Menschenrechtsorganisationen und internationale Gerichte fordern seit langem von Spanien Maßnahmen zur Unterbindung von Folter und die Verfolgung von Foltervorwürfen. Mehrere Tausend Anzeigen sind es im Kontext des baskisch-spanischen Konflikts

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Amnesty International: “Unzureichende” Untersuchungen nach Anzeige von Folter (Bericht vom Mai 2013); Komitee des Europarats zur Folterprävention (CPT) hält Foltervorwürfe in den von ihnen untersuchten Fällen für „glaubhaft und konsistent“ (Bericht der Delegation vom Mai 2011, veröffentlicht am 30. April 2013); das Menschenrechtskomitee der UNO „verpflichtet den spanischen Staat“, der Baskin María Atxabal wegen erlittener Folter „eine Entschädigung zu zahlen“ (Mai 2013); Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte verurteilte Spanien in zwei Fällen wegen unterlassener Untersuchung von Folteranzeigen.

In Spanien besteht ein System, das Folter ermöglicht und Folterer deckt. Das ist seit Jahren der Vorwurf internationaler Menschenrechtsorganisationen. Der Dreh- und Angelpunkt dieses Systems ist die sogenannte Incommunicado-Haft. Unter Incommunicado-Haft ist eine Person im direkten Anschluss an ihre Verhaftung bis zu 5 Tagen in den Händen der spanischen Polizei, meist der Militärpolizei Guardia Civil. Für die Aussenwelt ist sie vom Erdboden verschwunden, die Polizei gibt den Angehörigen keine Auskunft, es darf kein Anwalt oder Arzt des eigenen Vertrauens zugezogen werden.

Wer unter Incommunicado-Haft genommen wird, ist nicht nur isoliert, sondern der Polizei völlig ausgeliefert und befindet sich in einem rechts- und demokratiefreien Raum. Ein Richter des spanischen Sondergerichts Audiencia Nacional ordnet Incommunicado-Haft bei „Terrorismusverdacht“ an. Dehnbare Sondergesetze und der spanische Innenminister sorgen im Kontext des Konflikts im Baskenland dafür, dass dieser „Terrorismusverdacht“ all diejenigen trifft, die der spanische Staat als Feind sieht: angebliche oder echte Mitglieder von ETA, politische Aktivisten im Umfeld der baskischen Unabhängigkeitsbewegung, mögen sie auch noch so friedlich agieren, unbequeme Journalisten oder auch baskische Sprach- und Kulturvereine.

Mitten in Madrid

Amnesty International weist in ihrem Bericht (1) „Aus dem Dunkeln ans Licht – höchste Zeit für ein Ende der Incommunicado-Haft“ vom September 2009 darauf hin, dass viele in diesem System der Folter mitarbeiten müssen, damit das Verbrechen im Dunkeln bleibt: Richter, Ärzte und Anwälte.
Berichterstatter von Menschenrechtsorganisationen sind da nicht erwünscht. Diese Erfahrung musste auch das Anti-Folter Komitee des Europarats (2) (CPT) machen. In seinem Ende April 2013 veröffentlichten Bericht über die jüngste Untersuchung in Spanien kritisiert das CPT in scharfer Form die unkooperative Haltung der Verantwortlichen der spanischen Militärpolizei Guardia Civil. Diese verwehrten der CPT-Delegation über eine Stunde den Zutritt zu dem Zellentrakt ihrer Zentrale in der Calle Guzmán el Bueno in Madrid. Der CPT-Bericht dokumentiert ein surreales und fast komisches Szenario: die Offiziere „erklärten der Delegation, das Gebäude sei nicht in Gebrauch; da aber praktisch jede Person in Incommunicado Haft in diesem Gebäude festgehalten wird, war diese Position nicht haltbar. Die Delegation wurde durch fehlende Schlüssel weiter hingehalten und war schliesslich in der Lage, einen Hintereingang zu finden, der von innen durch eine Reinigungskraft geöffnet wurde,“ schreibt das CPT in seinem Bericht (CPT/Inf (2013) 6) (3).

