31.07.2009 | Uschi Grandel (Überarbeitet am 14.9.2009)

Analyse der Berichterstattung über ETA und den spanisch-baskischen Konflikt am Beispiel einer Reportage der Süddeutschen Zeitung zum 50. Jahrestag der Gründung der baskischen Untergrundorganisation ETA. Oft scheint die Dämonisierung von ETA das Hauptziel dieses Typs von Berichten zu sein, die viele Facetten der baskischen Realität ausblenden oder, wie in der vorliegenden Reportage, falsch darstellen. Sie erschweren damit ein Verständnis des Konflikts und möglicher Lösungen.

Vorbemerkung: die Analyse entstand als Antwort auf die Reportage “Auf ewig der Gewalt verpflichtet” von Javier Cáceres, die die Süddeutsche Zeitung in ihrer Ausgabe vom 30. Juli 2009 veröffentlichte, gilt aber auch für die allgemeine Berichterstattung über ETA und den spanisch-baskischen Konflikt. Die ursprüngliche Version vom 31. Juli wurde für die Veröffentlichung neu überarbeitet.
Die SZ-Reportage ist im Internet nicht frei zugänglich und kann nur über das Archiv der SZ erworben werden.

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“Gruppen, die längst aufgehört haben, Terror zu verbreiten, die nordirische IRA … (hat) ihre Niederlage eingestanden. … Bloß die ETA … die sich ausgeschrieben 'Euskadi Ta Askatasuna' nennt, mordet weiter – für 'Baskenland und Freiheit', wie ihr Name auf Deutsch lautet. Ein Kürzel als Anachronismus”,

schreibt Herr Cáceres. Seine Reportage bricht eine Lanze für “Terrorbekämpfung”, für staatliche Gewaltmaßnahmen, und wendet sich gegen Bemühungen zur Konfliktlösung durch Dialog.

Die IRA, deren Ende des bewaffneten Kampfes Herr Cáceres zitiert, eignet sich schlecht als Beispiel für eine Niederlage. Wurde die irisch-republikanische Linkspartei Sinn Féin, oft als „politischer Arm der IRA“ bezeichnet, bei den letzten Europawahlen doch gerade zur stärksten Partei Nordirlands. Zudem zeigt das nordirische Beispiel, wie jahrelange, Nerven zerreibende, politische Verhandlungen ein Szenario zur friedlichen Lösung des britisch-irischen Konflikts geschaffen haben. Trotz einer Berichterstattung, die sich meist für die britische Sicht des Konflikts instrumentalisieren ließ und die IRA als “irrational und kriminell” diffamierte.
Warum arbeitet die SZ mit Unterstellungen?

Der Titel “Auf ewig der Gewalt verpflichtet” – und damit nicht friedensfähig – ist die Botschaft der Reportage, die eine Diskussion über Wege zur Konfliktlösung durch Dialog gar nicht erst aufkommen lassen will. Für diese Botschaft arbeitet Hr. Cáceres auch mit Unterstellungen:

“Für wen (die ETA) eigentlich noch kämpft, ist unklar. … immer im Krieg … jetzt und in Ewigkeit. Amen … nach der letzten Vollversammlung (der ETA) … hieß es, die ETA kämpfe weiter, bis die völlige Unabhängigkeit erreicht ist.”

Die schwammige Formulierung „hieß es“ zeigt, dass Hr. Cáceres sich wohl bewusst ist, keine soliden Quellen für seine Behauptung zu besitzen. Es existieren jedoch Aussagen der ETA zum Thema. In einem Interview, das am 25. Mai 2009 in der baskischen Zeitung GARA erschien, gibt ein Vertreter der ETA Antwort auf eben diese Frage, ob die ETA denn ewig kämpfen wolle:

“Wir wollen nicht ewig kämpfen, sondern den politischen Konflikt so schnell wie möglich überwinden. Wir haben das in den vergangenen 50 Jahren durch verschiedene Initiativen und Vorschläge immer wieder bewiesen. Wir wären bereit, den Kampf morgen zu beenden …, wenn der Feind (die spanische Regierung) nur ein Minimum an politischem Respekt vor unserer Bevölkerung zeigt. Das ist leider nicht der Fall. Aber nach 50 Jahren haben wir die politische Debatte gewonnen: kaum jemand im Baskenland bestreitet, dass wir als Bürgerinnen und Bürger dieses Territoriums das Recht haben, über unsere Zukunft zu entscheiden.”

