Ein Besuch bei der Buch- und Tonträgermesse in Durango
Beim Anflug auf Bilbo (spanisch: Bilbao) durchquert die Maschine eine zerrissene Wolkendecke. Der Pilot verkündet zehn Grad plus und Nieselregen als Bodenwetter. Es ist Anfang Dezember, morgen beginnt die fünftägige »46 Durangoko Euskal Liburu eta Disko Azoka«, die 46. Baskische Buch- und Tonträgermesse in Durango, einer Industriestadt mit knapp 30000 Einwohnern, rund 30 Kilometer östlich von Bilbo gelegen.
40 Minuten später bin ich am Termibus, dem zentralen Busbahnhof mit Metroanschluß. Dort setze mich in die U-Bahn, fahre ein paar Stationen und steige schließlich in einen Bummelzug von EuskoTren. Der bringt mich in einer knappen Stunde nach Mundaka, ein 2000-Seelen-Dorf an der baskischen Atlantikküste. Dort bin ich bei dem befreundeten Schriftsteller Edorta Jimenez untergebracht, den ich seit meinem ersten Besuch im Baskenland 2006 kenne. Die Zugfahrt auf dieser Schmalspurstrecke ist kurzweilig, es gibt 18 Haltestellen bis Mundaka. Schaffner sind unbekannt bei EuskoTren. Die Fahrkarten werden vor dem Bahnsteig gelöst: 5,60 Euro für die gut 50 Kilometer lange Strecke.
Ich erreiche Gernika (spanisch: Guernica), die heilige Stadt von Euskal Herria (Baskenland), über die ein früherer Bürgermeister sagte: »Gernika wurde nicht berühmt, weil es bombardiert wurde. Gernika wurde bombardiert, weil es berühmt war.« Noch sechs Stationen bis Mundaka, ab jetzt werden die Hügel zu Bergen. Der Zug windet sich durchs Gelände. Rechts und links tauchen immer wieder einzelne frei stehende Gehöfte auf, Schafe grasen auf abgezäunten Weiden, dann geht’s bergab in das Deltagebiet Urdaibai, das vom Fluß Oka und seinen Nebenflüssen gebildet wird (s. Foto). Dieses Naturschutzgebiet beherbergt eine einzigartige Fauna und Flora. Im Delta, das auf Meereshöhe oder darunter liegt, stößt Süß- auf Salzwasser, die Flut dringt weit ins Landesinnere vor. Und das milde Klima am Atlantik läßt an den Hängen subtropische Pflanzen gedeihen. Immer wieder entzünden sich harte Auseinandersetzungen zwischen Umweltschützern und lokalen Verwaltungen wegen Bebauungsplänen oder Verkehrsprojekten, die dieses Kleinod beeinträchtigen oder bedrohen könnten. Nicht ohne Grund ist das Deltagebiet der Schauplatz von Laura Mintegis jüngstem Roman »Ecce homo«. Der schildert den schwierigen Kampf einer Umweltschutzgruppe für den Erhalt von Urdaibai im Schatten des spanisch-baskischen Konflikts.
Edorta erwartet mich am Bahnhof von Mundaka und schleppt mich sofort zum Hafen. Heute wird ein Teilwettbewerb der baskischen Meisterschaft im Surfen ausgetragen. Die Bucht von Mundaka ist dank der Oka eine weltberühmte Surfgegend. Durch den Schwemmsand des Flußes hat sich eine unter Wasser liegende Düne gebildet, die die begehrten Wellen entstehen läßt, die sich von links nach rechts auftürmen. Vor einigen Jahren wurden bei Baggerarbeiten in der Bucht Teile dieser Unterwasserdüne beschädigt, was die Wellenbildung stark beeinträchtigte. Beinahe wäre in Mundaka der kommunale Notstand ausgerufen worden. Die Surfverrückten, die aus aller Welt zwischen Dezember und März die wenigen Hotels im Ort bevölkern, blieben weg. In diesem Dezember ist die Welt wieder in Ordnung.
