassnahmen, die ein Rechtsstaat typischerweise gegen Misshandlungen und Folter vorsieht.“

Unai Romano

Incommunicado-Haft und Folter

Ein Mensch, der nach der Verhaftung in Incommunicado-Haft gehalten wird, ist für fünf Tage völlig von der Außenwelt abgeschnitten in den Händen der Polizei. Ein Anwalt oder ein Arzt eigenen Vertrauens ist nicht zugelassen, Familie oder Freunde werden nicht informiert. Ein Richter des Sondergerichts Audiencia Nacional ordnet die Incommunicado-Haft schriftlich an. Bei Terrorismus-Verdacht kann diese Periode auf maximal 13 Tage ausgedehnt werden.

Unai Romano (Foto vor und nach der Haft) wurde im Jahr 2001 nach tagelanger Incommunicado-Haft ins Krankenhaus eingeliefert. Seine Anzeige wegen Folter wurde in Spanien abgewiesen. Er klagt derzeit vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

6.000 Foltervorwürfe gab es in den letzten 30 Jahren.

20.000 protestieren gegen die Verhaftungen

Der Bericht war noch keine Woche alt, als die spanische Polizei mit 650 Polizisten in einer Großrazzia, im Baskenland 34 junge politische Aktivisten im Morgengrauen aus ihren Betten holte, sie ins 500 km entfernte Madrid schaffte und über sie genau diese Incommunicado-Haft verhängte.

Wie am Fließband lässt der zuständige Richter Fernando Grande Marlaska am Sondergericht Audiencia Nacional 31 der Jugendlichen nach mehrtägiger Incommunicado-Haft ins Gefängnis überführen. Die Jugendlichen zeigen Misshandlungen, Schläge, psychische und physische Gewalt an. Der Richter ignoriert die Anzeigen genauso wie die Kritik der Menschenrechtsorganisationen. Seine Anschuldigungen sind schwammig und unkonkret. Mitglieder der baskischen Jugendorganisation Segi seien sie, sagt Marlaska und bezeichnet die Jugendorganisation als „Tentakel der ETA“. Beweise bleibt er schuldig. Sein Kollege Baltasar Garzón setzte 2002 in Spanien das Verbot von Segi durch, in Frankreich ist die Jugendorganisation legal.

Über 20.000 Menschen protestierten in Bilbo (span. Bilbao) am Samstag gegen die Verhaftungen und die Incommunicado-Haft. Das Foto zeigt baskische Jugendliche, die sich mit den Verhafteten öffentlich solidarisieren. Eine der Mütter sagte in ihrer Rede:

„Unsere Söhne und Töchter sind keine Verbrecher, sie studieren, arbeiten, träumen, sind großherzig und kämpferisch … Sie setzen sich für ihre Vorstellungen ein und sagen ihre Meinung. Unabhängigkeit ist für sie mehr als ein Traum, es ist ihre Art des Denkens und Handelns. Aus diesem Grund, und aus keinem anderen, wurden sie verhaftet.“

Unterdessen versucht der Direktor von amnesty international in Spanien, Abgeordnete in Navarra davon zu überzeugen, dass es höchste Zeit ist, die Existenz von Folter endlich zuzugeben und Massnahmen dagegen zu ergreifen. Auf Proteste der Abgeordneten reagierte der ai-Direktor in scharfer Form:

„Wenn wir Berichte über Menschenrechtsverletzungen in China veröffentlichen, wird das von jedem respektiert. Warum ist das hier anders?“

Warum? Weil es in Spanien eine mächtige, unselige Allianz des großspanischen Nationalismus gibt, die von der äußersten Rechten bis hin zu den regierenden so genannten Sozialisten unter Zapatero reicht. Diese Allianz bekämpft baskisches Streben nach Selbstbestimmung als Terrorismus. Nicht nur die bewaffneten Aktionen der ETA, sondern auch diejenigen, die dieses Ziel mit friedlichen, politischen Mitteln verfolgen. Die Richter des Sondergerichtshofs „Audiencia Nacional“ leisten als willige Sonderjustiz dazu ihren Beitrag.

Richter Garzón und seine Kollegen ordnen Incommunicado-Haft an, weil diese Menschen- und Bürgerrechtsverletzungen Selbstbezichtigungen und Unterschriften unter vorgefertigte Geständnisse liefern. Ihre Richter-Kollegen nutzen dies später in Massenverfahren als „Beweise“. Dutzende Parteien und Organisationen wurden auf diese Art verboten. Politische Aktivisten werden jahrelang inhaftiert, viele sitzen über Jahre in Untersuchungshaft, ohne dass überhaupt Anklage erhoben wird. Der Untersuchungsrichter kann eine solche „Untersuchungshaft“ auf vier Jahre ausdehnen.

Europäische Abgeordnete fordern den spanischen Staat auf, Konfliktlösung nicht auszuschlagen und Bürgerrechte zu respektieren

Es besteht dabei wenig Zweifel, dass die Verhaftungen der Jugendlichen eine Antwort des spanischen Staates auf die neue Konfliktlösungsinitiative ist, die die abertzale Linke – die baskische linke Unabhängigkeitsbewegung – vor zwei Wochen der baskischen und internationalen Öffentlichkeit vorstellte. Diese Initative wurde international begrüßt und so werden auch die Forderungen an die spanische Regierung lauter, ihre Politik der Repression zu beenden und der neuen Initiative eine Chance zu geben. Das Gernika-Netzwerk (http://gernikanetwork.blogspot.com/ ), dem Abgeordnete und gewählte Repräsentantinnen und Repräsentanten aus verschiedenen europäischen Ländern angehören und das sich für eine friedliche und demokratische Lösung des Konflikts im Baskenland einsetzt, erklärte am 26. November 2009:

„Wir, Mitglieder des Gernika-Netzwerks, begrüßen die Initiative der aberzalen Linken … Alle Konfliktparteien und speziell der spanische Staat, sollten positiv auf diese Initiative regieren und sollten sich am Zustandekommen eines multilateralen Abkommens durch Dialog und friedliche, demokratische Mittel beteiligen, das den Basken erlaubt, über ihre Zukunft frei zu entscheiden.

Wir fordern die unmittelbare Freilassung von Arnaldo Otegi und aller Mitglieder der abertzalen Linken, die in den vergangenen Jahren wegen ihrer politischen Aktivitäten verhaftet wurden. Darunter befinden sich ehemalige Abgeordnete, lokal gewählte Repräsentanten und auch der ehemalige Europaabgeordnete Karmelo Landa, dessen Freilassung von der UN Arbeitsgruppe gegen willkürliche Inhaftierungen dringend gefordert wird.

Wir bedauern die neue Polizeioperation gegen dutzende baskischer Jugendaktivisten. Ein friedliches und dauerhaftes Abkommen im Baskenland wird nur erreicht werden, wenn die Bürgerrechte und die politischen Rechte aller Bürgerinnen und Bürger garantiert und respektiert werden.“


Hintergrund zur Konfliktlösungsinitiative der abertzalen Linken:

Konfliktlösungsinitiative der abertzalen Linken, Nov. 2009, Dokument in deutscher Übersetzung als PDF (143 kB)

Neue Friedensinitiative im spanisch-baskischen Konflikt

Brian Currin: „Ich bin Zeuge der Tragweite und Aufrichtigkeit der Initiative der baskischen Linken“

KONFERENZ ZUR KONFLIKTLÖSUNG in VENEDIG

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