10.10.2012 | Koldo Landaluze (GARA), Übersetzung: baskinfo
Sare Antifaxista

Wann und mit welchen Absichten habt ihr Sare Antifaxista gegründet?

Der springende Punkt war die Veröffentlichung eines Artikels in Kale Gorria (1) im Jahr 2002: “Schmutziger Krieg, die Wiederkehr der Falangisten“. Zehn Jahre vorher hatte der spanische Staat begonnen, mit Gründung der Todessschwadrone GAL (2) das Monopol politischer Gewalt zu übernehmen. Die faschistischen Gruppen, die bis dahin agiert hatten, zogen sich aus den Straßen des Baskenlands zurück. Gruppen wie die Guerrilleros Cristo Rey (3), das Baskisch-Spanische Bataillon(4), die Bewaffneten Spanischen Gruppen(5), usw. begaben sich in Wartestellung. Erst Jahre später, nach der öffentlichen Aufdeckung der GAL-Strukturen, riefen zu allem bereite Aktivisten aus den Kloaken des Staats Elemente aus dem ultrarechten spanischen Sumpf aus der Reserve. Seither ist die faschistische Aktion wieder auf der Straße, in Form von Propaganda (Schriften, Graffitis) Kampagnen gegen Abtreibung, Treffen in verschiedenen Orten im Süden Euskal Herrias, Demonstrationen, usw. Was wir bis dahin nur im spanischen Staat und an anderen Punkten Europas beobachteten, geschah jetzt auch in unseren Straßen.

Die Morde an Josu Muguruza in Madrid (6), Alejo Aznar in Getxo-Romo (7) und Aitor Zabaleta in Madrid (8) durch Faschisten spielte ebenfalls eine große Rolle bei unserem Schritt, kleinere Gruppen und Leute, die in eigener Initiative gegen Faschismus aktiv waren, zu Sare Antifaxista zu vereinigen. 2005 begann dann das Projekt Antifaschistisches Netz.

Habt ihr Kontakt mit anderen antifaschistischen Initiativen außerhalb Euskal Herrias?

Ja, im spanischen Staat stehen wir in Kontakt mit einigen Plattformen und Koordinationsgruppen. Generell verfolgen wir alle Aktivitäten das ganze Jahr durch: Demos, Repressions-Anzeigen, Kampagnen. Die letzte gemeinsame Aktion war mit Unitat contra el Feixisme y el Racisme (9) in Katalonien. In Europa stehen wir in Kontakt mit verschiedenen Gruppen und Einzelpersonen in Italien, Irland, Deutschland. Erst vergangenen September führte uns eine internationalistische Initiaive nach Deutschland. Mit einem Dutzend Genoss/innen organisierten wir eine Antifa-Brigade, eine Woche lang besuchten wir verschiedene Gedenkstätten und erfuhren von der Arbeit von Kollektiven, die zu Antifa und Erinnerungspolitik arbeiten.

Ein kurzer Blick auf die virtuelle Realität in Europa – welches politische und gesellschaftliche Panorama zeigt sich da?

Ein sehr beunruhigendes Panorama. Der Aufstieg von nazi-faschistischen Gruppen oder solchen, die auf Identität und Populismus setzen, ist in ganz Europa eine Realität, die niemand mehr in Frage stellt und die nicht zu verheimlichen ist. Russland, Italien, Deutschland, Österreich, Holland, Griechenland, England, Rumänien, spanischer und französischer Staat, überall haben sie ihre politische Vertretung in den Institutionen. Deren Summe im Europäischen Parlament beläuft sich bereits auf einen Rückhalt von 80 Millionen Stimmen. Sie stehen kurz davor, eine eigene parlamentarische Gruppe zu formieren. Die griechische “Goldene Morgendämmerung“, der ultrarechte Breivig in Norwegen, oder Deutschland mit der NPD und einer terroristischen Zelle in Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz, all das hat in den vergangenen Monaten viele Medien beschäftigt. Dazu kommt die durch neoliberale Politik, Finanzmärkte und Spekulation erzeugte brutale Krise, nicht nur, dass wir darunter leiden, sie ist auch ein Biotop für jene Parteien mit ihren rassistischen und xenophoben Botschaften gegen die Schwächsten der Gesellschaft: Migrant/innen und ethnischen Minderheiten.