Die Calle Guzmán el Bueno liegt mitten in Madrid. Wie viele Menschen – Einheimische und Touristen – gehen dort täglich vorbei, ohne zu ahnen, was sich hinter diesen Mauern abspielt. Die baskische Organisation Euskal Memoria schätzt, dass in den letzten fünfzig Jahren in Spanien weit über vierzigtausend Baskinnen und Basken im Kontext des baskisch-spanisch-französischen Konflikts verhaftet wurden. Viele durchlitten die Incommunicado-Haft, Tausende erhoben Foltervorwürfe.

Auch die Regierung der Baskischen Autonomen Gemeinschaft (CAV), die drei der sieben baskischen Provinzen umfasst und in der zwei Millionen der insgesamt drei Millionen Basken leben, sieht die Notwendigkeit, Foltervorwürfe aufzuarbeiten. In ihrem „Plan für Frieden und Zusammenleben“ zur Bewältigung der Folgen des spanisch-französisch-baskischen Konflikts vom 11. Juni 2013 nennt sie eine weitere erschreckende Zahl. Dreißigtausend Baskinnen und Basken wurden in der CAV als „Terroristen“ verhaftet, aber niemals irgendeiner Straftat angeklagt. Nach einem Leidensweg aus Incommunicado-Haft und zum Teil monate- oder jahrelanger Untersuchungshaft wurden ihre Fälle stillschweigend eingestellt, ohne Erklärung und ohne irgendein Recht auf Entschädigung.

CPT hält Foltervorwürfe für „glaubhaft und konsistent“

Das CPT kritisiert den spanischen Staat in seinem Bericht vehement wegen der Weigerung, ernsthafte Folterprävention zu betreiben. Seit Jahren würden nicht einmal die vereinbarten Maßnahmen zur Kontrolle der Incommunicado-Haft umgesetzt. Die CPT-Delegation befragte elf Personen, die im Baskenland Anfang des Jahres 2011 von der Guardia Civil in Incommunicado-Haft genommen worden waren. Zehn dieser Personen erklärten, gefoltert worden zu sein. Das CPT bewertet diese Aussagen als glaubwürdig und konsistent. Es beschreibt die Folter: „die Misshandlungsvorwürfe beginnen mit dem Transport vom Verhaftungsort (im Baskenland) nach Madrid (etwa 500km). Die Verhafteten wurden geschlagen und getreten. Später, während des Verhörs, sei ihnen mehrfach eine Plastiktüte über den Kopf gezogen worden, um Erstickungsanfälle hervorzurufen. Diese Praxis ist als „la bolsa – die Tüte“ bekannt. Gleichzeitig seien sie zu langen Gymnastikübungen gezwungen worden. Einer der Befragten gab an, er sei mit Vergewaltigung bedroht worden, nachdem ihm Hose und Unterhose ausgezogen wurden. Eine Frau erklärte, vergewaltigt worden zu sein. Mehrere Personen gaben an, Schmerzensschreie ihrer Freunde aus den Nachbarräumen gehört zu haben. Aus den gesammelten Informationen ziehen wir die Schlussfolgerung, dass der Zweck der angezeigten Misshandlung darin besteht, eine Unterschrift unter eine Selbstbezichtigung zu erhalten und die verhaftete Person dazu zu bringen, diese Erklärung vor Gericht zu bestätigen.“
(CPT/Inf (2013) 6).

ai: “Unzureichende” Untersuchungen nach Anzeige von Folter

Auch Amnesty International (ai) beklagt im aktuellen Bericht vom Mai 2013, der spanische Staat stelle „sich weiterhin taub“ und weigere sich, die internationale Forderung nach Abschaffung der Incommunicado-Haft zu erfüllen. ai kritisiert außerdem, dass die Anzeigen von Folter in diesem Zusammenhang „unzureichend“ untersucht würden. Positiv wertet der Bericht von ai das endgültige Ende des bewaffneten Kampfes von ETA im Oktober 2011. ai bestätigt, dass seither kein Attentat mehr verübt worden sei.