Jedes Jahr ein Buch
Wir verlassen den Hafen und gehen zum 100 Meter entfernten Ortseingang, wo Edortas Domizil liegt, ein zweistöckiges Haus, aus Feldsteinen zu Beginn des 20. Jahrhunderts gemauert. Edorta lebt im ersten Stock und hat einen direkten Blick auf die Bucht. Wer alten Klischees anhängt, könnte sein Heim als Intellektuellenwohnung bezeichnen, Bücher jedenfalls bedecken die meisten Wände. Edorta Jimenez ist sein Beruf wahrlich nicht in die Wiege gelegt worden. 1953 wurde er in Mundaka als Sohn eines Arbeiters aus Zentralspanien und einer Baskin geboren. Der Vater hatte als republikanische Soldat gegen die Franco-Faschisten gekämpft und war zur Zwangsarbeit ins Baskenland deportiert worden. Seine Mutter hatte sich den lokalen Anarchisten angeschlossen. Edorta war eines von sechs Kindern. Zu Hause wurde meist Spanisch gesprochen. Das Baskische war in der Franco-Diktatur verboten. Sogar Priester gingen in den Knast, wenn sie die Messe auf Baskisch lasen. An Literatur war abgesehen von den wenigen Exilveröffentlichungen nicht zu denken. Edorta absolvierte ein Lehrerstudium und begann mit dem Ende der Franco-Zeit als Journalist, Songschreiber und Fischer zu arbeiten. Seit 1985 veröffentlicht er jährlich mindestens ein Buch auf Baskisch: Gedichtbände, Romane, Drehbücher, historische Monographien über Hemingway, den südafrikanischen Kriegsreporter George Steer und andere. Seiner Heimatgemeinde hat er mit dem Bürgerkriegsroman »Lärm der Grillen« (deutsch 2007) ein literarisches Denkmal gesetzt.
Nach einem Begrüßungsschluck eröffnet mir Edorta das Programm des Abends. »Heute«, meint er, »ist der Tag der baskischen Sprache. Überall sind Lesungen, Konzerte und Stegreifdichtungen angesetzt. Aber in der Nachbargemeinde Busturia gibt’s eine Ballettaufführung. Da sollten wir hin.« Ballett ist eigentlich nicht mein Ding, hat aber den Vorteil, daß auch Nichtbaskischsprachige die Chance haben, etwas zu verstehen.
Wir brechen auf und sind 15 Minuten später in einer Pelota-Halle, in der an diesem Abend allerdings nicht die mit Leder umwickelten Holzbälle gegen die Wände gedroschen werden, sondern eine professionelle Tanztruppe auftritt. Gut 500 Menschen jeden Alters füllen die Ränge – Edorta scheint jeden zweiten zu kennen. Wummernde Bässe erfüllen den Raum, Spots gehen an und sechs Tänzer stürmen das Spielfeld. Boxen, Verstärker und einige Stühle sind die einzigen Gegenstände, um die herum und mit denen die Tänzer eine ihre Kraft betonende Choreographie aufführen, die streckenweise an Kampfsportarten erinnert. Das Zusammenspiel der Bässe, darübergelegten Synthesizertönen und der Tänzer ist atemberaubend – nicht nur für die Ausführenden. Donnernder Applaus belohnt die Darbietenden nach gut 20 Minuten.
Anschließend findet im daneben gelegenen Kulturhaus der Gemeinde, ein relativ neuer Bau mit einer Kneipe und Veranstaltungsräumen, ein Sprachquiz statt. Es geht um die unterschiedlichen Bedeutungen von Begriffen in den baskischen Dialekten – die einheitliche baskische Hochsprache existiert erst seit Anfang der 1980er.
Neuer Besucherrekord
Am nächsten Morgen brechen wir gen Durango auf, der erste Ausstellungstag beginnt. Edorta wird die ganze Messe über im Ahotsenea (Haus der Stimmen), einem Lesezelt neben dem eigentlichen Expositionsgebäude, als Moderator eingespannt sein. Lesungen, Interviews mit Schriftstellern, Podiumsgespräche und Auftritte baskischer Musiker sollen dort im halbstündigen Rhythmus wechseln. Tagsüber wird das Programm als Livestream ins Internet stellt, abends wird das baskische Fernsehen EiTB Zusammenfassungen bringen.
Auf dem Weg nach Durango machen wir auf einen Kaffee kurz Station in Gernika. Die typische Bar wird von einem ehemaligen Pelota-Profi geführt, der sein Geld in den 1960ern in der US-amerikanischen Pelota-Liga verdient hatte, ins Baskenland zurückkehrte und mit dem Ersparten diesen Laden aufmachte.