Die ETA spricht nicht von “völliger Unabhängigkeit”, sondern vom “Recht der Bürgerinnen und Bürger im Baskenland”, ihre Zukunft selbst zu entscheiden. Die spanische Regierung hat Angst vor einer solchen offen und demokratisch geführten Diskussion im Baskenland und hat deshalb der letzten baskischen Regionalregierung ein Referendum zu dieser Frage verboten. Das Recht der Bevölkerung im Baskenland, selbst über ihre Zukunft zu entscheiden, nicht die Unabhängigkeit, ist einer der zentralen Punkte des politischen Konflikts zwischen Spanien und den Basken.

Warum stellt die SZ Behauptungen auf, die im Widerspruch zu Untersuchungen der UNO-Menschenrechtskommission stehen?

Zum Thema Menschenrechte schreibt Herr Cáceres:

“Eine Zeitlang in den Achtzigern ließ sich die junge Demokratie zu einem schmutzigen Krieg hinreißen, unterstützte Todesschwadronen, ließ Folter ungesühnt. Doch das ist lange her”.

Lange her? Hier wird die bewusst falsche Berichterstattung unerträglich. Herr Cáceres unterschlägt die kritischen Berichte der UN Menschenrechtskommission, von Amnesty International und von spanischen Menschenrechtsorganisationen der letzten Monate und Jahre. Die Berichte kritisieren den spanischen Staat, weil er sich seit Jahren weigert, Maßnahmen zur Unterbindung von Folter umzusetzen und weil die Richter des Sondergerichts “Audiencia Nacional” Foltervorwürfe ignorieren und unter Folter erzwungene Aussagen als Beweismittel akzeptieren.

Massive Menschen- und Bürgerrechtsverletzungen setzt der spanische Staat ein, um Menschen im Umfeld der baskischen Unabhängigkeitsbewegung mundtot zu machen. Die Aussage von Herr Cáceres, “Knapp 800 (ETA-Kämpfer) sitzen mittlerweile in Haft”, ist daher schon fast zynisch zu nennen. Mittlerweile verbüßt eine große Zahl der Inhaftierten jahrelange Haftstrafen wegen ausschließlich friedlicher, politischer Aktivitäten. Viele sind ohne Verfahren jahrelang „präventiv“ inhaftiert. Sondergerichte und Sondergesetze wurden vor einigen Jahren speziell angepasst, um rein demokratisch agierende Aktivisten der Unabhängigkeitsbewegung als angebliche ETA-Unterstützer für Jahre hinter Gitter zu bringen, ohne ihnen auch nur eine konkrete Unterstützungshandlung nachweisen zu müssen. Gegen die Massenprozesse der letzten Jahre protestierten demokratische Juristen in Spanien und in ganz Europa.

Der Berichterstatter der UN-Menschenrechtskommission Martin Scheinin kommentiert dies in einem Interview mit der baskischen Zeitung Berria vom 18. März 2009:

Frage: “Was ist Ihre Meinung zur Inhaftierung von (baskischen) Politikern, die als Resultat ihrer politischen Aktivität beschuldigt werden, Mitglieder einer “terroristischen Vereinigung” zu sein oder mit einer solchen zu kollaborieren?”