Das spanische Sondergericht Audiencia Nacional ordnet weiterhin Incommunicado-Haft an. Das Anti-Terror-Instrumentarium aus willkürlichen Verhaftungen, Incommunicado-Haft und Sonderjustiz als Antwort auf den Friedensprozess (4) im Baskenland, der eine Lösung des Konflikts im Dialog aller Beteiligten anstrebt?

Incommunicado-Haft und Sonderjustiz gegen den baskischen Friedensprozess

Der Friedensprozess wird von der überwältigenden Mehrheit der baskischen Bevölkerung unterstützt, von der spanischen Regierung jedoch scharf abgelehnt. Für Oktober 2013 hat das Sondergericht Audiencia Nacional zwei Massenprozesse angekündigt. Mit langjährigen Gefängnisstrafen bedroht sie über achzig baskische politische Aktivistinnen und Aktivisten, darunter viele junge Leute und Initiatoren der Friedensstrategie der baskischen Linken. Angesichts des gesellschaftlichen Aufbruchs in Richtung Frieden im Baskenland, den alle Angeklagten aktiv unterstützen, entbehrt die Anklage nicht des Zynismus: die politischen Aktivitäten der Angeklagten seien von ETA gesteuert, heisst es dort. Also genau die Aktivitäten, die vor zwei Jahren zum Ende des bewaffneten Kampfes von ETA führten.

Die langjährige Kriminalisierung des friedlichen Dissens führt dazu, dass mitten in Europa Politiker, Journalisten, Menschenrechtler und Anwälte allein auf Grund ihres demokratischen Engagements in spanischen Gefängnissen sitzen, ohne dass europäische Politiker, beispielsweise Angela Merkel oder Francois Hollande, die beide in engem Kontakt mit der spanischen Regierung stehen, bisher auch nur einmal Demokratie und Menschenrechte angemahnt haben. Würde die spanische Regierung alle Urteile aufheben, die allein auf Grund von Selbstbezichtungen in Incommunicado-Haft zustandegekommen sind, müsste sie einen beachtlichen Teil der über 600 konfliktbezogenen baskischen Gefangenen sofort aus der Haft entlassen.

UNO: Spanien muss Folteropfer Entschädigung zahlen

Ende Mai 2013 entschied das Menschenrechtskomittee der UNO in einem konkreten Fall: María Atxabal aus der baskischen Stadt Bilbo (spanisch: Bilbao) wurde im Jahr 1996 von der Guardia Civil gefoltert. Nach einem langen Weg durch alle spanischen und europäischen Gerichtsinstanzen gab ihr das Menschenrechtskomitee der UNO recht und „verpflichtet den spanischen Staat, eine objektive Untersuchung des Falls zu beginnen, María Atxabal eine Entschädigung zu zahlen und für ihre medizinische Behandlung aufzukommen, um den post-traumatischen Stress zu bewältigen, den die Folter verursacht hat.“

Europäische Gerichtshof für Menschenrechte urteilt gegen Spanien

Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat Spanien wegen unterlassener Untersuchung von Folteranzeigen bereits zweimal verurteilt. Im März 2011 verurteilten die Strasbourger Richter den spanischen Staat, weil er es unterließ, der Folteranzeige von Aritz Beristain nachzugehen. Der junge Baske kam 2002 in die Incommunicado-Haft, weil die Guardia Civil ihn der „Straßenrandale“ beschuldigte. Laut Madrider Lesart zählt dies als Unterstützung von ETA und damit als Terrorismus. Beristain erstattete Anzeige wegen Folter. Die Polizisten hätten ihn geschlagen, ihm mit einer über den Kopf gestülpten Plastiktüte die Luft zum Atmen genommen und mit Vergewaltigung gedroht. Da Madrid die Vorwürfe nicht untersuchte, bekam Beristain jetzt ein Schadensgeld von 23.000 Euro zugesprochen. Im September 2010 gab der EGMR dem baskischen politischen Gefangenen Mikel San Argimiro in einem ähnlichen Fall recht. (Ingo Niebel, info-baskenland.de, 12.3.2011)