Wir erreichen die Messehalle von Durango, die auf einem alten Fabrikgelände errichtet wurde, wovon noch der Schlot mit seinen gut 80 Metern Höhe zeugt. Es ist kurz vor zehn Uhr, aber trotz des miesen Wetters drängen sich schon Menschentrauben vor dem Eingang. An den fünf Messetagen wird mit rund 105000 Besuchern ein neuer Rekord aufgestellt werden. Diese Zahl ist angesichts der nur 800000 baskischen Muttersprachler noch beeindruckender. Rund 160 Buch-, Musik- und Zeitschriftenverlage, wissenschaftliche Institutionen, Bildungseinrichtungen und Bürgervereinigungen mit eigener Publikationstätigkeit füllen die Halle mit der Größe zweier Fußballfelder. Neben den Ausstellern aus der Autonomen Baskischen Gemeinschaft nehmen die baskischen Verlage aus Iparralde, dem nördlichen in Frankreich gelegenen Teil des Baskenlandes, und aus der Foralen Gemeinschaft Nafarroa (spanisch: Navarra) an dem Kulturereignis teil.
Insgesamt werden rund 900 Neuerscheinungen in baskischer Sprache vorgestellt, 40 Prozent davon sind Belletristik und Kinderbücher. Die durchschnittliche Auflage liegt bei 2500 Exemplaren pro Titel. Bei der Belletristik sind 70 Prozent der Neuerscheinungen baskische Originalausgaben. Von den Übersetzungen kommen rund 30 Prozent aus dem Englischen, gefolgt von 18 Prozent aus dem Französischen, 17 Prozent aus dem Spanischen und acht Prozent aus dem Deutschen. Eine ganze Reihe baskischer Verlage publiziert vor allem im Sachbuchbereich Titel auf Spanisch, Französisch und Baskisch, um auch Leserkreise zu erreichen, die Baskisch nicht oder nur schlecht beherrschen. Schließlich hatte erst eine Generation von Basken die Chance, den Unterricht in der Muttersprache zu absolvieren. Im französischen Iparralde sind die Baskischstunden immer noch nicht Teil des öffentlichen Schulwesens, sondern werden privat organisiert.
Ich mache mich auf zum Stand von Euskalema, dem Baskisch-Deutschen Kulturverein, der baskische Deutschlehrer, Germanisten und Dolmetscher vereinigt. Dort werden sowohl neue Übersetzungen ins Baskische als auch baskische Literatur in deutscher Sprache präsentiert, die seit fünf Jahren in der Reihe »Zubiak – Baskische Bibliothek« (Pahl-Rugenstein-Verlag) erscheint. Bisher ist es leider noch nicht im nennenswerten Umfang gelungen, weitere deutschsprachige Verlage zu bewegen, übersetzte Belletristik zu veröffentlichen, obwohl es von Etxepare, einer mit dem deutschen Goethe-Institut vergleichbaren Institution, Förderungen gibt.
Geschichtsklitterung gekontert
Am Stand treffe ich Petra Elser, Übersetzerin und Mitbegründerin des Vereins, die seit vielen Jahren im Baskenland lebt. Sie betreibt seit zwei Jahren eine Organisation, die sich im Auftrag kommunaler Verwaltungen um den Spracherwerb der zahlreichen Immigranten in der Autonomen Baskischen Gemeinschaft kümmert. Lateinamerikaner haben es vergleichsweise leicht, Spanisch kann jeder im südlichen Baskenland. Doch die große Gruppe der Migranten aus Afrika soll möglichst Grundkenntnisse des Baskischen erlernen. »Ist Ausländerfeindlichkeit ein Thema?« frage ich. »Eher nicht«, meint Petra, »Baske ist, wer Baskisch spricht. Aber da liegt dann auch genau der Knackpunkt, ohne ausreichende Verständigungsmöglichkeiten bewegen sich diese Gruppen am Rand der Gesellschaft, betreiben irgendwelchen Straßenhandel, bleiben vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen, und dann sind die Probleme da.«
Die Messe ist nicht nur ein kulturelles Großereignis, sondern hat auch eine politische Bedeutung. Das Baskischsein an sich ist schon ein Politikum. Anlaß zu Besorgnis gibt die Sprachpolitik der PSOE-Minderheitsregierung in der Autonomen Gemeinschaft, vor allem im Schulwesen, aber auch im öffentlich-rechtlichen Radio und im Fernsehen. In der Provinz Nafarroa wurde der baskische Fernsehkanal EiTB durch die regierende postfranquistische PP mit formaljuristischen Winkelzügen aus dem terrestrischen Digitalempfang gedrängt. Der Gebrauch des Begriffes Euskal Herria in Schulbüchern ist verboten, da es kein Baskenland, sondern nur die Autonome Baskische Gemeinschaft gäbe. Diese Geschichtsklitterung konterte der in Iruña (spanisch: Pamplona), Nafarroas Hauptstadt, ansässige Verlag Txalaparta mit dem großformatigen Titel »Mapas para una Nación«. Euskal Herria en la cartografia y en los testimonios históricos – Karten für eine Nation. Euskal Herria in der Kartographie und in historischen Dokumenten. Das Buch wurde mit rund 400 verkauften Exemplaren einer von Txalapartas Bestsellern auf der Messe.