An welchen Initiativen habt ihr zuletzt mitgearbeitet?

Wir sind stark verwurzelt in den sozialen und gegenkulturellen Bewegungen dieses Landes. In den sieben Jahren Arbeit auf der Straße haben wir mit mehr als hundert verschiedenen Gruppen zusammengearbeitet. Wir sind verbunden mit der Erinnerung-Bewegung in Euskal Herria, daneben waren wir mit Gruppen wie Euskal Memoria und Ahaztuak 1936-1977 aktiv. Seit zwei Jahren sind wir in der Plattform Lau Haizetara Gogoan. Dabei nehmen wir Teil an Gedenkveranstaltungen, bereiten Petitionen für Rathäuser vor, haben zwei Vollversammlungen der baskischen Gedenk-Organisationen durchgeführt, wir entfernen faschistische Symbole aus den Straßen, zuletzt haben wir an der Klage Argentinien gegen den Franquismus gearbeitet. In den vergangenen Monaten haben wir gemeinsam mit anderen zu zwei Generalstreiks aufgerufen. Wir sind Teil einer Plattform, die die für den Tod des Fussballfans Iñigo Cabacas verantwortlichen Polizisten zur Rechenschaft zieht, und wir haben das sozio-kulturelle Projekt Kukutza verteidigt.

Sicher habt ihr düstere Momente erlebt …

Leider ja. Es gab Momente, das erhielten wir alle Arten von Drohungen. Danach kamen die Kriminalisierungsversuche wegen unserer Veranstaltungen, unserer Nachrichten und wegen unserer Solidarität mit anderen. So gut es ging haben wir all dem widerstanden. Mehr als hart war, als wir Zeugenaussagen von Faschismus- Opfern von gestern und heute gesammelt und sie niedergeschrieben haben: Soldaten, Milizionäre, politisch Verfolgte, Gefolterte. Oder die Mutter und der Anwalt von Carlos Palomino (10), heutige Faschismusopfer; die Familie Zabaleta-Kortazar, oder von faschistischen Gruppen wie Falange und Tradition Bedrohte. Oft haben wir uns ohnmächtig gefühlt angesichts von Repression gegen Leute, die an antifaschistischen Mobilisierungen in Bilbo, Gasteiz, Iruña, Hernani, Lizarra teilgenommen haben. Weil wir keine Mittel hatten, ihnen beizustehen. Das Härteste war, die Listen der Opfer des faschistischen Aufstands von 1936 bis 1939 durchzugehen, der Opfer der franquistischen Repression der 40er Jahre und der rechtsextremen Gewalt der vergangenen drei Jahrzehnte. Das sind tausende Menschen, engagierte Menschen, mit einem politischen Bewusstsein, mit einer ganz persönlichen Erfahrung, die brutal ermordet wurden.