Kurze Zeit später verurteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Spanien zur Zahlung von 20.000€ Entschädigung an den baskischen Politiker Arnaldo Otegi. Der EGMR fand die spanische Regierung für schuldig, die Freiheit der Meinungsäußerung des bekannten Sprechers der baskischen Linken verletzt zu haben. Arnaldo Otegi hatte im Zusammenhang mit Foltervorwürfen, die der Journalist und Direktor der baskischen Zeitung Martxelo Otamendi gegen die Militärpolizei Guardia Civil erhoben hatte, den spanischen König als “Chef der Folterer” bezeichnet. Der König ist oberster Dienstherr des Militärs und damit auch der Guardia Civil. Arnaldo Otegi hatte dafür in Spanien ein Jahr im Gefängnis gesessen. Selbst das spanische Sondergericht Audiencia Nacional hatte die Selbstbezichtigungen Otamendis verworfen und den Journalisten im April 2010 freigesprochen. Seinem Foltervorwurf ging das Gericht nicht nach. Arnaldo Otegi ist schon wieder in Haft, verurteilt zu sechs Jahren für seine Bemühungen um friedliche Konfliktlösung.


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(1) Deutsche Zusammenfassung, 28.9.2009: weiterlesen >>
(2) Das „Europäische Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT)“ ist das offizielle Komitee des Europarats zur Überprüfung der Einhaltung der Menschenrechte.
(3) CPT-Bericht, englisch-sprachiges Original: weiterlesen >>
(4) Die Webseite baskenland-friedensprozess.de dokumentiert Entwicklungen im Friedensprozess in deutscher Sprache: weiterlesen >>

Buch: Demokratie und Folter

Dass Spanien die Incommunicado-Haft trotz der langjährigen Kritik vieler internationaler Organisationen aufrecht erhalten kann, liegt auch an der fehlenden öffentlichen Diskussion. Demokratie und Folter – die so wichtige Auseinandersetzung mit diesem Thema findet in Europa nicht statt. Daraus ergibt sich die öffentliche Wahrnehmung, dass westliche Demokratien nicht foltern. Diese Wahrnehmung wird auch durch Berichte über amerikanische Folterer im irakischen Gefängnis Abu Graibh, über die Verschleppung von Personen durch die CIA oder das Internierungslager Guantanamo nicht nachhaltig gestört.

Demokratie und Folter - Sonderpreis

Xabier Makazaga zeichnet auf den 150 Seiten seines Buches, das seit August 2011 auch in deutscher Übersetzung vorliegt, ein völlig anderes Bild. Er geht der Frage nach, warum gefoltert wird und beschreibt das Kartell des Schweigens, das es möglich macht, trotz vieler Berichte und Dokumentationen von Menschenrechtsorganisationen Folter zu verheimlichen oder offensiv zu leugnen. Er zeigt die Entwicklung von der schmutzigen Folter, deren Spuren sich nicht verbergen lassen, hin zur zynisch als „sauber“ deklarierten Folter durch psychische und physische Gewalt ohne sichtbare Spuren. Makazaga erklärt Folter in Spanien im internationalen Kontext. Folter heutzutage ist zerstörerischer für das Opfer und effizienter für den Folterer, weil dieser auf Erfahrungen aus den USA, aus Großbritannien, Frankreich und Spanien zurückgreifen kann. Internationale Zusammenarbeit bekommt so eine eigene furchtbare Bedeutung.

Folter? Aber doch nicht in Spanien!

„Wer die Existenz der Folter in Spanien leugnet und alles dafür tut, dass sie ungesühnt bleibt, sollte sich eines Tages vor einer Wahrheits- und Versöhnungskommission wie der in Südafrika verantworten müssen“, fordert Xabier Makazaga am Ende seines Buches im Kapitel „Folter? Aber doch nicht in Spanien“. Der Erstveröffentlichung seines Buches im Jahr 2009 folgte eine Kampagne spanischer Medien – nicht gegen Folter, sondern gegen die Verbreitung des Anti-Folter Buches in den Bibliotheken des Landes. Der baskische Verlag Txalaparta stellte das Buch daraufhin zum freien Download ins Internet. Denn der Kampf gegen Folter ist ein Kampf für unsere elementarsten Menschenrechte.

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