Im Baskenland folgten gestern mehr als 27.000 Menschen dem Aufruf der Unterzeichner des Gernika Abkommens und gingen in der baskischen Stadt Bilbo (spanisch: Bilbao) mit der Forderung “Salbuespen neurriak indargabetu. Konponbide garaia da (Ausnahmezustand beenden! Zeit für eine Lösung!)” für ein Ende der Sondermaßnahmen auf die Straße, die die spanische Regierung immer noch gegen die etwa 700 baskischen politischen Gefangenen einsetzt und die die Menschenrechte der Gefangenen und ihrer Familien schwer verletzen. (Foto: Klaus Armbrüster, Bilbo, 14. April 2012)

Insbesondere richtete sich der Protest gegen das Urteil des spanischen Verfassungsgerichts zur “Doktrin Parot (197/2006)” vom 29. März 2012. Dieses Urteil war lange erwartet worden, weil man davon ausging, dass es der als Doktrin Parot bekannten willkürlichen Haftverlängerung Einhalt gebieten werde. Statt dessen wies das Verfassungsgericht 25 der insgesamt 28 Klagen ab. Der Name Doktrin Parot oder Aktenzeichen 197/2006 bezeichnet eine Vorschrift zur Berechnung von Haftzeiten, die von der vorletzten spanischen Regierung vor allem im Hinblick auf anstehende Haftentlassungen langjähriger baskischer Gefangener eingeführt wurde. Der baskische Gefangene Unai Parot war der erste Gefangene, dessen Haft nach dieser Vorschrift neu berechnet wurde. Er klagte gegen diese Willkür. Für die nachträgliche Neuberechnung der Haft werden Reduktionen der Haftstrafe nicht mehr von der im spanischen Strafgesetz als 30 Jahre festgelegten maximalen Haftzeit abgezogen, sondern von der im Urteil angegebenen Gesamthaftzeit, die nach oben nicht begrenzt ist und hunderte Jahre betragen kann. Nach der Doktrin Parot wird eine Reduktion der Haftstrafe für Gefangene mit hohen Haftstrafen zum zynischen Mittel der Haftverlängerung. Seit Unai Parot betraf diese Doktrin etwa 80 baskische politische Gefangene. Einzelnen Gefangenen wurde diese Neuberechnung ihrer Haftzeit erst am Vorabend der erwarteten Entlassung mitgeteilt, andere wurden entlassen und nach wenigen Tagen wieder festgenommen.

Vor dem Hintergrund der neuen politischen Situation im Baskenland, die das Tor zur friedlichen und demokratischen Konfliktlösung aufgestossen hat, verstehen viele Basken die Repressalien gegen die baskischen politischen Gefangenen als eine Politik der Rache und sehen in der starren Haltung der rechten spanischen Regierung auch den Versuch, grausame Haftbedingungen als Instrument der politischen Erpressung einzusetzen.

Der baskische Journalist Ramón Sola argumentiert in seinem heutigen Kommentar in der baskischen Tageszeitung GARA, dass es diese Versuche, das emotionale Thema der Situation der Gefangenen als Druckmittel in den Verhandlungen einzusetzen, in vergangenen Friedensgesprächen immer gab. Heutzutage sei die Situation jedoch grundlegend verschieden. Die Friedensinitiative der baskischen linken Unabhängigkeitsbewegung baut nicht mehr auf Geheimverhandlungen mit den Staaten für die politische Lösung des Konflikts. Der spanische und der französische Staat sollen mit ETA lediglich über die Konsequenzen des Konflikts verhandeln. Die eigentliche politische Autorität kommt der baskischen Bevölkerung zu. Die politische Konfliktlösung wird damit zu deren politischer Aufgabe und damit auch beeinflusst vom Kräfteverhältnis der politischen Parteien im Baskenland. Die repressive Politik der spanischen Regierung wird im Baskenland auch von pro-spanischen Teilen der Bevölkerung immer weniger akzeptiert. Sie kann deshalb leicht zu einem Verlust an politischer Glaubwürdigkeit und an Einfluss der spanischen Parteien im Baskenland führen.


Das ABKOMMEN FÜR EIN FRIEDENSSZENARIO UND FÜR EINE DEMOKRATISCHE LÖSUNG” wurde im September 2010 von einer Vielzahl baskischer Organisationen gemeinsam verabschiedet und ist als Abkommen von Gernika (spanisch: Guernica) bekannt. Im September 2011 trat auch das Kollektiv der baskischen politischen Gefangenen, EPPK, dem Abkommen bei. Dieser Schritt erregte viel Aufmerksamkeit und wurde selbst von der spanischen Regierung als wichtige Entwicklung gewertet. Das Abkommen fordert von den Konfliktparteien ein Ende jeder Gewalt und insbesondere ein Ende der “Gefangenenpolitik gegen baskische politische Gefangene, die bis heute Teil der Konfrontationsstrategie ist”.

Deutsche Übersetzung des Abkommens: weiterlesen >>

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