Viele Ausstellungsstände haben Plakate zur Großdemonstration für die rund 750 baskischen politischen Gefangenen am 7. Januar in Bilbo aufgehängt, ebenso häufig sind Plakate gegen den geplanten Hochgeschwindigkeitszug AHT, dessen Trasse das Baskenland durchschneiden soll. Seit Jahren schon stehen massive Brückenpfeiler entlang der geplanten Strecke, die Madrid mit dem französischen Hochgeschwindigkeitsnetz verbinden soll, in der Landschaft. Der eigentliche Bau der Strecke hat noch nicht begonnen, ob er je ausgeführt wird, ist angesichts des lokalen Widerstands und der Wirtschaftslage fraglich.
Dem Messetrubel entfliehe ich in diesen Tagen immer mal wieder und spaziere über den großen Außenplatz, wo zahlreiche Umwelt- und Jugendorganisationen ihre Stände aufgebaut haben. Das Wetter kommt allen entgegen. An einem Stand zur Unterstützung politischer Gefangener kaufe ich fünf Lose. Auf die Frage, wie denn die Gewinner ermittelt würden, meint der Verkäufer verschmitzt lächelnd, man benutze die gleichen Nummerkreisläufe wie die spanische Weihnachtslotterie. »Die Nummer des Hauptgewinns dort ist dann auch die für unseren Hauptgewinn.« Die hin und wieder über den Platz schlendernden Beamten der Ertzaintza (Polizei der Autonomen Gemeinschaft) würdigen den Stand mit keinem Blick. Basken können ganz schön biestig werden, aber nie verbiestert.
»Zeit für eine Lösung« – Internationale Woche der Solidarität mit dem Baskenland
Vom 17. bis 26. Februar 2012 findet in vielen europäischen und lateinamerikanischen Ländern zum sechsten Mal in Folge die Woche der Solidarität mit dem baskischen Kampf um Selbstbestimmung statt. Veranstalter ist die Organisation Askapena (Befreiung) gemeinsam mit Euskal Herriaren Lagunak, den »Freundeskreisen Baskenland« der beteiligten Länder.
Veranstaltungen im Rahmen der Solidaritätswoche:
17.2.2012, Berlin, Brandenburger Tor/Pariser Platz, französische Botschaft, 17 Uhr: Kundgebung »Freiheit für die baskischen politischen Gefangenen«
17.2.2012, Berlin, CLASH, Gneisenaustr. 2a, im Mehringhof: Solidaritätsdinner für die baskischen Gefangenen (Eintritt 15 Euro)
19.2.2012, Berlin, Café Commune, Reichenberger Str. 157, Nähe Kottbusser Tor, 19 Uhr: Diskussion mit dem baskischen Autor Xabier Makazaga über die aktuelle politische Situation im Baskenland und Vorstellung seines Buches »Demokratie und Folter: Das Beispiel Spanien«
24.2.2012, Hamburg, Centro Sociale (U-Bahn-Station Feldstraße), Sternstr. 2, 19 Uhr: Referenten der baskischen Organisation Herrira (nach Hause) berichten über die aktuelle politische Situation im Baskenland. Herrira setzt sich für die Heimkehr aller politischen Gefangenen und Flüchtlinge ein.
25.2.2012, Karlsruhe, Planwirtschaft, Werderstr. 28, 19 Uhr: Diskussion mit dem baskischen Autor Xabier Makazaga über die aktuelle politische Situation im Baskenland und Vorstellung seines Buches »Demokratie und Folter: Das Beispiel Spanien«
Foto (Peter Schmitz): Beherbergt einzigartige Flora und Fauna: Das Deltagebiet Urdaibai zwischen Bilbo und Atlantik
Erstveröffentlichung: Junge Welt vom 11.2.2012