Antwort: “Es ist für mich sehr schwierig festzustellen, ob es dafür Beweise gibt. Es ist sehr schwierig festzustellen, ob ein Individuum Befehle der ETA erhält und wie die Regierung sagt, Teil der ETA ist. Ich habe mehr Informationen im Fall politischer Parteien und Wahlplattformen. Hier bin ich der Meinung, dass der Standpunkt der Regierung zu viel umfasst. Sie geht gegen Gruppen vor, die nichts mit Gewalt zu tun haben. Dieselben politischen Ziele wie ETA zu haben, sollte nicht als Verbrechen behandelt werden und ist kein Grund für das Verbot einer politischen Partei, wenn es keinen Bezug zur Gewalt gibt.” (Vollständiges Interview: In Spanien gibt es Institutionen, die keinen Platz in einer Demokratie haben)

Patxi Lopez ist als politischer Arm Zapateros im Baskenland nur deshalb an der Regierung, weil die spanische Regierung etwa 20% der baskischen Wähler durch das Verbot aller von ihnen favorisierten Parteien keine Wahlmöglichkeit ließ. Woche um Woche beteiligen sich in vielen baskischen Dörfern und Städten hunderte, manchmal tausende Menschen an Mahnwachen in Solidarität mit den Gefangenen und ihren Familien. Es gibt die von Herrn Cáceres erwähnten „ETA NO“ – Demonstrationen, aber es gibt im Baskenland wesentlich mehr Massendemonstrationen gegen die Willkür der spanischen Regierung und gegen den unerklärten Ausnahmezustand im Baskenland.
Warum liefert die SZ ein solches Zerrbild der Realität des spanisch-baskischen Konflikts?

Es gibt die Bomben der ETA, aber es gibt eben auch die Realität vermummter spanischer Sicherheitskräfte, die im Baskenland Straftaten begehen können, ohne dass sie dafür zur Rechenschaft gezogen werden. Das reicht vom bewaffneten Eindringen in Dorfkneipen, um Bilder von Gefangenen zu entfernen, über die willkürliche Verhaftung von Jugendlichen, Folter, die jahrelange Internierung baskischer Politiker ohne Prozess, das Verbot von Veranstaltungen und Demonstrationen, die Kriminalisierung politischer und sozialer Organisationen bis hin zu Fällen von Entführung und Bedrohung baskischer Aktivisten.

Es ist bedauerlich, dass viele Journalisten nicht bereit oder nicht in der Lage sind, den spanisch-baskischen Konflikt und die Konfliktparteien halbwegs seriös darzustellen. Aus Halbwahrheiten das Zerrbild eines irrationalen Gegners zu malen und geflissentlich über die Verstöße der spanischen Regierung gegen Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte hinwegzusehen, schadet der Demokratie in Spanien, eskaliert die Gewalt und verzögert die Lösung dieses politischen Konflikts und die hierfür notwendigen Verhandlungen aller am Konflikt beteiligten Parteien.

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Beispiel: Foltervorwurf des Chefredakteurs der baskischen Zeitung Egunkaria

Im Februar 2003 wurde die Zeitung Egunkaria verboten und der Chefredakteur Martxelo Otamendi mit neun Journalisten festgenommen. Der renommierte Journalist Otamendi beschrieb später vor dem baskischen Parlament, wie er tagelang gefoltert wurde. Im September 2008 klagte er vor dem europäischen Menschengerichtshof, weil seine Foltervorwürfe von der spanischen Justiz nicht untersucht worden waren. Im November 2009 wird das Verfahren wegen angeblicher ETA-Mitgliedschaft eröffnet, obwohl selbst die Staatsanwaltschaft aus Mangel an Beweisen für die Einstellung plädiert hatte.

Baskische Menschenrechtsorganisationen schätzen die Zahl der Folterfälle in spanischen Gefängnissen im baskisch-spanischen Konflikt der letzten 30 Jahre auf etwa 7000.

In seinem Bericht zur Menschenrechtssituation in Spanien vom Dezember 2008 fordert der Berichterstatter der UNO Menschenrechtskommission Spanien auf, endlich präventive Maßnahmen gegen Folter und Misshandlung von Gefangenen einzuführen.

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