Spaniens Oberstes Gericht klagt Starrichter Garzon wegen Rechtsbeugung an
Schadenfreude soll bekanntlich die schönste Freude sein: Der Untersuchungsrichter am Sondergericht für Terror- und Drogendelikte, der Audiencia Nacional, Baltasar Garzon, wird demnächst selbst die Anklagebank drücken müssen. Das Oberste Gericht hat entgegen der Passivität der Staatsanwaltschaft einstimmig beschlossen, den Starrichter, der einst Chiles Diktator Augusto Pinochet und auch Osama Bin Laden aburteilen wollte, zur Rechenschaft zu ziehen.
Das Oberste Gericht klagt Garzon der “vorsätzlichen, bewußten und sich dabei straffrei fühlenden Rechtsbeugung” an. Dieses und weitere Delikte soll der Richter begangen haben, als er im Herbst 2008 begann, die Massenmorde der franquistischen Diktatur (1936/1975/78) strafrechtlich zu verfolgen. Dabei ignorierte Garzon das Amnestiegesetz von 1977, das auch faschistische Täter straffrei stellte, und richtete seine Ermittlung gegen Mandatsträger, die bereits verstorben waren. Der Richter zeigt sich gelassen: “Vor dem Gesetz sind alle gleich, ich werde mich zum richtigen Zeitpunkt verteidigen”, sagte er der Presse.
Garzon hat dank seiner These “Alles ist ETA”, etliche hundert Basken hinter Gitter gebracht, deren einziges Delikt es war, sich politisch für dieselben Ziele einzusetzen, die die Untergrundorganisation Euskadi Ta Askatasuna (ETA, Baskenland und Freiheit) mit Waffengewalt erringen will. Bei zahlreichen Verfahren wie dem Megaprozeß 18/98 wurde die sehr willkürliche und fragwürdige Beweissicherung und deren Würdigung durch den Ermittlungsrichter mehr als einmal offensichtlich. Aber bisher hielt die Politik ihre schützende Hand über Garzon und half ihm auch dank der Presse, kritische Juristenkollegen mundtot zu machen, wenn diese ihm in die Quere kamen.
Zeitgleich mit der Anklage gegen Garzon hat das Oberste Gericht nun das Urteil der Audiencia Nacional im Megaprozeß 18/98 teilweise revidiert. Neun der 47 baskischen Verurteilten sprach es nachträglich frei und halbierte die Strafen der Übrigen. 2007 belief sich die Haftstrafe aller Angeklagten auf 525 Jahre Gefängnis. Des weiteren erklärten die obersten Richter alle Maßnahmen für unrechtmäßig, die Garzon gegen die von ihm 1998 geschlossene Zeitung Egin, das Radio Egin Irratia und den Verlag Orain verhängt hatte.
Der Frontalangriff gegen Garzon erklärt sich nicht nur mit dessen handwerklichen Fehlern, er hat auch einen politischen Hintergrund. Die postfranquistische Volkspartei (PP) attackiert ihn mit allen Mitteln, weil er gegen ihre Spitze wegen Korruption und Veruntreuung ermittelt. Garzons Anklage vor dem Obersten Gericht war durch die recht Juristenvereinigung “Manos Limpias” (Saubere Hände) vorangetrieben worden.
Im Vorgehen gegen Garzon kann auch der Versuch der Justiz gesehen werden, sich von der Instrumentalisierung durch die Politik zu befreien. Vergangene Woche legalisierte das Verfassungsgericht das linke Wahlbündnis “Internationalistische Initiative” entgegen des ausdrücklichen Wunsches von Regierung und Opposition.
Erstveröffentlichung: Ingo Niebel in Junge Welt vom 29.5.2009
Foto (Carlos Garcia, Januar 2009): Garzon (links hinten) ordnet die Verhaftung führender Politiker der neuen Liste D3M (Demokratie für 3 Millionen an). Die Professorin Arantza Urkaregi (rechts hinten) ist eine der Verhafteten.
N?hrere Informationen zum Verbot von D3M vom Januar 2009 und zu den Sondergerichtsprozessen wegen politischer Aktivit?ten:
“Endlich wieder frei!”