Gegenkultur von der virtuellen Barrikade aus

Veröffentlichungen, CDs, Videos: Kultur wird zum politischen Werkzeug. Ein kurzer Blick auf den Blog von Sare Antifaxista erlaubt den Besucher/innen sinnliche Einblicke abseits der herrschenden Formen, wo die Stimmlosen eine Stimme erhalten. Der verfluchte Poet Charles Baudelaire klärte uns auf, dass “der größte Betrug des Teufels darin besteht, uns glauben zu machen, dass er gar nicht existiert“. Ähnlich ist es mit dem Faschismus, von vielen Regierungen kontinuierlich ignoriert und gleichzeitig hinter den demokratischen Kulissen gefördert. Wir finden Informationen über die Präsenz dieser Ultrarechten, die nicht verschwindet weil wohlgenährt. Gegenkultur zeigt sich als Arbeitsinstrument, wenn es darum geht, die Gefahren aufzuzeigen, die von den großen Medienzentren gerne verschwiegen werden. “In unseren Anfängen – so Sare Antifaxista – haben wir vor allem informiert und geschult. Mit dem Blog wollten wir die Gegeninformation stärken und und selbst zu ihrem Bestandteil werden. Heute können wir mit Genugtuung sagen, dass wir unsere Ziele übertroffen haben. Wir haben 18.122 Nachrichten, Mobilisierungen, Artikel publiziert und wurden bestätigt von 1,6 Millionen Besuchen auf unserer Seite. Die Berichterstattung über die Kukutza-Räumung, antifaschistische Mobilisierungen, den Tod von Iñigo Cabacas und verschiedene Generalstreiks gehören zu den meistbesuchten Nachrichten.


Erstveröffentlichung: GARA – Koldo Landaluze weiterlesen >>

Übersetzung: Baskinfo weiterlesen >>

Erklärungen:

(1) Kale Gorria (baskisch: Rote Straße / Harte Straße): linke Ermittlungszeitschrift, die aufgrund massiver Repression eingestellt werden musste

(2) GAL – Grupos Antiterroristas de Liberación (dt: antiterroristische Befreiungsgruppen) warenverdeckt agierende paramilitärische Gruppen, die in der Zeit von 1983 bis 1987 als Todesschwadronen in Spanienund Frankreich aktiv waren und die Bekämpfung der baskischen Unabhängigkeitsbewegung zum Ziel hatten. Sie waren für die Morde an 28 mutmaßlichen ETA-Mitgliedern oder Sympathisanten verantwortlich, von denen jedoch nachweislich etwa ein Drittel keinerlei Beziehung zur ETA gehabt hatte. Die GAL-Gruppen wurden illegal von hohen Funktionären der spanischen Regierung während der Amtszeit des sozialistischen Ministerpräsidenten Felipe González ins Leben gerufen. Sie wurden vom Innenministerium geführt, finanziert und protegiert. Nach Aufdeckung der Aktivitäten der GAL wurden der verantwortliche Innenminister und mehrere hohe Staatsbeamte zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.

(3) Guerrilleros de Cristo Rey (dt: Krieger von König Christus): paramilitärische spanische Gruppe ultrarechter Ideologie, Ende der 70er Jahre aktiv. An den beiden Morden am Montejurra-Berg in Navarra beteiligt.

(4) Batallón Vasco Español (dt: Baskisch-Spanisches Bataillon):
Rechtsextreme spanische Paramilitärs, vor allem im frz. Baskenland aktiv von1975 bis 1981. Von den GAL als Todesschwadrone abgelöst.

(5) Grupos Armados Españoles (dt. Bewaffnete Spanische Gruppen): entstanden in den 50er Jahren, aktiv vor allem nach Francos Tod 1975. 46 Morde zwischen 1976 und 1981.

(6) Josu Muguruza: Für Herri Batasuna ins spanische Parlament gewählter Abgeordneter. Wurde am 20.11.1989 (Francos Todestag), amVorabend der konstituierenden Parlamentssitzung in einem Madrider Restaurant von Faschisten erschossen.

(7) Alejo Aznar: Obdachloser, von einer Gruppe von Neonazis am 24.4.1999 in Getxo/Bizkaia ermordet

(8) Aitor Zabaleta: Anhänger des baskischen Fussballclubs Real Sociedad, anlässlich eines Europacup-Spiels in Madrid von einer Gruppe von Neonazis erstochen

(9) Unitat contra el Feixisme y el Racisme: katalonische Plattform gegen Faschismus und Rassismus

(10) Carlos Palomino: 16-jähriger Antifaschist aus Madrid, der am 11.11.2007 von einem rechtsradikalen Soldaten umgebracht wurde.

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