19.06.2018 | Uschi Grandel (junge Welt vom 19.6.2018

Iruñea (Pamplona): 80.000 Menschen demonstrieren gegen ein Urteil des Madrider Sondergerichts. Solidarität kommt auch aus anderen Regionen Spaniens.

Es war wohl die größte Demonstration in der Geschichte von Iruñea (Pamplona), der Hauptstadt der baskischen Provinz Nafarroa (Navarra). 80.000 Menschen trugen am vergangenen Samstag ihre Empörung lautstark auf die Straße. Das zentrale Transparent »Ez da justizia« (Das hat mit Gerechtigkeit nichts zu tun) trugen die Angehörigen der acht jungen Leute, die vom spanischen Sondergericht in Madrid zu absurden Haftstrafen verurteilt worden waren. Neun oder dreizehn Jahre Haft lautet das Urteil für die sieben männlichen Beschuldigten, zwei Jahre für die einzige weibliche Angeklagte. Der Anlass, eine Rangelei mit zwei Mitgliedern der spanischen Militärpolizei Guardia Civil in einer Kneipe, die diese außerhalb ihres Dienstes besucht hatten, liegt inzwischen fast zwei Jahre zurück. Die Empörung war von Beginn an groß, weil das Madrider Sondergericht, dessen Wurzeln in die Franco-Diktatur zurückreichen, den Fall mit Windeseile unter dem Vorwurf des »Terrorismus« an sich gerissen hatte. Vergeblich mahnte die Regierung von Nafarroa die Zuständigkeit der Regionalgerichte an.

»Es geht ganz offen um Rache«, erklärten die Eltern von Ainara, Oihan, Jokin, Adur, Iñaki, Jonan, Aratz und Julen. »Wir haben es deshalb als unsere Pflicht angesehen, zu dieser zweiten Großdemonstration aufzurufen.« Das Sondergericht habe von Anfang an nicht die Wahrheit gesucht und habe sich von außen beeinflussen lassen. Die Richterin Carmen Lamela, die während des Prozesses mehrfach Beweisanträge der Verteidigung abgelehnt hatte, trägt eine Auszeichnung der Guardia Civil. Daher liegt der Verdacht nahe, dass sie befangen ist. Gleichzeitig hat die Anklage inzwischen Revision gegen die aus ihrer Sicht zu niedrigen Haftstrafen eingelegt.

Auffallend war die breite Solidarität in der Bevölkerung. Der unverhüllte Machtmissbrauch veranlasste auch viele junge Menschen, sich das erste Mal an einer Demonstration zu beteiligen. Es waren nicht nur Basken aus Nafarroa und den anderen baskischen Provinzen, die in Iruñea ihre Empörung über politische Justiz auf die Straße trugen. Die baskische Tageszeitung Gara interviewte Demonstrationsteilnehmer, die unter anderem aus Katalonien, Madrid, Galicien, der Extremadura und dem Weingebiet Rioja kamen. »Gegen Unrecht müssen wir gemeinsam aufstehen, das ist nicht nur die Sache der Basken«, sagte ein Demonstrant, der aus dem 800 Kilometer entfernten südspanischen Córdoba angereist war.
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Auf einen solchen Aufschrei der Gesellschaft müsse jeder, der öffentliche Verantwortung trägt, reagieren, erklärte die Regierungschefin von Nafarroa, Uxue Barkos, im Anschluss an die Demonstration, an der sie sich gemeinsam mit anderen Regierungsmitgliedern beteiligt hatte. Nafarroa wird seit 2015 von einem Linksbündnis aus vier Parteien regiert, dem sowohl die baskische Linke wie auch die Regionalgruppe der spanischen Partei Podemos angehören.

Die Proteste gegen das Urteil gegen die acht Jugendlichen aus Altsasu hat den seit langer Zeit angestauten Ärger der baskischen Gesellschaft zu Tage gefördert. Denn die Wut über den spanischen Staat, der sich trotz der inzwischen aufgelösten ETA (Euskadi Ta Askatasuna, deutsch: Baskenland und Freiheit) weigert, seinen Beitrag zur Konfliktlösung zu leisten, ist groß. So waren nur eine Woche zuvor am 10. Juni 175 000 Menschen einem Aufruf der Bürgerrechtsbewegung Gure Esku Dago (Es liegt in unserer Hand) gefolgt und hatten eine 202 Kilometer lange Menschenkette gebildet, mit der sie das Recht auf Selbstbestimmung forderten.


Erstveröffentlichung: junge Welt vom 19.6.2018 weiterlesen >>

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